Die Heilung der Frau mit dem gekrümmten Rücken (Lukas 13) - zweierlei Sichtweisen

Vorüberlegungen

Im Lukasevangelium wird von der Heilung einer Frau erzählt, die unter einem verkrümmten Rücken litt. Seit 18 Jahren war sie krank – eine lange Zeit, die mit dieser genauen Zeitangabe ein krank machendes Ereignis vermuten lässt. Krummer Rücken, das steht auch für eine niederdrückende Last, die schwer zu schaffen macht. Es steht zudem für einen eingeschränkten Gesichtskreis und damit für Distanz zu anderen.
In der Synagoge nimmt Jesus das Bedrückende, Belastende von ihr. Es geschieht durch aufrichtende Worte und Gesten der Wertschätzung und Achtung ihrer Würde, durch heilende Nähe.

Der Heilung folgt ein Disput mit dem Synagogenvorsteher, der die mit der Heilung begangene Übertretung des Sabbatgebots moniert. Dieser zweite Erzählteil hat sein eigenes Thema und wird deshalb wieder einmal in einer zweiten Geschichte aufgenommen. Sie erzählt das Ereignis aus der Sicht des Synagogenvorstehers. Damit ist auch das Thema der Woche eingeleitet: der Widerstand, auf den Jesus trifft und der mitbestimmend für die Wendung nach Jerusalem ist.

 

Erzählung A: Von drückender Last befreit

Heute am Sabbat, dem Feiertag der Woche, ist Hanna früh aufgestanden. Sie will sich in Ruhe fertig machen für den Besuch der Synagoge. Das ist das Bethaus, in dem der Gottesdienst stattfindet. Hanna braucht für das Waschen und Anziehen länger als andere Leute. In den letzten Jahren ist ihr Rücken immer krummer geworden. Etwas liegt auf ihr wie eine schwere Last, aber davon erzählt sie niemand. Still trägt sie diese Last mit sich herum. Was anderen leicht von der Hand geht, macht ihr viel Mühe. Wenn sie sich bückt, schmerzt der Rücken, so dass sie immer wieder Pausen bei ihrer Hausarbeit machen muss. Und wenn sie daran denkt, dass sie bald wieder den Wasserkrug vom Stadtbrunnen nach Hause tragen muss, drückt es schon wie ein großer, schwerer Stein auf ihrem Rücken.

Hanna schickt sich so gut es geht, damit sie möglichst bald mit dem Waschen, Kämmen und Anziehen fertig ist. Sie ist neugierig auf den Gast, der heute in der Synagoge die Predigt halten wird. Auch wenn sie wegen ihrem krummen Rücken kaum etwas von ihm sehen wird – auf das Zuhören freut sie sich schon. Beim Anziehen ihres Festtagskleides aber denkt sie sich: „Warum soll ich mich eigentlich schön machen? Die anderen achten doch nur auf meinen krummen Rücken, und ich kann ihnen auch gar nicht ins Gesicht sehen“. Aber dann murmelt sie: „Heute ist Feiertag. Da muss ich nichts schleppen. Das ist für meinen Rücken ein Festtag. Dafür kann ich wohl mein Festtagsgewand anziehen“. Und schon schlüpft sie hinein.

Auf dem Weg zur Synagoge sieht sie eigentlich nur die Steine vor sich, und von den anderen Leuten vor allem die Füße und die Beine. Von den Gesichtern sieht sie nur wenig, da müsste sie sich strecken, und das tut weh. Im Bethaus rückt sie in die letzte Reihe hinein. Da wird sie von den anderen nicht so beachtet. Das ist ihr lieber so.

Der Prediger - Jesus heißt er - beginnt, und Hanna hört aufmerksam zu. „Kommt zu mir, ihr Mühseligen und Beladenen“, ruft er in die Menge, „ich will euch aufrichten!“. – „Wie meint der das wohl“, denkt sich Hanna, „ob der wohl weiß, wie mich mein Rücken drückt?“ Jesus spricht weiter: „Ich will euch zeigen, wie es gemeint ist, dass im Namen Gottes Menschen frei werden sollen von ihrer Last“. Neugierig hebt Hanna den Kopf, so gut sie es kann, und schaut zu dem Prediger hin. Und da sieht sie, wie Jesus genau sie anschaut. „Meint der mich“, denkt sich Hanna, und erschrickt dabei fast ein bisschen. Jetzt hört sie diesen Jesus sagen: „Du, Hanna, ganz hinten in der letzten Reihe, komm nach vorne zu mir, dir und damit auch allen anderen will ich zeigen, wie meine Worte gemeint sind!“

Hanna zögert. Alles sträubt sich in ihr, unter den Blicken der vielen anderen nach vorne zu gehen. Die Gedanken schwirren ihr durch den Kopf. Es ist doch gar nicht erlaubt, dass sie als Frau zum Tisch mit der Heiligen Schrift geht. Heute, am Sabbat, da darf doch auch dieser Prediger nichts anderes tun als predigen, und zu was soll sie dann nach vorne gehen? Doch Jesus nickt ihr aufmunternd zu und sagt noch einmal ganz freundlich zu ihr: „Hanna, hab keine Angst, komm zu mir nach vorne. Ich helfe dir!“ Da steht sie auf und geht langsam mit ihrem krummen Rücken und mit kleinen Schritten nach vorne, dorthin, wo Jesus steht.

Der nimmt sie behutsam bei ihren Schultern und sagt: „Meine Botschaft in Worten soll jetzt bei dir zur Tat werden. Hanna, sei frei von dem, was dich niederdrückt. Sei frei von dem, was wie eine schwere Last auf deinem Rücken liegt, was dir das Leben schwer macht und dich daran hindert, dich mit den anderen am Leben zu freuen“. Jesus bückt sich zu ihr, so dass er ihr ganz nahe ist und in die Augen sehen kann und richtet sich gemeinsam mit ihr auf. Dabei sagt er laut, so dass es auch die anderen hören können: „Auch du bist ein Kind Gottes, wie eine Tochter unseres Urahns Abraham, so wie wir anderen auch. Du bist kostbarer als der schönste Edelstein“. Und so steht sie jetzt da in ihrem Feiertagsgewand, gerade und mit aufrechtem Blick. Die anderen alle sind stumm vor Erstaunen. Und in die Stille sagt Jesus noch: „Heute ist Festtag für Hanna, heute beginnt für sie alles neu.“

Da kommt Bewegung in die Menge. Viele kommen nach vorne, beglückwünschen Hanna und sagen: „Schön siehst du aus. Jetzt sehen wir erst richtig, wer du bist. Jetzt wissen wir erst richtig, dass du zu uns dazugehörst“. Dann ist der Gottesdienst zu Ende. Aber für Hanna geht es festlich weiter – ganz anders, als sie es sich je hätte vorstellen können.


Erzählung B: Der Sabbat muss Ruhetag bleiben

Simon ist der Synagogenvorsteher im Ort. Die Woche über hat er viel zu tun mit Besuchen von Mitgliedern seiner Gemeinde. Er steht vielen mit Rat und Tat zur Seite, besucht Kranke und tröstet sie. Er unterrichtet Kinder, damit sie sich gut in der Heiligen Schrift auskennen und die Bräuche und Regeln beachten, die für die Mitglieder der jüdischen Gemeinde wichtig sind.

Gestern hat er mit den Kindern über den Sabbat gesprochen. Er hat ihnen erklärt, dass man Juden am besten daran erkennen kann, dass sie am Sabbat keinerlei Arbeit verrichten. „Die Zehn Gebote und Mose haben uns das eingeschärft“, hat er den Kindern erklärt. „Du sollst den Feiertag heiligen“, so steht es in der Schrift. Das gilt wirklich für alle!“ Die Kinder haben Fragen gestellt: „Gilt das auch für Knechte und Mägde im Haus?“ Simon nickte. „Auch für Tiere?“ Wieder nickte der Rabbi zustimmend. „Aber essen darf man schon“, meinte einer. „Ja“, erwiderte der Rabbi, „das ist ja keine Arbeit und außerdem lebensnotwendig. Und dazu kommt, dass der Sabbat ja kein Fastentag ist, sondern ein Festtag. Und dazu gehört Essen und Trinken“. Aber, „so fügte er mit erhobener Stimme hinzu, „die Vorbereitung der Speisen und Getränke muss man am Tag vorher erledigen“. Die Kinder suchten noch andere Beispiele: „Und wenn Leute krank sind, brauchen die am Sabbat auch Pflege“. – „Ja“, antwortete der Rabbi, „aber nur, was sie wirklich brauchen und was nicht aufgeschoben werden kann“. – „Zum Beispiel, wenn ein Unfall passiert“. – „Genau“, antwortete der Rabbi. Und dann sagte er nach einer kurzen Pause noch mit mahnender Stimme: „Wenn man hier nicht genau unterscheidet, ist die Arbeit wie ein Gift, das langsam in den Sabbat eindringt und ihn zerstört“. Beeindruckt nickten die Kinder.

Gestern hat Simon auch alles in der Synagoge für den heutigen Gottesdienst hergerichtet. Er hat genau geplant, dass er bis zum Einbruch der Dunkelheit, dem Beginn des Sabbats, damit fertig war. Er lächelt, weil Kinder gestern auch gefragt hatten, ob Predigen am Sabbat auch Arbeit ist. „Das könnte euch so passen, ihr Schlingel“, hat er geantwortet.

Zufrieden steht er jetzt am Sabbatmorgen in seiner Synagoge und wartet auf die Gottesdienstbesucher und ganz besonders auf den heutigen Gastprediger Jesus, von dem er schon manches gehört hat. „Der soll einen guten Eindruck von meiner Vorbereitung haben“, murmelt er vor sich hin. „Der soll erleben, dass ich es wirklich ernst meine mit den Geboten“. Er wirft noch einen prüfenden Blick ringsum, ob wirklich alles in Ordnung ist und nickt dann zustimmend.
Und da kommen auch schon die ersten Besucher. Er begrüßt sie alle und ganz besonders Jesus, den heutigen Gast. Er ist gespannt auf seine Predigt. Da kommt dann später auch noch Hanna mit ihrem krummen Rücken. „Für sie ist der Weg hierher wirklich schwere Mühe und Arbeit gewesen“, denkt er sich. „Gut, dass die Kinder mit ihren spitzfindigen Fragen nach den Ausnahmen nicht auf diesen Gedanken gekommen sind“.

Der Gottesdienst beginnt. Es geht alles seinen gewohnten Gang. Auch die Predigt ist für den Rabbi ganz in Ordnung, in der Rabbi Jesus von Gottes Liebe spricht, die allen Mut macht, ganz besonders denen, die sie dringend brauchen. Aber dann ist er überrascht: „Kommt zu mir her, ihr Mühseligen und Beladenen, ich will euch aufrichten“, hat er gerade gesagt. „Wen meint er jetzt genauer damit?“ denkt er sich noch. Und dann geschieht das Seltsame, dass der Rabbi Jesus die Hanna bittet, nach vorne zu kommen. Er will es an ihr zeigen. Simon achtet jetzt ganz genau auf alles, was da vorne geschieht. Denn da scheint etwas aus der gewohnten Ordnung zu geraten. Dass Jesus eine Frau nach vorne ruft, das kann Simon dem Rabbi Jesus noch verzeihen, aber jetzt…. Er sieht, wie Jesus sich zu der Frau hin beugt, sie sanft bei ihren Schultern nimmt und behutsam aufrichtet. Simon denkt an das gestrige Gespräch mit den Kindern. „Das ist Arbeit, die am Sabbat verboten ist“, schießt es ihm durch den Kopf, „denn die ist für Hanna jetzt nicht lebensnotwendig. Die kann auch morgen geschehen“.

Er reckt und streckt sich, unterbricht die Worte Jesu und erklärt ihm und allen Anwesenden, was ihm gerade sonnenklar geworden ist. „Ich möchte das nur gesagt haben“, ergänzt er noch, „damit niemand denkt, wir nehmen es nicht genau mit dem Sabbatgebot!“ Er will sich gerade wieder zufrieden hinsetzen, da antwortet ihm Jesus mit einer Frage: „Ist es erlaubt, eine Kuh, die am Sabbat in den Brunnen gefallen und unter starken Schmerzen leidet, an diesem Tag auch wieder herauszuziehen?“ Simon denkt seufzend: „Ich komme in diesen Tagen wohl überhaupt nicht von diesen Fragen zum Arbeiten am Sabbat los!“ Er antwortet: „Ja, das ist erlaubt. Aber Hanna hätte auch bis morgen warten können. Sie ist ja schließlich nicht verunglückt. Das müsste doch für alle klar sein, oder?“ Aber Jesus offensichtlich nicht, denn er bohrt weiter: „Seit achtzehn Jahren leidet Hanna an ihrer Krankheit. Da ist jeder Tag zu viel, den sie leiden muss. Und außerdem ist der Sabbat ein Festtag, an dem wir feiern, dass Gott es gut mit uns meint. Wir essen und trinken, ruhen von der Arbeit und lassen es uns gut gehen. Dieser Tag heute soll ein Sabbatfest für Hanna sein, das sie in ihrem Leben nie mehr vergisst!“

Jetzt ist Simon um eine Antwort verlegen, und außerdem will er nicht, dass dieser Gottesdienst in einen Streit ausartet. Es ist schon genug Unordnung hineingekommen. Er setzt sich hin und spürt, dass sehr viele seiner Gemeindemitglieder, die gewohnt sind, auf ihn zu hören, heute auf der Seite von Jesus stehen. Das ärgert ihn gewaltig und er murmelt noch unhörbar vor sich hin: „Eines weiß ich bestimmt. Diesen Rabbi werde ich nie wieder als Gastprediger in unsere Synagoge einladen“. Als der Ärger dann verraucht ist, kommt er aber doch noch ins Grübeln, was dieser Rabbi Jesus gesagt und getan hat.

 

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