Frieder Harz

26. Dezember: Wieder mit großen Sorgen unterwegs (Flucht nach Ägypten, Matthäus 2,13f.)

Die Weihnachtsgeschichte des Matthäusevangeliums endet mit der Flucht nach Ägypten und dem Kindermord von Bethlehem. Der durch den Besuch der Weisen aus dem Morgenland misstrauisch gewordene König Herodes wittert mögliche Konkurrenz für seine Dynastie. Als die Weisen ihn nach ihrem Besuch in Bethlehem nicht weiter informiert hatten, lässt er mit einer brutalen Maßnahme alle Neugeborenen in Bethlehem töten. Von dieser Vernichtungsaktion hebt sich die Rettungsgeschichte ab, die durch Engelsbotschaften im Traum eingeleitet werden. Die königlichen Besucher werden vor der Gefahr eines erneuten Besuchs bei Herodes gewarnt und machen sich direkt auf den Heimweg. Josef wird zur Flucht nach Ägypten gedrängt, und eine weitere Engelsbotschaft eröffnet später die sichere Heimkehr.

Für die Kenner der Geschichte Israels verbindet sich mit Ägypten eine frühere Überlieferung von Bedrohung und Rettung: die Befreiung aus der Sklaverei durch Mose, ganz besonders in dessen Geburtslegende von seiner Rettung vor drohendem Kindermord. Für Matthäus tritt Jesus in die Fuß-stapfen des Mose, er ist zum neuen – und ganz anderen – Retter, zum Künder des anbrechenden Reiches Gottes bestimmt. In der Erzählung geht es um die Rückkehr von wunderbar festlichen Erleb-nissen in den mühseligen Alltag, zurück zum anstrengenden Reisen. Aber der Hoffnungsstrahl, der Maria und Josef auf dem Weg von Nazareth nach Bethlehem geführt hat, der führt sie auch weiter auf dem neuen und noch viel schwierigeren Weg.

 

Als Josef am Morgen im Stall von Bethlehem aufwacht, weiß er zuerst gar nicht, ob er das alles ge-träumt hat. Vornehm gekleidete Herren waren da, wie zu Besuch bei einem neugeborenen Kö-nigskind. Prächtige, wertvolle Kleider hatten sie an, Diener waren dabei. Ein heller Stern, der durch die Ritzen der Hütte schien, brachte alles zu einem wunderbaren Leuchten. Josef sieht sich um: er, Maria und der neugeborene Junge sind noch immer in dem halb zerfallenen Stall, den er mühsam sauber gemacht hatte. Beide schlafen noch. Von einem goldenen Leuchten ist nichts zu sehen. Es muss wohl ein Traum gewesen sein. Oder doch nicht?

Josef richtet sich auf und erinnert sich jetzt genauer: Die drei Gelehrten aus dem fernen Land hatten sich vor dem Kind verneigt und ihm Geschenke überreicht: Gold, ein Gefäß mit Weihrauch und eines mit dem kostbaren Gewürz der Myrrhe. Zu riechen ist von dem Duft nichts mehr. Oder doch? Josef schnuppert ein bisschen. Dann schaut er sich um: Da hinten hat er die Geschenke versteckt, der Stall hat ja schließlich keine Tür zum Abschließen. Tatsächlich, da blinkt es aus dem Heuhaufen heraus. Jetzt ist sich Josef ganz sicher: es war kein Traum, was sie gestern erlebt haben. In Gedanken ist er wieder mittendrin: wie er voller Erstaunen und neugierig zugleich zugehört hat, was die edlen Gäste von ihrer Reise erzählten, und zum Schluss von ihrem Besuch beim König Herodes in Jerusalem. Der hatte sich misstrauisch verhalten und die Reisenden gebeten, ihm vom Ergebnis ihrer Reise genau zu berichten.

Auf einmal durchfährt Josef ein heftiger Schreck: Natürlich musste Herodes misstrauisch werden, als er von einem neugeborenen Königskind hörte, das nicht sein eigenes war. Ob der etwas vorhat? „Aber Gott wird doch unser Kind schützen“, murmelt er vor sich hin. So schön und festlich es gestern war, so unruhig ist Josef heute. Wie soll es jetzt mit uns weitergehen? Darüber muss er immer wieder nachdenken. „Du wirkst so ernst“, fragt Maria ihn. Und Josef meint: „Hier bleiben können wir nicht. In einem Stall können wir drei nicht leben. Und der Weg nach Hause ist weit“. Von seinem Schreck erzählt er Maria noch nichts. Er will ihr keine unnötigen Sorgen machen.

In der kommenden Nacht hat Josef einen ganz besonderen Traum. Ein Engel kommt zu ihm und sagt: „Josef, ihr seid in großer Gefahr. Herodes duldet kein Königskind, das nicht sein eigenes ist. Er wird versuchen, es zu töten. Ihr müsst sofort diesen Ort und das ganze Land verlassen“. „Und wohin?“ fragt Josef den Engel. „Flieht nach Ägypten“, antwortet der. Dann wacht Josef auf. Er weckt Maria und erzählt ihr von seinem Traum. Maria erschrickt und sagt: „Es war so wunderbar mit unseren Gästen, es war ein so schönes Fest mit ihnen. Und jetzt soll alles vorbei sein? Da nimmt Josef sie in den Arm und sagt zu ihr: „Aber unser Kind ist doch ein Königskind, und es ist ein Gotteskind. Gott wird uns beschützen! Was uns die königlichen Besucher geschenkt haben, das nehmen wir mit, das soll uns immer daran erinnern, dass Gott mit uns und besonders mit unserem Kind noch viel vorhat!“ Maria nickt und flüstert leise: „So wie uns die Botschaft des Engels Gabriel von Naza-reth auf unserem Weg hierher begleitet hat. Gott lässt uns nicht im Stich!“

Noch in der Nacht packen sie ihre Sachen und ziehen los nach Ägypten, in das Land, in dem sie in Sicherheit sein werden.

 


Aus dem Goldenen Evangelienbuch von Echternach, Germanisches Nationalmuseum Nürnberg

 

 

Fenster schließen