Martin Luther schreibt ein Plakat - Zum Thesenanschlag am 31. Oktober 1517
 
Ein zentrales Ereignis der Reformation in Wittenberg ist der sog. Thesenanschlag am 31. Oktober 1517, der in den evangelischen Gemeinden jährlich als Reformationstag bzw. am folgenden Sonntag als Reformationsfest begangen wird. Anlass zu diesem Ereignis war die Sammeltätigkeit des Mönchs Tetzel, der mit dem Verkauf von Ablässen Befreiung von den sonst zu erwartenden Qualen des Fegefeuers versprach. Dies führte Luther dazu, mit 95 Thesen eine grundsätzliche akademische Auseinandersetzung an der Universität Wittenberg anzustoßen. Die Wirkung dieser Thesen zog allerdings rasch viel weitere Kreise. Sie verbreiteten sich wie ein Lauffeuer in ganz Deutschland und darüber hinaus. Aus der geplanten theologischen Auseinandersetzung wurde ein Konflikt mit der Lehrgewalt der institutionellen Kirche, der schließlich zur Kirchentrennung führte.
In der Erzählung wird die grundlegende theologische Neuorientierung in elementarer Form aufgegriffen: die fortan bestimmende sog. „Rechtfertigungsbotschaft“ wird in das Bild des liebevoll vergebenden Gottes, entsprechend dem Gleichnis vom verlorenen Sohn bzw. barmherzigen Vater (Lukas 15) gefasst. Dabei wird die leitende These 1 dem entsprechend aufgenommen. Sie lautet: „Da unser Herr und Meister Jesus Christus spricht ‚Tut Buße’ (Matth. 4,17), hat er gewollt, dass das ganze Leben der Gläubigen Buße sein soll. - Jeder Christ, der wirklich bereut, hat Anrecht auf völligen Erlass von Strafe und Schuld, auch ohne Ablassbrief“.
 
Ziele:
- erfahren, an welches Ereignis das Reformationsfest erinnert
- wahrnehmen, wie Martin Luther engagiert für sein Verständnis des Evangeliums eingetreten ist
 
Fördert:
- Interesse an Geschichten aus früherer Zeit
- Nachdenken über Gott und den Glauben
 
Dr. Martinus sitzt in seinem Arbeitszimmer und bereitet sich auf den Unterricht bei den Studenten vor. Ein langer Tag liegt vor ihm, mit vielen Gesprächen. Er ahnt noch nicht, was alles an diesem Tag noch geschehen wird. Gleich wird er hinübergehen zu seinen Studenten in den Unterrichtssaal. Am Gemurmel auf dem Gang hört er, dass sie jetzt nach und nach ankommen. Aber heute sind die Geräusche von den Gesprächen stärker als sonst. Sicher gibt es etwas, das die Studenten besonders beschäftigt. Wahrscheinlich werden sie es ihm gleich erzählen und ihn um seinen Rat fragen – so wie sie es auch früher schon so oft getan haben.
Martinus ist neugierig geworden. Er packt seine Sachen, die Bibel und seine Notizblätter zusammen und geht hinüber in den Unterrichtssaal. Nach der Begrüßung spricht er ein Gebet: „Lieber himmlischer Vater, wir danken dir, dass du uns diese Nacht behütet hast, und wir bitten dich: Halte auch an diesem Tage alles Böse von uns fern, damit wir all das, was du von uns erwartest, gerne und froh tun können. Amen.“

Bis jetzt haben die Studenten still gehalten, aber nun geht es los: „Dr. Martinus, ein Mönch ist in unserer Stadt, der spricht ganz anders, als wir das bei Euch gelernt haben!“ Martinus horcht auf und fordert die Studenten auf, weiter zu berichten. „Also, er predigt und verkündigt, dass Gott alle Sünder hart bestrafen wird und sich niemand darauf verlassen soll, dass Gott ihn lieb hat. Denn kein Mensch ist wirklich ein guter Mensch.“ – „Ist das alles?“ fragt Martinus. Die Studenten erzählen weiter: „Der Mönch hat dann gesagt: Es gibt einen Weg, der Strafe Gottes zu entgehen, nämlich wenn wir für unsere Sünden Geld bezahlen. Erst dann ist Gott wieder gut mit uns. Und viele Leute zahlen eifrig, damit Gott wieder zu ihnen hält.“

Martinus ist empört und schlägt mit der Hand auf das Pult: „Davon steht in der Bibel überhaupt nichts drin!“ ruft er. „Wir haben doch schon so oft davon gesprochen, dass Gott wie ein guter Vater zu uns ist und uns liebt, auch wenn wir Fehler gemacht haben! Denkt doch bloß an die schönen Geschichten, die Jesus dazu erzählt hat!“

Am Nachmittag sucht Martinus den Mönch auf uns stellt ihn zur Rede, aber der meint bloß: „Meine Aufgabe ist es, für die Kirche Geld zu sammeln. Die habe ich höchstpersönlich von unserem Bischof. Und der hat bestimmt nichts dagegen, wenn ich dabei den Leuten Angst mache. Dann sitzt das Geld lockerer in der Tasche und kommt leichter in meine Opferbüchse!“ – „Aber in der Bibel steht es anders“, faucht Martinus zurück. Der Mönch lacht bloß: „Die Leute können doch gar nicht in der Bibel lesen, die merken das doch nicht!“

Am Abend setzt sich Martinus noch einmal an seinen Schreibtisch. Er hat ein Plakat vor sich und schreibt in großer Schrift, damit es alle gut lesen können. Er schreibt eine ganze Reihe von Sätzen auf, jeder Satz bekommt eine Nummer.
1. Es stimmt, dass wir Menschen immer wieder Fehler machen. Und es ist wichtig, dass wir sie bereuen und Gott um Vergebung bitten.
2. Es stimmt nicht, dass wir Angst vor Gott haben und mit Geld dafür bezahlen sollen, dass unsere Angst verschwindet.
Und er schreibt weiter, Satz um Satz, immer weiter, bis er bei der Nummer 95 angekommen ist. Dann legt er seine Schreibfeder beiseite, atmet tief durch und liest alles noch einmal sorgfältig vom Anfang bis zum Schluss durch. Er ist mit dem Ergebnis zufrieden, geht mit dem Plakat hinunter zum Eingang neben der Kirche, wo auch sonst wichtige Mitteilungen hingehängt werden und befestigt es neben den anderen. „Jetzt will ich mal sehen“, murmelt er vor sich hin, „was die anderen dazu sagen!“

Der nächste Tag ist ein Feiertag, Allerheiligen. Viele Leute kommen zum Gottesdienst, nicht nur die Studenten und ihre Lehrer, sondern auch all die anderen, die in der Stadt Wittenberg wohnen, der Bürgermeister und die Stadträte, die Bewohner des Schlosses, die Handwerker und Kaufleute. Vor dem Plakat bleiben sie stehen und lesen. Es gibt ein Gedränge, einer liest laut vor. Die anderen nicken immer wieder zustimmend. „Das ist das Beste, was ich seit langem gelesen habe“, meint einer. „Das sollten möglichst viele lesen!“ Ein anderer meint: „Dr. Martinus spricht mir aus der Seele. Was in der Bibel steht, zählt doch, nicht das, was der Bischof diesem Geldsammler-Mönch erlaubt hat!“
Auch der Buchdrucker kommt und hat gleich eine Idee: „Dr. Martinus“, fragt er, darf ich das Plakat mit in meine Werkstatt nehmen? Dann mache ich eine Zeitung daraus, und die können wir so oft drucken, wie wir es brauchen!“ Martinus ist einverstanden. Und der Buchdrucker meint noch: „Ich glaube, wir werden ab morgen in unserer Druckerwerkstatt sehr viel zu tun haben!“
 
Gesprächsimpulse
 - Wie denkst du über das, was der Mönch damals den Leuten erzählt hat? Was hättest du ihm geantwortet?
- Kannst du verstehen, warum Dr. Martinus ärgerlich wurde und das Plakat geschrieben hat?
- Hätte er lieber / noch etwas anderes tun können oder sollen?
- Kannst du dir vorstellen, wie die Zeitungen zu anderen Leuten gekommen sind und was die dazu gesagt haben?
- Sowohl der Mönch mit dem Geldkasten als auch Martinus haben ihre Meinung begründet. Weißt du noch, wie? Welche              
  Begründung überzeugt dich mehr und warum?
 
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