Neue Aufgaben für Philipp Melanchthon: Vorbereitung des Augsburger Reichstags 1530

Vorüberlegungen

Das Jahrzehnt zwischen den Reichstagen von Worms 1521 und Augsburg 1530 war von der Entstehung reformatorischer Kirchenstrukturen und –ordnungen in den Territorien der evangelisch gesinnten Fürsten und Mehrheiten in den Reichsstädten bestimmt. Das war möglich, weil dem Kaiser, der ja auch weiterhin auf die religiöse Einheit des Reichs pochte, wegen außerpolitischer Zwänge die Hände gebunden waren. So bestätigte der Reichstag in Speyer 1526 den Stand der Entwicklungen. Das allerdings änderte sich mit dem Reichstag in Speyer 1529, auf dem die Zugeständnisse an die evangelische Seite vor drei Jahren widerrufen wurden. Die Ächtung der reformatorischen Bewegung war damit wieder in Kraft gesetzt. Protestierend verließen die ‚protestantischen‘ Fürsten die Verhandlungen. Unter diesem Eindruck begannen die Vorbereitungen des für 1530 nach Augsburg einberufenen Reichstags. Jetzt galt es dem inzwischen entstandenen politischen Bündnis der evangelischen Territorien auch eine verbindende theologische Grundlage zu geben, um sich so besser gegen die von altgläubiger Seite zu erwartenden Vorwürfe der Ketzerei wehren zu können.

Dabei wurden zwei Ziele verfolgt. Der Kaiser sollte in seiner Bereitschaft bestärkt werden, die schon lange angemahnten Missstände in den katholischen Traditionen abzuschaffen. Zum anderen sollte er auch um des Friedens willen in seinem Bestreben unterstützt werden, die Einheit des christlichen Glaubens wiederherzustellen, allerdings ohne die für evangelisches Verständnis unverzichtbaren Errungenschaften zurückzuweisen. Diese sehr anspruchsvolle und realistischer Weise ziemlich aussichtslos erscheinende Aufgabe wurde Philipp Melanchthon übertragen. Es war wohl allen bewusst, dass ein Scheitern des Vorhabens einen Krieg zwischen den gegensätzlichen Parteien wahrscheinlicher machte.

Die Erzählung zeichnet nach, wie bei dem vorbereitenden Treffen in Torgau Melanchthon diese schwere Aufgabe übertragen wird. Er tritt damit endgültig aus dem Schatten seines bisher dominierenden Freundes Martin Luther heraus und wird zur eigenständigen Führungspersönlichkeit der Reformation. Jetzt ist – vielleicht zum letzten Mal - die Zeit für das Ausloten möglicher Gemeinsamkeiten zwischen dem alten und neuen Glauben gekommen. Da ist niemand geeigneter als er – allerdings mit dem Risiko, sich in den Versöhnungsbestrebungen beide Seiten zu Gegnern zu machen.

Kinder können sich sicherlich gut hineinfinden in Philipp Melanchthons Herausforderungen und auch in seine Chance, in der Freundschaft mit Martin Luther fortan der eigenen Persönlichkeit mehr Ausdruck zu geben. Was er bei Luthers Abwesenheit auf der Wartburg noch nicht schaffte, soll jetzt gelingen.

 

Erzählung

„Eine neue Nachricht vom Kurfürst ist da!“ Georg Spalatin, der Berater von Fürst Johann, dem Bruder und Nachfolger Friedrichs, hat die Wittenberger Reformatoren zusammengetrommelt und er erklärt: „Kaiser Karl plant wieder einen Reichstag, diesmal in Augsburg. Dort will er endgültig die Streitigkeiten zur Reformation beenden. Unser christlicher Glaube soll wieder für alle der gleiche sein. Der Kurfürst lädt ein zu Gesprächen in sein Schloss in Torgau, wo er sich zur Zeit aufhält. Dort wollen wir uns gemeinsam auf diesen Reichstag vorbereiten. Für uns steht dort einiges auf dem Spiel“.

Schon in den nächsten Tagen sitzen sie im Empfangszimmer des Schlosses Hartenfels beieinander und beraten: Spalatin und weitere Berater des Fürsten, Martin Luther und Philipp Melanchthon, Justus Jonas von der Universität und Johannes Bugenhagen von der Stadtkirche. Spalatin erklärt genauer, was zu tun ist: „Die Lage ist jetzt eine ganz andere als vor acht Jahren in Worms. Dort warst du, Martin, ganz allein angeklagt und hast dich tapfer verteidigt. Jetzt sind wir viele, nicht nur hier in Wittenberg, sondern im ganzen Land, die unseren Glauben zu verteidigen haben. Wir müssen gut zusammenhalten“. Martin meint: „Vor vier Jahren auf dem Reichstag in Speyer hat der Kaiser den evangelischen Fürsten und Reichsstädten erlaubt, in ihren Gebieten den evangelischen Glauben zu leben. Im letzten Jahr hat er es wieder verboten. Die evangelischen Fürsten haben laut protestiert und sind dann gegangen. Auch in Augsburg müssen wir bereit sein zum Protest“. „Genau“, rufen ein paar, und einer von ihnen sagt: „Martin, dafür bist du der richtige Mann, sich hinzustellen und den Glauben zu verteidigen, wie damals in Worms“.

„Das führt uns aber nicht weiter“, gibt Georg Spalatin zu bedenken. „Wir müssen mit dem Kaiser und seinen theologischen Beratern gut verhandeln. Dazu brauchen Einigkeit in unseren eigenen Reihen. Wir brauchen eine schriftliche Grundlage unseres evangelischen Bekenntnisses. Alle evangelischen Fürsten sollen sie dann unterschreiben und so zeigen, dass wir alle gemeinsam zu dieser Grundlage stehen. Das muss klar und deutlich sein, übersichtlich und unmissverständlich“. Jetzt richten sich alle Blicke auf Philipp Melanchthon. Johannes Bugenhagen ergänzt: „Alle müssen diese Worte so lesen können, als ob es ihre eigenen sind. Philipp, du kannst so gut auf die anderen hören. Du hast schon so oft für andere etwas geschrieben. Du hast es ihnen wie auf den Leib geschrieben. Und sie haben es wie ihr Eigenes lesen und auch vorlesen können“. Das ist wirklich so“, bekräftigen die anderen. Philipp spürt Unruhe in sich und sagt: „Das ist eine gewaltige Aufgabe, eine Stimme für alle Evangelischen im ganzen deutschen Reich zu sein. Aber…“, er gibt sich einen Ruck und fährt fort: „Ich will es gerne versuchen. Ich danke euch für euer Vertrauen und bitte euch, mich mit dieser Aufgabe nicht allein zu lassen“. Die anderen bekräftigen das mit freundlichem Nicken.

Wieder ergreift Spalatin das Wort: „Wir müssen versuchen, trotz unseres Ärgers über den Kaiser ihn freundlich zu stimmen und ihn zu unterstützen, wo er Unterstützung verdient. Er will ja auch die Missstände in der Kirche abschaffen. Da könnten wir sozusagen am gleichen Strang ziehen“. Er wendet sich an Martin Luther: „Martin, du hast in Worms ja auch zuerst von den Missständen gesprochen“. Jetzt richten sich Blicke wieder auf Martin. „Aber“, fährt er fort, „es muss ein freundlicher Ton sein“. Damit blickt er Philipp an. „Das ist Philipps Sache“, meint Justus Jonas, „der Kaiser ist schließlich kein grober Klotz wie so mancher andere Gegner unseres Glaubens“. Die anderen stimmen gerne zu.

Jetzt meint Bugenhagen noch: „Noch einmal zur Grundlage unseres evangelischen Glaubens: Wir müssen damit rechnen, dass Doktor Eck als Hauptvertreter des alten Glaubens sie zu widerlegen versucht“. Er wendet sich an Martin: „Martin, in den Streitgesprächen mit ihm hast du die meisten Erfahrungen gesammelt“. „Aber“, gibt Spalatin zu bedenken, „Martin wird nicht mit uns nach Augsburg reisen können. Er ist nur im Herrschaftsgebiet unseres Kurfürsten sicher. Am nächsten zu Augsburg gelegen ist da die Feste Coburg. Von dort aus können Boten schnell hin und her reisen“. Philipp fasst zusammen: “Ich habe also jetzt die Aufgabe, die Grundlage unseres Glaubens in möglichst übersichtliche Sätze zu fassen. Wenn es Streitigkeiten mit Doktor Eck gibt, muss ich die anstellte von Martin mit ihm führen. Durch Boten können wir Martin auf der Feste Coburg gut auf dem Laufenden halten und er kann uns guten Rat zukommen lassen“.

„So ist es am besten“, bestätigen die anderen. Martin sagt dann noch: „Lieber Philipp, es fällt mir nicht leicht, die große Aufgabe, die vor uns steht, abzugeben. Aber ich lege sie gerne in deine Hände. Und ich bin mir sicher, dass das die richtige Entscheidung ist. Gott möge dir die richtigen Gedanken bei der Vorbereitung und die richtigen Worte dann in Augsburg schenken. Und ich versichere euch, dass ich auch in der Entfernung mit meinen Gedanken und Gebeten immer bei euch sein werde“.

Gleich nach der Rückkehr nach Wittenberg macht sich Philipp an die Arbeit und sitzt so oft wie möglich in seinem Arbeitszimmer, auch jetzt wieder. Da klopft es, Justus Jonas tritt ein und meint: „Jetzt bist du der Wagenlenker der Reformation. Martin hat sie auf den Weg gebracht und er wird weiterhin darauf achten, dass von den Schätzen auf dem Wagen nichts verloren geht. Aber Martin hat auch viele, die anderer Meinung waren als er, hart angegriffen und sich zu Feinden gemacht. Jetzt ist die Aufgabe der Verständigung angesagt, mit den Leuten auf unserer evangelischen Seite und vor allem mit denen des alten Glaubens. Wer Gegensätze überwinden und Gegner versöhnen will, hat oft beide gegen sich. Das kann dir auch in Augsburg geschehen. Aber wir brauchen die Verständigung. Dafür bist du der richtige Mann“. „Was ist, wenn sie nicht gelingt?“ fragt Philipp. „Dann“, Justus zögert, „kann es Krieg geben zwischen den Fürsten der Reformation auf der einen Seite und denen des alten Glaubens mit dem Kaiser auf der anderen“. Philipp erschrickt, aber Justus spricht weiter: „Die Aufgabe der Verständigung wird trotzdem weitergehen, auch wenn sie mühsam ist und es Rückschläge gibt. Sie wird nie umsonst gewesen sein“. Dann geht Justus wieder und lässt Philipp mit seinen Gedanken zurück.

 

Gesprächsanregungen

  • Philipp sieht die neuen Aufgaben wie einen großen Berg vor sich. Wenn man diesem Berg Namen geben könnte, wie würdest du ihn nennen?
  • Die Freunde trauen Philipp viel zu. Und er tut das auch. Er nimmt einen Bogen Papier und schreibt auf, was er sich zutraut. Was wird wohl auf seinem Blatt stehen?
  • Was könntest du auf einen Zettel schreiben, was du gut kannst und dir zutraust?
  • Philipps Freundschaft mit Martin Luther bekommt ein neues Gesicht. Was verändert sich jetzt wohl in dieser Freundschaft?
  • Justus Jonas hat davon gesprochen, dass Verständigung auch misslingen kann. Aber er hat Philipp trotzdem Mut gemacht. Wie würdest du solchen Mut mit deinen eigenen Worten sagen?

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