Nathans schwieriger Auftrag (2. Samuel 11-12)

Vorüberlegungen

Diese Geschichte des Monats schließt unmittelbar an die vorangegangene zu König David an. Sie stellt dem Idealbild des Königs nach Gottes Willen die Realität seines Machtmissbrauchs gegenüber. Sie zeigt auch, dass der biblische Erzählungzyklus vom Weg Davids von seiner Salbung durch den Prophet Samuel
(1. Samuel 16) bis zur Verleihung seiner Königswürde und seiner Herrschaft im Staat Israel und Juda die dunklen Seiten seines Wirkens nicht ausgeklammert hat: David nimmt sich die verheiratete Bathseba zur Frau, zerstört damit deren Ehe mit Uria und treibt den in den Tod.

Die historischen Bezüge machen zugleich auf allgemeinmenschliche Verfehlungen und Herausforderungen aufmerksam. Sie sind ein Beispiel dafür, wie es nach auf sich geladener Schuld weitergehen kann, wie das Eingeständnis von Schuld und Reue mit der zugesprochenen Vergebung einen Neuanfang möglich macht. Dazu gehört freilich auch, sich den Folgen aus dem Fehlverhalten zu stellen. In der biblischen Vorlage ist dies der Tod des ersten Kindes aus Davids Beziehung zu Bathseba, den er hinnehmen muss. Dies wird allerdings in der Nacherzählung nicht thematisiert, weil das damalige Verständnis des Kindes als ‚Besitz‘ des Vaters, damit gewissermaßen als etwas Sächliches, uns - und vor allem Kindern - heute fremd und unverständlich ist.

Neben der Dramatik des Geschehens gibt die Erzählung auch einen anschaulichen Einblick in das Wesen von Gleichnissen: Als erdachte Geschichten können sie in eindringlicher Weise wichtige Botschaften vermitteln.

Ziele

  • sich bewusst machen, wie Machtausübung Menschen verändern kann
  • nachempfinden, wie sehr Nathan mit dem an ihn ergangene Auftrag herausgefordert wurde
  • bedenken, was Gleichnisgeschichten bewirken können
  • wahrnehmen, wie das Eingeständnis von Schuld das Tor zu einem neuen Anfang öffnen kann

Erzählung

Nathan, der Gottesbote, kommt gerade von einer seiner regelmäßigen Besuche beim König David zurück. Seine Aufgabe ist es nämlich, den König immer wieder an seinen besonderen, ihm von Gott anvertrauten Auftrag zu erinnern. Der König hat seine Macht und Herrschaft von Gott bekommen, um dafür zu sorgen, dass die Menschen in seinem Königreich in Frieden und Gerechtigkeit miteinander leben können.

Heute geht Nathan nachdenklicher als sonst durch die Gassen der Königsstadt Jerusalem. „Der König hat sich verändert“, murmelt er vor sich hin. Immer wieder wandern seine Gedanken zu dem Gespräch mit David, das er vorhin geführt hat. Der wollte ihm eigentlich nur erzählen, wie er seine Königsgebäude noch edler und prächtiger ausgestalten könnte. Als Nathan ihm von Sorgen etlicher Menschen in der Stadt und den Orten in der Umgebung berichten wollte, hat der gar nicht richtig zugehört. Und als Nathan den König fragte, woher denn das Geld für die geplante Verschönerung des Palasts kommen soll, da hat David nur überlegen gelächelt und kurz angebunden gemeint: „Dann werden einfach die Steuern und Abgaben im Land erhöht. So nehme ich mir von meinen Untertanen das Geld, das ich haben will. Schließlich bin ich ja der König!“

Nathan hat keinen Blick dafür, was in Jerusalem in den letzten Jahren alles so schön geworden ist. „Ich nehme mir eben, was ich haben will“, hatte der König gesagt. Dieser Satz geht Nathan immer wieder durch den Kopf. Ob dem König klar ist, dass das überhaupt nicht zu dem Auftrag passt, den er von Gott bekommen hat? „So kann der König nie und nimmer der gute Hirte seines Volks sein“, murmelt Nathan vor sich hin. Dann seufzt er tief und sagt zu sich: „Kommt Zeit, kommt Rat. Gott wird mich wissen lassen, was ich zu tun habe“. Zuhause angekommen, widmet er sich dann anderen Aufgaben, die auf ihn warten.

Einige Tage später bekommt der Prophet Nathan Besuch von einem Diener des Königs. „Der König weiß nicht, dass ich hier bin“, sagt er. „Aber ich muss einfach los werden, was ich beim ihm gesehen und gehört habe“. Nathan ist gespannt und der Diener berichtet: „Wenn sich der König nur Sachen nimmt, also Dinge, die eigentlich anderen gehören, dann mag das ja noch zu ertragen sein. Aber jetzt hat er einem treuen Soldaten - Uria heißt er - seine Frau weggenommen. Sie hat ihm gut gefallen, er hat sich in sie verliebt und zu seiner eigenen Frau gemacht“.

Nathan ist entsetzt. „Und was ist mit Uria?“ fragt er den Diener, und der antwortet ihm. „Den hat der König in einen Abwehrkampf gegen Eindringlinge in unser Land geschickt – in einen Kampf, den er nicht überleben konnte“. Dann schweigen beide und Nathan meint nach einer Weile: „Das heißt, der König hat dafür gesorgt, dass Uria nicht lebendig zurückkehrt?“. Der Diener nickt zustimmend. Dann verabschiedet er sich und kehrt zurück zum Königshaus.

Nathan ist innerlich aufgewühlt. Laut sagt er vor sich hin: „Was soll nur aus diesem König werden? Er hat anscheinend ganz und gar vergessen, dass er von Gott den Auftrag bekommen hat, ein König des Friedens und der Gerechtigkeit zu sein!“ In der Nacht findet er keinen Schlaf. Dann wird ihm klar und deutlich, was jetzt sein Auftrag ist, den Gott ihm anvertraut hat: Er wird zum König gehen müssen und ihm sagen, dass er gegenüber Gott und seinen Mitmenschen schuldig geworden ist. Er hat ihn zu der Einsicht zu bringen, dass er schwere Schuld auf sich geladen hat. Nathan sucht nach geeigneten Worten, mit denen er mit dem König ins Gespräch kommen kann. Aber immer wieder schüttelt er den Kopf und murmelt vor sich hin: „Nein, wenn ich ihn direkt zur Rede stelle, wird das nur seinen Widerstand und seine Ablehnung stärken. Und wenn er mich dann hinauswirft, habe ich meinen Auftrag verfehlt. „Mein Gott“, betet er, „hilf mir doch, die richtigen Worte zu finden, mit denen ich den König zur Einsicht bringen kann!“ Dann plötzlich hat er eine Idee. „Das ist gut so“, murmelt er vor sich hin, „wenn Gott mir beisteht, könnte so mein Auftrag gelingen“. Und jetzt findet er auch den Schlaf.

Am nächsten Morgen meldet er sich beim König zum Gespräch, so wie er es sonst auch immer getan hat. Der König begrüßt ihn freundlich, so, als ob nichts geschehen wäre. „Ich muss dir etwas berichten“, beginnt Nathan. „Es geht um einen Mann, der nicht viel zum Leben hatte, nur das Allernötigste. Sein einziger Reichtum war ein Schäflein, das er in sein Herz geschlossen hat. Liebevoll sorgte er für das Tier. Er freute sich, wenn er spürte, dass sein Schaf auch ihn gern hatte. Er verzichtete auf so manches Gute für sich, um es stattdessen seinem Schäfchen zukommen zu lassen. Es war ihm wie ein guter Freund, mit dem er gerne sein Leben teilte. Dieser Mann hatte einen reichen und mächtigen Nachbarn. Der hatte viele Schafe, für die seine Hirten sorgten. Als er zu einem Fest einlud, sollte auch ein Lamm geschlachtet werden. Aber der reiche Mann wollte keines aus seiner eigenen Herde dafür hergeben. Da kam ihm eine Idee und er beschloss, dem armen Nachbar dessen einziges Schaf wegzunehmen und schlachten zu lassen“.

Jetzt macht Nathan eine Pause. Wie soll er weiterreden? Die Geschichte mit dem armen Mann und seinem Schaf ist zu Ende. Jetzt muss es um den König selbst gehen. Nathan wartet und schaut den König an. Er erschrickt zunächst, als sich in dessen Gesicht Zornesfalten zeigen und er rot vor Wut wird. „Ist jetzt alles verloren?“ schießt es ihm durch den Kopf. Aber der König ruft: „Wer ist dieser Mann? Ich will ihn hart bestrafen!“ Nathan nimmt jetzt alle seine innere Kraft zusammen und ruft zurück: „Du selbst bist dieser Mann!“ Dann beobachtet er mit höchster Anspannung den König. Versteht er, was Nathan zu ihm gesagt hat? Wird ihm bewusst, dass er es ist, der große Schuld auf sich geladen hat?

Der Zorn ist aus Davids Gesicht verschwunden. Der König wirkt jetzt matt und in sich gekehrt. Die beiden Männer schweigen weiter. Nathan spürt, dass er seinen Auftrag erfüllt hat. Dann durchbricht der König mit leiser, schwacher Stimme das Schweigen. „Ja, ich habe große Schuld auf mich geladen“, bekennt er. „Kann ich denn überhaupt noch König nach Gottes Willen sein?“ Das ist der Anfang eines langen Gesprächs der beiden. Es geht um Schuld und Vergebung. Nathan versichert dem König, dass echte Reue für David auch ein neuer Anfang für ihn sein kann, ein erneuter Anfang als König nach Gottes Willen. Gemeinsam bedenken sie, wie David fortan sein Verhalten so ändern kann, dass es diesem Auftrag gerecht wird.

Als Nathan danach in sein Haus zurückkehrt, ist er erleichtert und glücklich über dieses Gespräch mit dem König, aber auch müde und erschöpft. Immer wieder wandern seine Gedanken zurück zu seinen Worten und denen des Königs. Immer wieder sagt er vor sich in: „Danke Gott, dass meine Begegnung mit dem König uns beide zu so einem guten Ziel geführt hat!“ Und er weiß auch, dass er den König auf seinem neuen Weg als König nach Gottes Willen weiterhin zu begleiten hat.

 

Gesprächsanregungen

  • Nathan hatte schon früher bemerkt, dass sich der König verändert hatte. Was waren wohl die Gründe für diese Veränderungen?
  • Welche Ereignisse an diesen Tagen wird Nathan wahrscheinlich nie vergessen haben?
  • Was hat wohl die Geschichten von dem armen und dem reichen Mann dazu beigetragen, dass sich der König zu seiner Schuld bekannt hat?
  • Woran konnte Nathan wohl erkennen, dass es der König mit seiner Reue ernst meinte?
  • Im Rückblick war der König seinem Prophet Nathan sicherlich dankbar. Für was hatte er sich bei ihm wohl ausdrücklich bedankt?

 

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