Paul Gerhardt und sein Sommerlied

 

Ziele

  • Einblicke gewinnen in das Leben und Wirken des Liederdichters Paul Gerhardt
  • Entdecken, wie seine Lieder in persönlichen Glaubenserfahrungen wurzeln
  • Wahrnehmen, wie Paul Gerhardt in seinem Sommerlied (Geh aus mein Herz…) konkretes Naturerleben in die Perspektive seiner Gottesbeziehung rückte
  • Sich mit diesem Lied zum eigenen Schauen, Lauschen und Staunen anregen lassen
  • Sich mit dem Gegensatz zwischen Gottes Liebe zu allen und dem Bösen in der Welt anhand des Liedes „Befiehl du deine Wege…“ auseinandersetzen

 

Vorüberlegungen

Paul Gerhardt ist neben Martin Luther der bedeutendste evangelische Liederdichter. Er wurde 1607 in Gräfenhainichen geboren, einem Städtchen an der Straße von Halle nach Wittenberg. Früh verlor er beide Eltern, erhielt seine Schulbildung in der Fürstenschule von Grimma. Er studierte Theologie in Wittenberg, dem damaligen Hort des Luthertums und wirkte als Hauslehrer zuerst in Wittenberg, dann in Berlin. Durch den Berliner Kantor Johann Crüger und dessen Sammlung von Kirchenliedern wurde er weitreichend bekannt. Als Pfarrer und Propst wirkte er in Mittenwalde, kehrte dann als Pfarrer (Archediakonus) nach Berlin zurück. Schwere Schicksalsschläge waren der frühe Tod von vier der insgesamt fünf Kinder und auch seiner Ehefrau nach nur dreizehn Ehejahren. Nach einer heftigen theologischen Auseinandersetzung mit seinem Kurfürsten wurde der von seinem Amt enthoben, ein Jahr später aber nach Lübben im Spreewald berufen, wo er sieben Jahre später (1676) starb.

Die Erzählung ist im Jahr 1653 angesiedelt. Es ist das Jahr, in dem etliche der bekanntesten Lieder Paul Gerhardts entstanden. Seine ersten Jahre im Pfarramt und der Propstei (verantwortlich auch für etliche Dörfer im Umkreis von Mittenwalde) und den damit verbundenen seelsorgerlichen Aufgaben haben auch seinem Liedschaffen wichtige Impulse gegeben.

Der Erzählrahmen ist frei erfunden: ein Gang von Mittenwalde zu einem der Dörfer in Begleitung des Mittenwalder Lehrers und Kantors samt einem Schulbesuch. In diesen Rahmen sind viele historisch belegte Begebenheiten eingezeichnet: die Entstehung des bekannten Sommerlieds „Geh aus, mein Herz (Ev. Gesangbuch 503), auch des Liedes „Du meine Seele singe (EG 302) und des Trostliedes „Befiehl du deine Wege“ (EG 361). Dazu kommen Rückblicke auf Paul Gerhardts Biografie, auch auf die Zeit nach den Zerstörungen durch den Dreißigjährigen Krieg (1618-48) in Mittenwalde, Stadtbrand und Pestepidemie, aber auch die Vorschau auf die baldige Heirat von Maria-Anna Berthold aus Berlin, aus dem Hause, in dem er als Hauslehrer tätig war.

Der Psalmvers „Befiehl dem Herrn deine Wege und hoffe auf ihn, er wird’s wohlmachen“ (Psalm 37,5) und das daraus entstandene Lied „Befiehl du deine Wege…“ erscheint in der Erzählung auch als ein Leitmotiv für Paul Gerhardts bisherigen Lebensweg. Es lädt dazu ein, auch das eigene Leben Gottes Geleit und Segen anzuvertrauen. Der Erzählabschnitt zu den Wahrnehmungen in der sommerlichen Natur regt zum Austausch über eigene Erfahrungen an und auch dazu, diese mit dem Lob Gottes und Nachdenken über Gottes Wirken in der Welt zu verbinden. Mit dem Lied „Befiehl du deine Wege…“ geht es auch um Anstöße zum Bedenken des spannungsreichen Zusammenhangs von Gottes Wirken und dem Bösen und Bedrängenden in der Welt.

 

Erzählung


An einem Sommertag im Jahr 1653 sind zwei Männer unterwegs von der Stadt Mittenwalde zu einem der nahe gelegenen Dörfer. Der eine ist Pfarrer Paul Gerhardt, der Stadtpfarrer von Mittenwalde, der andere der Lehrer und Kantor- also der Leiter des Schulchors, der oft mit den Schulkindern in den Gottesdiensten singt. Pfarrer Gerhardt muss sich auch um die Dörfer im Umkreis der Stadt kümmern, und dazu gehört der Unterricht an den Schulen. Aus diesem Grund sind die beiden unterwegs.

Sie haben gerade das Stadttor von Mittenwalde, das Berliner Tor hinter sich gelassen und schauen in der Morgensonne noch einmal zurück. Der Lehrer sagt: „Es ist ein Jammer, wenn ich sehe, was der lange, dreißig Jahre lange Krieg in unserem Städtchen angerichtet hat“. Er zeigt auf das Tor und den so genannten Pulverturm in seiner Nähe, die einsam zwischen den Resten der zerstörten Stadtmauer stehen. „Pfarrer Gerhardt, Sie sind erst gut eineinhalb Jahre bei uns. Sie haben zum Glück nicht miterleben müssen, wie die schwedischen Soldaten in unserer Stadt gewütet haben. Dann kam noch der große Brand in der Stadt dazu, der viele Häuser vernichtete, und schließlich die schlimme Pestseuche“. Er winkt ab: „Das haben Ihnen ja bestimmt schon viele Mitglieder unserer Gemeinde erzählt, die Sie so fleißig besuchen“. Paul Gerhardt nickt: „Es ist ja erst drei Jahre seit dem Kriegsende her. Da sind die Erinnerungen noch so frisch. Es ist noch so viel von der Not zu spüren, die die Menschen in dieser Stadt erleiden mussten“.

Der Kantor antwortet: „Sie können den Menschen so viel Tröstendes sagen – mit Ihren Worten, Gedichten und vor allem mit Ihren wunderbaren Liedern. Immer wieder kommen neue dazu. Ich übe sie sehr gerne mit den Kindern ein. Wir singen sie dann im Gottesdienst, üben sie mit der Gemeinde.. Wie im Nu sind sie dann wie ein neues Goldstück in der Schatzkiste unserer Kirchenlieder, mit der Sie uns so sehr bereichern“. Er hält inne und sagt dann noch: „Aber was erzähle ich Ihnen? Sie wissen es ja schon selbst. Es drängt mich eben dazu, mich bei Ihnen für Ihren Liederschatz zu bedanken. Paul Gerhardt lächelt bescheiden und meint dann: „Gott hat mir die Gabe zum Dichten geschenkt, und von dieser Gabe teile ich gerne aus“. Der Kantor antwortet: „Es sind so schöne Lieder, die uns das ganze Jahr hindurch, an Sonn- und Werktagen begleiten. Wir sind auch stolz darauf, dass sie bei uns in Mittenwalde entstehen und dann bald darauf im ganzen Land gesungen werden“.

„Genug des Lobes“, meint Pfarrer Gerhardt, „lasst uns jetzt nach vorne schauen auf unsere Aufgaben an diesem Tag. Wir haben in dem Dorf einige Besuche zu machen. Ich werde den alt und kränklich gewordenen Pfarrer aufsuchen. Wir werden gemeinsam einen Gottesdienst feiern“. Der Lehrer ergänzt: „Und ich freue mich besonders auf den Besuch bei den Schulkindern. Auch da kann zur Zeit nur notdürftig Unterricht gehalten werden. Ich möchte gerne auch dort mit den Kindern das eine oder andere von Ihren neuen Liedern einüben“. Der Pfarrer nickt zustimmend: „Sehr gerne!“
Dann, nach einer längeren Gesprächspause, meint der Lehrer: „Ein wunderbarer Morgen ist es heute. An solchen Tagen gehe ich gerne mit den Kindern hinaus ins Freie. Wir hören, lauschen und schauen. Es ist ein wahres Gottesgeschenk, wie nach den Zerstörungen durch den Krieg wieder so viel Schönes wächst und gedeiht“. Paul nickt und meint: „Mir bedeutet das Leben in und mit der Natur auch sehr viel“. So gehen sie schweigend weiter, lauschen und schauen. Sie hören das Morgengezwitscher der Vögel, das durch keine anderen Geräusche gestört wird, hören das Gesumm der Bienen und Hummeln, die sich eifrig Blüten suchen. Dazu kommt dann auch das Plätschern eines Baches, an dem sie gerade entlang gehen. Der Blick schweift weit über die Landschaft.

Dann meint Pfarrer Gerhardt: „Ich freue mich sehr, dass Sie mit den Kindern dieses Lauschen und Schauen einüben. Da können wir viel von Gottes Kraft spüren, die alles in der Natur durchdringt. Sie lässt immer wieder so viel Schönes wachsen und schenkt uns Freude, für die wir Gott danken können. Sie erinnert uns so auch daran, dass Gott viel Wunderbares für uns bereit hält, das wir jetzt noch gar nicht sehen und wissen, sondern nur ahnen können“. Der Lehrer hört aufmerksam zu, was Pfarrer Gerhardt sagt und meint dann ganz vorsichtig: „Sind das vielleicht schon Gedanken zu einem neuen Lied? Erlebe ich da gerade die Entstehung eines Sommerliedes mit, in dem es um Lauschen und Schauen, um Danken und Loben geht?“ Paul Gerhardt lacht: „Sie können wohl Gedanken lesen“, und dann murmelt er leise vor sich hin: „Geh aus, mein Herz und suche Freud in dieser lieben Sommerzeit an deines Gottes Gaben“.

Die beiden gehen schweigend weiter. Der Lehrer möchte seinen Pfarrer bei der Geburt des neuen Liedes nicht stören und denkt sich: „Was wird wohl in dem Lied von dem vorkommen, das wir an diesem wunderschönen Sommermorgen miteinander hören und sehen? Der Gesang der Vögel? Der Bach, an dem wir gerade vorbeigehen? Die Waldlichtung, auf der ein paar Rehe dahinhuschen? Ganz in der Ferne die Schafherde mit ihrem Hirten mit dem Blöken, das wir leise wie einen Windhauch hören? Die Weizenfelder, an denen wir vorbeikommen und die uns zeigen, dass es nicht mehr weit zum Dorf ist? Die sorgsam gepflegten Gärten der ersten Häuser? Das Storchennest auf dem alten Schulhaus, das wir bald besuchen werden? Das, was Pfarrer Gerhardt über Gott als den Geber aller Gaben gesagt hat?“ Er ist sehr gespannt auf das neue Lied.

Nachdem die beiden im Dorf angekommen sind, trennen sich ihre Wege. Der Pfarrer wird seine Gespräche mit dem Kollegen und dem Kirchenvorstand führen und er selbst in der Schule erst mal nach dem Rechten sehen. Er wird mit den Kindern das auch erst vor Kurzem entstandene neue Lied einüben: „Du meine Seele singe, wohlauf und singe schön…“ Dann wird auch Pfarrer Gerhardt mit dazu kommen und beiden werden mit den Kindern über dieses und auch andere Lieder sprechen.

Bald darauf ist es soweit. Die Kinder singen das Lied und Paul freut sich, wie gut sie es schon können. Dann fragt eines der Kinder: „Was ist das eigentlich, die Seele? Und wie kann sie singen?“ Pfarrer Gerhardt antwortet: „Auf dem Weg hierher haben wir beide so viel Schönes gesehen und gehört“. Und er erzählt ein bisschen davon. „Wir haben viel Freude in uns gespürt. Und dieses Spüren, das ist die Seele. Kennt ihr das auch?“ Die Kinder nicken und erzählen dann von ihren Erfahrungen.
Pfarrer Gerhardt erklärt dann weiter: „Unsere Seele ist wie eine Tür zu Gott. Wenn wir Freudiges erleben, haben wir auch Grund, anderen dafür zu danken – anderen Menschen und auch Gott. Er sorgt dafür, dass wir Grund zum Freuen haben. Denn von ihm kommt alles her“. Dann singen sie alle noch einmal die erste

Strophe des Liedes 
„Du meine Seele, singe, / wohlauf und singe schön
dem, welchem alle Dinge / zu Dienst und Willen stehn.
Ich will den Herren droben / hier preisen auf der Erd;
ich will Ihn herzlich loben, / solang ich leben werd.“

Pfarrer Gerhardt erklärt noch, was mit der Zeile gemeint ist: ‚Dem, welchem alle Dinge / zu Dienst und Willen stehn‘: „Es bedeutet: Alles Gute, das geschieht, hat seinen Grund darin, dass Gott es mit uns gut meint. Er will, dass es uns gut geht“.

Dann fragt ein anderes Kind: „Aber es ist doch oft auch so, dass es uns nicht gut geht. Dann sind wir traurig. Ist das auch die Seele? Kommt auch das Traurige von Gott?“ Jetzt spitzt auch der Lehrer die Ohren und ist gespannt, was Pfarrer Gerhardt dazu sagen wird. Der antwortet: „Es gibt Fragen, da passen Antworten einfach nicht zusammen. Wenn alles von Gott kommt, dann ist es auch das, was uns Kummer bereitet. Viel von dem kommt freilich auch von Menschen. In allem gilt: Ich glaube fest daran, dass Gott es gut mit uns meint. Die schweren Fragen und Sorgen machen so oft das Herz schwer und die Seele krank. Es ist dann so, wie wenn die Füße keine Kraft mehr haben zum Gehen, wie wenn schwere Steine auf dem Weg liegen, oder wie Schlamm, in dem man nur mühsam vorwärts gehen kann. So ging es uns auch heute Morgen, als wir beim Blick auf die Stadt Mittenwalde an die Not dachten, die so viele Menschen noch vor wenigen Jahren dort erleiden mussten. Aber da hilft nur eines: Gott darum zu bitten, dass er uns die Last von unserer Seele nimmt, das Herz wieder gesund werden lässt und den Weg wieder leicht. So heißt es auch in einem wichtigen Satz der Bibel: Vertraue darauf, dass Gott deinen Weg leicht macht. Hoffe darauf, dass er alles wieder gut werden lässt. ‚Befiehl dem Herrn deine Wege und hoffe auf ihn. Er wird es gut machten“.

Da schaltet sich der Lehrer ins Gespräch ein: „Pfarrer Gerhardt hat auch vor Kurzem dazu ein Lied gedichtet“. Und er singt den Kindern die erste Strophe vor: „Befiehl du deine Wege und was dein Herze kränkt der allertreusten Pflege des, der den Himmel lenkt. Der Wolken, Luft und Winden gibt Wege, Lauf und Bahn, der wird auch Wege finden, da dein Fuß gehen kann“. Und er fügt noch hinzu: „So leicht, wie die Wolken am Himmel dahin ziehen, so leicht werden auch unsere Füße sein, auch wenn der Weg nicht einfach ist. Dieser Satz aus der Bibel ist Pfarrer Gerhardt so wichtig geworden, dass er zu jedem Wort eine eigene Strophe gedichtet hat. Die werden wir dann gemeinsam lernen und singen, wenn ich wieder einmal zu euch komme“.

Auf dem Heimweg in die Stadt reden die beiden noch viel über ihre Gespräche im Dorf und vor allem in der Schule. „Ihre Lieder, lieber Pfarrer Gerhardt, sind eine so große Hilfe im Glauben“, sagt der Lehrer. „Sie sind so einprägsam und so gute Antworten auf die schwierigen Fragen“. Als sie wieder nahe beim Berliner Tor sind, wechselt er das Thema und meint: „In den eineinhalb Jahren, die Sie bei uns sind, ist zum Glück das Pfarrhaus wieder wohnlicher geworden. Ich habe mich geschämt dafür, dass es mit den Reparaturen so lange gedauert hat. Aber jetzt…“, er zögert, „wäre es denn nicht an der Zeit, einen eigenen Hausstand, eine eigene Familie zu gründen? Sie sind jetzt schon 46 Jahre alt, da wird es doch Zeit damit!“ Paul Gerhardt lächelt in sich hinein und denkt: „Wenn der wüsste, dass ich schon auf dem Weg dazu bin“.

Doch dann sagt er ernst: „Gott hat mich bisher meinen Weg geführt, und er wird mir auch weiterhin meinen Weg zeigen. Mein Lied ‚Befiehl du deine Wege….‘ das gilt auch für mich, das habe ich auch selbst immer wieder erfahren dürfen“. Und er erzählt von seinem eigenen Lebensweg: „Ein Jahr nach dem Beginn des schrecklichen Krieges, im Jahr 1619 starb mein Vater, zwei Jahre später auch meine Mutter. Mit dreizehn Jahren hatte ich also beide Eltern verloren. Die Fürstenschule in Grimma, die ich dann besuchte, in der ich wohnte und lernte, war zwar ein sicherer Ort für mich, abgeschirmt von außen. Aber dort wurde ein strenges Regiment geführt. Oft habe ich mich nach meinem Elternhaus gesehnt und oft fiel mir das Lernen schwer. Aber diese Schule war auch das Tor zu meinem Theologiestudium in Wittenberg. Auch dort war ich sicher vor feindlichen Soldaten. Und weil ich eine Stelle als Hauslehrer bekam, konnte ich insgesamt fünfzehn Jahre in Wittenberg bleiben, nahe bei den Glaubenslehren des Martin Luther, von denen ich viel hören und lesen konnte. Mein Weg führte mich dann nach Berlin, auch wieder als Hauslehrer“. Dann hält er inne. Dass er in diesem Haus auch Maria-Anna kennen und lieben gelernt hat, davon erzählt er noch nichts. Das werden die Leute in Mittenwalde noch früh genug erfahren. „Auch den Weg in den Ehestand wird Gott mir zur rechten Zeit weisen“, sagt er noch zu seinem Begleiter.

Als er zuhause angekommen ist, wartet eine freudige Überraschung auf ihn. Post ist angekommen, nämlich ein Brief von Maria-Anna und ein Päckchen von Johann Crüger, dem Kantor in Berlin, den er in seinen Berliner Jahren zum Freund gewonnen hat. Neugierig und auch ein bisschen aufgeregt öffnet er das Päckchen und hält ein Gesangbuch seines Freundes in seinen Händen. Aufmerksam liest er den Begleitbrief: „Lieber Paul! Mit großer Freude kann ich dir eines der ersten Gesangbücher mit den von mir gesammelten Liedern, die ich gerade in der Druckerei abgeholt habe, übersenden. In der Druckausgabe vor sechs Jahren waren es noch 18 Lieder von dir, die ich mit hineinnehmen konnte. Jetzt sind es schon 82 Lieder, die deinen Verfassernamen tragen. Schon mit dem ersten Gesangbuch sind deine Lieder überall bekannt geworden. Immer wieder habe ich gehört, wie gerne die Leute deine Lieder in der Kirche und auch bei ihren Hausandachten singen. Mit deinen 82 Liedern bist du jetzt schon neben Martin Luther der bekannteste Liederdichter“.

In Paul werden Erinnerungen wach an seine Begegnungen mit Johann Crüger – wie er ihm vorsichtig bescheiden selbst gedichtete Lieder gezeigt hat und der gleich davon begeistert war. Er hat ihn immer wieder dazu gedrängt, diese Lieder unters Volk zu bringen. „Gott wird mir meinen Weg zeigen“, hat er dann oft zu ihm gesagt. Jetzt weiß Paul: Zu diesem Weg gehört auch der Freund Johann Crüger mit seinem Liederbuch. Diese Freundschaft ist ein Gottesgeschenk für ihn.
Und dann noch der Brief von Maria-Anna! Ein zweites Geschenk an diesem Abend. Gleich nach dem Lesen schreibt er ihr einen Antwortbrief. Er berichtet ihr, wie er sich in Mittenwalde immer mehr zuhause fühlt und immer deutlicher spürt, wie das Städtchen ein zuhause für sie beide werden kann. Er schreibt auch von seinem Weg durch die sommerliche Natur und über die Gespräche mit seinem Begleiter, von ihren gemeinsamen Beobachtungen an Pflanzen und Tieren. Aber nach ein paar Zeilen hält er inne. Dann schreibt er in der Form des gereimten Gedichts weiter, schreibt sein Sommerlied „Geh aus mein Herz und suche Freud…“ mit den vielen Strophen.


1) Geh aus, mein Herz, und suche Freud
in dieser lieben Sommerzeit
an deines Gottes Gaben;
schau an der schönen Gärten Zier
und siehe, wie sie mir und dir
sich ausgeschmücket haben,
sich ausgeschmücket haben.

 

2) Die Bäume stehen voller Laub,
das Erdreich decket seinen Staub
mit einem grünen Kleide;
Narzissus und die Tulipan,
die ziehen sich viel schöner an
als Salomonis Seide,
als Salomonis Seide.

 

3) Die Lerche schwingt sich in die Luft,
das Täublein fliegt aus seiner Kluft
und macht sich in die Wälder;
die hochbegabte Nachtigall
ergötzt und füllt mit ihrem Schall
Berg, Hügel, Tal und Felder,
Berg, Hügel, Tal und Felder.

 

4) Die Glucke führt ihr Völklein aus,
der Storch baut und bewohnt sein Haus,
das Schwälblein speist die Jungen,
der schnelle Hirsch, das leichte Reh
ist froh und kommt aus seiner Höh
ins tiefe Gras gesprungen,
ins tiefe Gras gesprungen.

 

5) Die Bächlein rauschen in dem Sand
und malen sich an ihrem Rand
mit schattenreichen Myrten;
die Wiesen liegen hart dabei
und klingen ganz vom Lustgeschrei
der Schaf und ihrer Hirten,
der Schaf und ihrer Hirten.

 

6) Die unverdrossne Bienenschar
fliegt hin und her, sucht hier und da
ihr edle Honigspeise;
des süßen Weinstocks starker Saft
bringt täglich neue Stärk und Kraft
in seinem schwachen Reise,
in seinem schwachen Reise.

 

7) Der Weizen wächset mit Gewalt;
darüber jauchzet jung und alt
und rühmt die große Güte
des, der so überfließend labt
und mit so manchem Gut begabt
das menschliche Gemüte,
das menschliche Gemüte.

 

8) Ich selber kann und mag nicht ruhn,
des großen Gottes großes Tun
erweckt mir alle Sinnen;
ich singe mit, wenn alles singt,
und lasse, was dem Höchsten klingt,
aus meinem Herzen rinnen,
aus meinem Herzen rinnen.

 

9) Ach, denk ich, bist du hier so schön
und lässt du's uns so lieblich gehn
auf dieser armen Erden:
was will doch wohl nach dieser Welt
dort in dem reichen Himmelszelt
und güldnen Schlosse werden,
und güldnen Schlosse werden!

 

10) Welch hohe Lust, welch heller Schein
wird wohl in Christi Garten sein!
Wie muss es da wohl klingen,
da so viel tausend Seraphim
mit unverdrossnem Mund und Stimm
ihr Halleluja singen,
ihr Halleluja singen.

 

11) O wär ich da! O stünd ich schon,
ach süßer Gott, vor deinem Thron
und trüge meine Palmen:
so wollt ich nach der Engel Weis
erhöhen deines Namens Preis
mit tausend schönen Psalmen,
mit tausend schönen Psalmen.

 

12) Doch gleichwohl will ich, weil ich noch
hier trage dieses Leibes Joch,
auch nicht gar stille schweigen;
mein Herze soll sich fort und fort
an diesem und an allem Ort
zu deinem Lobe neigen,
zu deinem Lobe neigen.

 

13) Hilf mir und segne meinen Geist
mit Segen, der vom Himmel fleußt,
dass ich dir stetig blühe;
gib, dass der Sommer deiner Gnad
in meiner Seele früh und spat
viel Glaubensfrüchte ziehe,
viel Glaubensfrüchte ziehe.

 

14) Mach in mir deinem Geiste Raum,
dass ich dir werd ein guter Baum,
und lass mich Wurzel treiben.
Verleihe, dass zu deinem Ruhm
ich deines Gartens schöne Blum
und Pflanze möge bleiben,
und Pflanze möge bleiben.

 

15) Erwähle mich zum Paradeis
und lass mich bis zur letzten Reis
an Leib und Seele grünen,
so will ich dir und deiner Ehr
allein und sonsten keinem mehr
hier und dort ewig dienen,
hier und dort ewig dienen.

 

Gesprächsanregungen

  • Aufmerksam haben die beiden Wanderer die Natur beobachtet, gelauscht und gestaunt und dabei auch an Gott gedacht. Was davon hast du in Paul Gerhardts Lied „Geh aus, mein Herz…“ wiedererkannt?
  • Bei dem Gespräch in der Schule hat ein Kind gefragt, ob auch das Traurige von Gott kommt. Kannst du dich an die Antwort von Pfarrer Gerhardt erinnern? Welche Gedanken kommen dir zu dieser Frage?
  • Wie macht man es, seine Sorgen Gott anzuvertrauen? Was kann man dabei von Gott erwarten?
  • Auf dem Heimweg hat Paul Gerhardt seinem Begleiter einiges von seiner Lebensgeschichte erzählt. An was kannst du dich erinnern? Was war für ihn wohl besonders schwierig gewesen?
  • Die Geschichte erzählt auch von Menschen, die ein Gottesgeschenkt für ihn waren. Woran kannst du dich erinnern? Welche Menschen sind für dich ein Gottesgeschenk?
  • Unzählig viele Menschen haben sich in ihrem Vertrauen auf Gott von Paul Gerhardts Liedern begleiten lassen. Kannst du dir das auch für dich vorstellen? Gibt es auch solche Lieder aus unserer Zeit für dich? Was gefällt dir an ihnen gut?

 

Zurück zu Geschichten des Monats