Frieder Harz

25. Dezember: Der „Dreikönigsaltar“ von Rogier van der Weyden

Rogier van der Weyden wurde um 1400 geboren, war von 1435 bis zu seinem Tod 1464 mit dem eh-renvollen Amt des Stadtmalers von Brüssel bekleidet. Der Dreikönigsaltar entstand um 1460. Er war bis 1808 in der St.Columba-Kirche in Köln und kam dann auf Umwegen in die Alte Pinakothek in München. Das Bild zeigt den Mittelteil, zu dem noch zwei Seitenflügel gehören.

 

Der erste Blick auf das Bild zeigt uns Bekanntes. Feierlich-ernste Gesichter im Vordergrund wie auch die Architektur der Stall-Ruine neben der Kirche erinnern an das Weihnachtsbild des Hugo van der Goes. Vertraut sind auch die drei Weisen bzw. Könige aus dem Morgenland aus vielen anderen Bildern, Darstellungen auf Schnitzaltären, Figuren aus den Weihnachtskrippen. Wie so oft steht auch hier Josef in seinem schlichten roten Mantel abseits. Ochs und Esel sind auch mit dabei.

Doch der zweite Blick zeigt uns Unterschiede und eigene Akzentsetzungen des Malers. Das Unwirt-liche des Stalls ist noch ausgeprägter: ein löchriges Dach vorne und hinten, mit Bäumen, die im brö-ckeligen Mauerwerk wurzeln. Große Maueröffnungen geben den Blick frei nach hinten in eine Stadtlandschaft, aber Schutz gegen Wind und Wetter ist von diesem Gehäuse nicht zu erwarten. Ein Blick auf den Boden lässt an eine gefährliche Baustelle denken: ein tiefes Loch öffnet sich vor den Hauptpersonen im Vordergrund. Dieser armselige Stall ist deutlich entfernt von der Stadt, de-ren Wohlstand man an den ansehnlichen Gebäuden erahnen kann.

Auch der Kontrast zu den vornehm gekleideten Fürsten könnte nicht größer sein. Auffallend sind die wertvollen, abwechslungsreich gemalten Gewänder, die bis in die feinsten Einzelheiten der Falten und Stoffmuster hinein ausgestaltet sind. Die Verehrung des Neugeborenen ist eher einem feierlichen Staatsakt nachempfunden, als einem überraschenden Besuch bei armen Leuten. Der vorderste der Adligen hat seine edle Kopfbedeckung abgelegt. Er kniet sich mit seinem kostbaren Gewand in den Dreck, umfasst behutsam und ehrfürchtig die Beinchen des nackten Kindes, ertas-tet mit seiner Rechten Arm und Händchen des Kleinen wie zu einem vorsichtigen Fingerspiel, das die Augen und die Mimik des Alten mit höchster Konzentration verfolgen. Der Mittlere blickt den beiden versonnen und gebannt zu, das wertvolle Gefäß droht ihm fast aus den Händen zu rut-schen. Der Dritte und offenbar der Jüngste nähert sich gerade erst dem Geschehen, nimmt dazu achtungsvoll die Kopfbedeckung ab. Deutungen vermuten in den Fürsten die Darstellung unter-schiedlicher Lebensalter und damit verbundener Tugenden: die Weisheit des Alten, die kon-zentrierte Klugheit des mittleren Herrschers, die Energie und Forschheit des jungen, der erst am Beginn seiner Aufgaben steht.

Der Maler Rogier zeichnet eindringlich nach, was Matthäus in seiner Weihnachtsgeschichte in Wor-te gefasst hat. Die Weisen ließen sich von nichts abhalten, ihren Weg zu dem Königskind zu gehen. Auch nicht, als dieser Weg in dem ärmlichen Stall zur Peinlichkeit zu werden droht. Unbeirrt halten sie daran fest, dass sie in diesem wenig einladenden Umfeld und in dem unbekleideten hilflosen Säugling ihr Königskind gefunden haben. Ihrem Vertrauen darauf wird ihnen in dieser Situation viel zugemutet. Aber sie lassen sich darauf ein, bleiben ihrer Überzeugung treu.

Meister Rogier bringt in sein Bild unterschiedliche Zeiten ein: Zum einen die Zeit der Geburt Jesu, von der Matthäus berichtet. Aber auf die Säule über Maria, dem Kind und dem knienden Alten hat er an zentraler Stelle ein Kruzifix gemalt. Es deutet den Weg des erwachsenen Jesus an, der ein König ganz anderer Art war - das Gegenbild zu Macht und Herrschaft. Seine Zuwendung zu den Kleinen und Unscheinbaren werden sein Wirken bestimmen, bis zur Hingabe des eigenen Lebens. Ob die dargestellten königlichen Gäste davon schon eine Ahnung haben?

Mehr dazu wissen die Menschen der dritten Ebene, die Rogier gemalt hat: die Menschen seiner Zeit. Vielleicht ist es seine eigene Heimatstadt, die im Hintergrund zu erkennen ist. Ganz links im Bild, hinter Josef, steht wahrscheinlich der Stifter des Flügelaltars, der Kölner Bürgermeister Goe-dert von den Wasservass. Die drei Adligen sind die damals regierenden Herzöge von Burgund. Und die sich in einem langen Zug aus der Stadt heraus drängenden Bewohner sind wohl die bürgerli-chen Zeitgenossen. Die ersten drei Gesichter zeigen die ganze Palette von Neugierde, Verwunde-rung, Staunen, Skepsis, Fragen und Zweifel.

Damit öffnet sich uns der Deutungsweg zur Botschaft des Malers für seine Zeit und vielleicht auch für uns heute: Die Adligen könnten den Städtern Vorbild sein im Vertrauen auf und Hingabe an diesen Jesus, der ein Gegengewicht setzt gegen das Dominieren von Macht und Privilegien. Sie lassen sich korrigieren durch die Verantwortung gegenüber Gott und auch gegenüber den Men-schen, die zu oft übersehen werden und doch auch Beachtung und Respekt verdienen. Sie beugen sich vor Gott, um dann aufrecht folgerichtige Entscheidungen zu treffen. Es könnte auch der Aufruf an die Mitmenschen sein, sich mit den Herzögen auf diese Botschaft des Jesus Christus einzulas-sen, in dem sich Gott arm und klein gezeigt hat, um den Menschen in solchen Situationen nahe zu sein. Es könnte die Aufforderung sein, immer wieder einmal die städtische Behaglichkeit zu verlas-sen und sich auf den Weg nach draußen zu machen und offen zu werden für Neues.

 

26. Dezember

 

 

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