Das Matthäusevangelium: Jesus und die Gemeinschaft der Glaubenden

Matthäus folgt sehr genau der Struktur des Markusevangeliums, ergänzt aber Vieles und setzt eigene Akzente.
Dazu ein erdachtes Gespräch zwischen Markus und Matthäus.

1. Teil: Matthäus übernimmt und ergänzt, was Markus schrieb

Markus: Lieber Matthäus, ich habe mit großem Interesse dein Evangelium gelesen! Ich hatte ja gemeint, wirklich das allermeiste über Jesus gesammelt zu haben. Aber was du da noch einbezogen hast, das ist ja unglaublich viel. Ich bin fast etwas enttäuscht darüber, dass ich da wohl sehr viel übersehen habe.
Matthäus: Nur keine falsche Bescheidenheit, lieber Markus. Deine Arbeit bleibt bahnbrechend. Du hast ja sicher auch gemerkt, dass ich deiner Gesamtkonzeption, dieser so sorgfältig durchdachten Gesamtanlage des Weges durch Galiläa und von dort nach Jerusalem, genau gefolgt bin und sehr viel – schlicht und einfach – von dir abgeschrieben habe. Ich hoffe, du hast nichts dagegen.
Markus: Keinesfalls! Es geht mir wie dir um unsere gemeinsame Sache, um die Sache mit Jesus. Und dir geht es ja genauso wie mir darum, jüdische und hellenistische Sichtweisen und Zugänge zum Glauben an Jesus Christus zusammenzubringen und so die Botschaft weiterzusagen, bei den Juden und den Menschen im hellenistischen Umfeld, so wie es auch schon Paulus getan hat.
Aber ich bin doch neugierig: Wo hast du eigentlich deine Informationen her, mit denen dein Evangelium fast doppelt so lang geworden ist wie meines?
Matthäus: Na ja, das klingt vielleicht etwas seltsam, aber ich habe auch anderswo kräftig abgeschrieben, nämlich aus einer Sammlung mit Reden Jesu, die dir, lieber Markus, wohl entgangen ist.
Markus: Diese Sammlung kannte ich tatsächlich nicht. Aber jetzt sage ich auch zu dir: Nur keine falsche Bescheidenheit! Mir ist nämlich durchaus aufgefallen, dass du deine Ergänzungen, deine Erweiterungen nicht nur in mein Konzept hineingeflickt hast – das hätte ich dir wahrscheinlich übel genommen. Sondern du hast dem Bild von Jesus, dem Sohn Gottes, ganz neue und eindrucksvolle Konturen gegeben. Es ist wie ein Kristall, der plötzlich in einem ganz anderen Licht leuchtet.

Reflexion zur Quellenlage
Matthäus hat das Markusevangelium aus Vorlage und auch eine andere Überlieferung, vor allem mit Reden Jesu (Redenquelle Q), die Markus offensichtlich nicht kannte. Diese Quelle bezieht neben Matthäus auch Lukas in sein Evangelium ein.

 

2. Teil: Jüdisches Gesetzesverständnis im neuen Licht

Markus: Wenn ich dich beim Lesen deines Evangeliums recht verstanden habe, dann hast du, lieber Matthäus, das Bild des Jesus gezeichnet, der in all seinem Wirken das neue Volk Gottes vor Augen hatte. Du hast gleichsam den Bauplan der wachsenden Gemeinschaft der Christen entfaltet.
Natürlich ging es auch mir um die Gemeinschaft der Glaubenden, aber du hast dich ja so richtig hineingekniet in die Aufgabe, schon im Wirken Jesu dieser Gemeinschaft die wesentlichen Kennzeichen zu geben. Mich würde nun interessieren: Gab es dazu einen besonderen Anlass?
Matthäus: Markus, du hast gut beobachtet! In diesem Sinne habe ich mir übrigens erlaubt, schon die erste Zeile deines Evangeliums zu ändern. Du schreibst: Das ist die Gute Botschaft von Jesus Christus, dem Sohn Gottes. Ich habe geschrieben: Das ist das Buch der Geschichte Jesu Christi, des Sohnes Davids, des Sohnes Abrahams.

Markus: Du machst mich neugierig!
Matthäus: Unsere Gemeinden leben in heftiger Auseinandersetzung mit jüdischen Gemeinden. Und die werfen uns permanent vor, dass wir ohne überzeugenden Grund die Jahrtausende alte Tradition des Glaubens an den einen Gott und an Gottes Weg mit dem Volk Gottes verlassen haben. Sie sagen, dass wir das, was jedem Juden heilig ist, mit Füßen getreten haben, nämlich das ehrwürdige Gesetz, das von Mose an gilt. Sie sprechen uns das Recht und die Glaubwürdigkeit ab, auch in dem Bund Gottes mit Abraham, Mose und David zu stehen. Sie werfen uns eine unredliche und irreführende Verwendung der jüdischen Traditionen wie etwa die Erwartung des Reiches Gottes und des Messias vor. Da sah ich mich genötigt, einiges klar zu stellen und so auch mancher Unsicherheit und Verwirrung in unseren Gemeinden zu begegnen.
Markus: Na ja, Paulus hat ja laut und deutlich gesagt: Christus ist das Ende des jüdischen Gesetzes. Das kann man schon als Generalangriff auf die jüdischen Traditionen verstehen. Auch wenn er zwischen kultischen und ethischen Geboten unterschieden hat – aber wer hört da genau hin?
Matthäus: Eben. Das ist halt das große Missverständnis, das sich breit gemacht hat. Jesus hat das Gesetz nicht abgeschafft, sondern er hat es erfüllt, nämlich bis auf das letzte I-Tüpfelchen. Er hat ihm seinen eigentlichen Sinn wiedergegeben, er hat es vom Missbrauch gereinigt.
Markus: Aber mal ehrlich, Matthäus, das wissen wir ja schon von Jesus. Und das habe ich auch schon aufgeschrieben, und du hast es auch übernommen.
Matthäus: In aller Bescheidenheit, lieber Markus, ich habe da doch gewichtige neue Akzente gesetzt, indem ich einiges eingefügt habe.

Beispiel:
Mk.2, 23-28: Und es begab sich, dass er am Sabbat durch ein Kornfeld ging, und seine Jünger fingen an, während sie gingen, Ähren auszuraufen. 24 Und die Pharisäer sprachen zu ihm: Sieh doch! Warum tun deine Jünger am Sabbat, was nicht erlaubt ist? 25 Und er sprach zu ihnen: Habt ihr nie gelesen, was David tat, als er in Not war und ihn hungerte, ihn und die bei ihm waren: 26 wie er ging in das Haus Gottes zur Zeit Abjatars, des Hohenpriesters, und aß die Schaubrote, die niemand essen darf als die Priester, und gab sie auch denen, die bei ihm waren? 27 Und er sprach zu ihnen: Der Sabbat ist um des Menschen willen gemacht und nicht der Mensch um des Sabbats willen. 28 So ist der Menschensohn ein Herr auch über den Sabbat.
Mt. 12, 1-8: Zu der Zeit ging Jesus durch ein Kornfeld am Sabbat; und seine Jünger waren hungrig und fingen an, Ähren auszuraufen und zu essen. 2 Als das die Pharisäer sahen, sprachen sie zu ihm: Siehe, deine Jünger tun, was am Sabbat nicht erlaubt ist. 3 Er aber sprach zu ihnen: Habt ihr nicht gelesen, was David tat, als ihn und die bei ihm waren hungerte? 4 Wie er in das Gotteshaus ging und aß die Schaubrote, die doch weder er noch die bei ihm waren essen durften, sondern allein die Priester? 5 Oder habt ihr nicht gelesen im Gesetz, wie die Priester am Sabbat im Tempel den Sabbat brechen und sind doch ohne Schuld? 6 Ich sage euch aber: Hier ist Größeres als der Tempel. 7 Wenn ihr aber wüsstet, was das heißt (Hosea 6,6): »Ich habe Wohlgefallen an Barmherzigkeit und nicht am Opfer«, dann hättet ihr die Unschuldigen nicht verdammt. 8 Der Menschensohn ist ein Herr über den Sabbat.

 

3. Teil: Jesus, der neue Mose

Matthäus: Und in diesem Sinne habe ich ja auch die sog. Bergpredigt entfaltet. Das Doppelgebot der Liebe, nämlich Gott von ganzen Herzen lieben und den Nächsten wie sich selbst, das zwingt uns dazu, nicht bei einzelnen Regeln stehen zu bleiben, sondern weiterzufragen, was das in der konkreten Situation in aller Ernsthaftigkeit heißt. Natürlich gilt das Verbot von Töten, Ehebruch, Schwören, Vergeltung usw. Aber was heißt das im Sinne der Barmherzigkeit? Nicht erst das Töten ist verwerflich, sondern schon die dazu führende innere Einstellung und das beleidigende Wort. Nicht nur der Ehebruch ist zu meiden, sondern bereits das beleidigende Wort. Statt des Schwörens soll die Verlässlichkeit der Rede, das Gewicht des menschlichen Worts zur Geltung kommen. Statt Vergeltung soll die schöpferische Kraft der Liebe wirksam werden. Jesus hat seine ganze Autorität dafür eingesetzt, damit das alte Gesetz des Mose sich in seiner eigentlichen Bedeutung entfalten kann.

Reflexion: Das Gesetzesverständnis des Matthäusevangeliums

  • Jesus gibt dem Gesetz seinen eigentlichen Sinn zurück. 
    Ihr habt gehört, dass zu den Alten gesagt ist (2.Mose 20,13; 21,12): »Du sollst nicht töten«; wer aber tötet, der soll des Gerichts schuldig sein. Ich aber sage euch: Wer mit seinem Bruder zürnt, der ist des Gerichts schuldig; wer aber zu seinem Bruder sagt: Du Nichtsnutz!, der ist des Hohen Rats schuldig; wer aber sagt: Du Narr!, der ist des höllischen Feuers schuldig. 
    Ihr habt gehört, dass gesagt ist (2.Mose 20,14): »Du sollst nicht ehebrechen.« Ich aber sage euch: Wer eine Frau ansieht, sie zu begehren, der hat schon mit ihr die Ehe gebrochen in seinem Herzen. 
    Ihr habt weiter gehört, dass zu den Alten gesagt ist (3.Mose 19,12; 4.Mose 30,3): »Du sollst keinen falschen Eid schwören und sollst dem Herrn deinen Eid halten.« Ich aber sage euch, dass ihr überhaupt nicht schwören sollt, weder bei dem Himmel, denn er ist Gottes Thron; noch bei der Erde, denn sie ist der Schemel seiner Füße; noch bei Jerusalem, denn sie ist die Stadt des großen Königs. Auch sollst du nicht bei deinem Haupt schwören; denn du vermagst nicht ein einziges Haar weiß oder schwarz zu machen. Eure Rede aber sei: Ja, ja; nein, nein. Was darüber ist, das ist vom Übel.
  • Matthäus hebt hervor, dass Jesus den Zusammenhang zum Mose-Gesetz herstellt, es neu interpretiert
    Jesus gilt so als Vollender des Gesetzes in seinem eigentlichen Sinn.

Markus: Mit seiner Argumentation drehst du ja gewissermaßen den Spieß um: Christen sind nicht Leugner des Gesetzes, sondern Jesus hat es wieder auf seinen ursprünglichen Sinn zurückgeführt, hat es wieder dorthin gebracht, wo es mit Mose angefangen hat. Jesus ist sozusagen wieder die eigentliche Stimme des Mose.

Matthäus: Genau, das will ich zeigen. Und es ist deshalb auch durchaus beabsichtigt, dass die sog, Bergpredigt an den Berg Sinai erinnert, auf dem Mose die Gebote von Gott in Empfang nahm.
Markus: Schlau, schlau. Mir dämmert jetzt, dass du diese Sicht von Jesus als dem gewissermaßen neuen Mose auch öfter in deinem Evangelium zum Ausdruck gebracht hast. Also, der Herodes hat ja auch schon manche Ähnlichkeit mit dem ägyptischen Pharao. Und in deiner Geschichte von Jesu Geburt kommt doch auch Ägypten vor! Ich merke schon, wie wichtig dir ist, dass wir Christen mit unserer Beziehung zu Jesus Christus mittendrin stecken im alten Bund, den Gott mit dem Volk Israel geschlossen hat. Wir wären sozusagen die eigentlichen Erben dieses Bundes.
Matthäus: Genau. Wenn du magst, kann ich dir das ja noch an ein paar Beispielen zeigen.

Alter Bund und Weiterführung durch Jesus Christus

  • Genealogie (Mt 1): Im Ganzen sind es von Abraham bis David 14 Generationen und von der Babylonischen Gefangenschaft bis zu Christus
     14 Generationen. Im Messias und Davidssohn Jesus erreicht also das Heilshandeln Gottes seinen Höhepunkt.
  • Erfüllungszitate
    1,22f. Das ist aber alles geschehen, damit erfüllt würde, was der Herr durch den Propheten gesagt hat, der da spricht (Jesaja 7,14): 23 »Siehe, eine Jungfrau wird schwanger sein und einen Sohn gebären, und sie werden ihm den Namen Immanuel geben«, das heißt übersetzt: Gott mit uns. 
    2,14 Da stand er auf und nahm das Kindlein und seine Mutter mit sich bei Nacht und entwich nach Ägypten 15 und blieb dort bis nach dem Tod des Herodes, damit erfüllt würde, was der Herr durch den Propheten gesagt hat, der da spricht (Hosea 11,1): »Aus Ägypten habe ich meinen Sohn gerufen.«
    2,17f. Da wurde erfüllt, was gesagt ist durch den Propheten Jeremia, der da spricht (Jeremia 31,15): 8 »In Rama hat man ein Geschrei gehört, viel Weinen und Wehklagen; Rahel beweinte ihre Kinder und wollte sich nicht trösten lassen, denn es war aus mit ihnen.«
    2,23: …und kam und wohnte in einer Stadt mit Namen Nazareth, damit erfüllt würde, was gesagt ist durch die Propheten: Er soll Nazoräer heiße
    4,13-16 Und er verließ Nazareth, kam und wohnte in Kapernaum, das am See liegt im Gebiet von Sebulon und Naftali, 14 damit erfüllt würde, was gesagt ist durch den Propheten Jesaja, der da spricht (Jesaja 8,23; 9,1): 15 »Das Land Sebulon und das Land Naftali, das Land am Meer, das Land jenseits des Jordans, das heidnische Galiläa, 16 das Volk, das in Finsternis saß, hat ein großes Licht gesehen; und denen, die saßen am Ort und im Schatten des Todes, ist ein Licht aufgegangen.“
    12,15 Aber als Jesus das erfuhr, entwich er von dort. Und eine große Menge folgte ihm, und er heilte sie alle 16 und gebot ihnen, dass sie ihn nicht offenbar machten, 17 damit erfüllt würde, was gesagt ist durch den Propheten Jesaja, der da spricht (Jesaja 42,1-4): 18 »Siehe, das ist mein Knecht, den ich erwählt habe, und mein Geliebter, an dem meine Seele Wohlgefallen hat; ich will meinen Geist auf ihn legen, und er soll den Heiden das Recht verkündigen. 19 Er wird nicht streiten noch schreien, und man wird seine Stimme nicht hören auf den Gassen; 20 das geknickte Rohr wird er nicht zerbrechen, und den glimmenden Docht wird er nicht auslöschen, bis er das Recht hinausführt zum Sieg; 21 und die Heiden werden auf seinen Namen hoffen.«
    13, 34 Das alles redete Jesus in Gleichnissen zu dem Volk, und ohne Gleichnisse redete er nichts zu ihnen, 35 damit erfüllt würde, was gesagt ist durch den Propheten, der da spricht (Psalm 78,2): »Ich will meinen Mund auftun in Gleichnissen und will aussprechen, was verborgen war vom Anfang der Welt an.«
  • Blindenheilungen: Im Hauptteil des Evangeliums ist der Davidssohntitel nur mit Wundergeschichten und fast ausschließlich mit Blindenheilungen verbunden. Das ist so zu verstehen, dass der wahre Messias Israels Blindheit aufhilft.

 

4.Teil: Harte Abgrenzung von den jüdischen Gemeinden

Markus: Aber da habe ich nun doch eine Frage, lieber Matthäus: Meinst du nicht auch, dass du an manchen Stellen über das Ziel hinausgeschossen bist? – Die Juden als die Blinden und wir als die Sehenden? Provoziert das bei uns Christen nicht Arroganz den Juden gegenüber? Und wirfst du da die Juden, vor allem die Rabbiner, nicht alle in einen Topf und betonst einen Gegensatz, den es in dieser Schärfe vielleicht gar nicht gibt?
Das mit den Weisen aus dem Morgenland, die klüger sind als die Schriftgelehrten in Jerusalem, das ist ja noch ganz ironisch-witzig.

Aber bei den Weherufen über die Städte Israels, da wird es mir etwas seltsam:

11,20 Da fing er an, die Städte zu schelten, in denen die meisten seiner Taten geschehen waren; denn sie hatten nicht Buße getan:
21 Wehe dir, Chorazin! Weh dir, Betsaida! Wären solche Taten in Tyrus und Sidon geschehen, wie sie bei euch geschehen sind, sie hätten längst in Sack und Asche Buße getan. 22 Doch ich sage euch: Es wird Tyrus und Sidon erträglicher ergehen am Tage des Gerichts als euch. 23 Und du, Kapernaum, wirst du bis zum Himmel erhoben werden? Du wirst bis in die Hölle hinuntergestoßen werden. Denn wenn in Sodom die Taten geschehen wären, die in dir geschehen sind, es stünde noch heutigen Tages. 24 Doch ich sage euch: Es wird dem Land der Sodomer erträglicher ergehen am Tage des Gerichts als dir.

Markus: Jesu Abrechnung mit den Pharisäern, die hast du ja sehr breit ausgeführt

23, 25 Weh euch, Schriftgelehrte und Pharisäer, ihr Heuchler, die ihr die Becher und Schüsseln außen reinigt, innen aber sind sie voller Raub und Gier! 26 Du blinder Pharisäer, reinige zuerst das Innere des Bechers, damit auch das Äußere rein wird!
27 Weh euch, Schriftgelehrte und Pharisäer, ihr Heuchler, die ihr seid wie die übertünchten Gräber, die von außen hübsch aussehen, aber innen sind sie voller Totengebeine und lauter Unrat! 28 So auch ihr: von außen scheint ihr vor den Menschen fromm, aber innen seid ihr voller Heuchelei und Unrecht.
29 Weh euch, Schriftgelehrte und Pharisäer, ihr Heuchler, die ihr den Propheten Grabmäler baut und die Gräber der Gerechten schmückt 30 und sprecht: Hätten wir zu Zeiten unserer Väter gelebt, so wären wir nicht mit ihnen schuldig geworden am Blut der Propheten! 31 Damit bezeugt ihr von euch selbst, dass ihr Kinder derer seid, die die Propheten getötet haben. 32 Wohlan, macht auch ihr das Maß eurer Väter voll! 33 Ihr Schlangen, ihr Otternbrut! Wie wollt ihr der höllischen Verdammnis entrinnen?
34 Darum: siehe, ich sende zu euch Propheten und Weise und Schriftgelehrte; und von ihnen werdet ihr einige töten und kreuzigen, und einige werdet ihr geißeln in euren Synagogen und werdet sie verfolgen von einer Stadt zur andern, 35 damit über euch komme all das gerechte Blut, das vergossen ist auf Erden, von dem Blut des gerechten Abel an bis auf das Blut des Secharja, des Sohnes Berechjas, den ihr getötet habt zwischen Tempel und Altar. 36 Wahrlich, ich sage euch: Das alles wird über dieses Geschlecht kommen.

Markus: Der Satz bei dem Verlangen des Volks, Barrabas freizulassen, der kann einem ja Schauder über den Rücken jagen. Bist du da nicht zu weit gegangen?

Als aber Pilatus sah, dass er nichts ausrichtete, sondern das Getümmel immer größer wurde, nahm er Wasser und wusch sich die Hände vor dem Volk und sprach: Ich bin unschuldig an seinem Blut; seht ihr zu! 25 Da antwortete das ganze Volk und sprach: Sein Blut komme über uns und unsere Kinder!

Matthäus: Du hast doch auch mitverfolgt, wie im Jahr 70 die Römer Jerusalem zerstört, den Tempel geschändet und die Judenschaft aus ihrem Land vertrieben haben. Liegt es da nicht nahe, es so zu deuten, wie ich es getan habe?

Markus: Wenn das nicht eine große Hypothek für die Zukunft ist! Wenn nämlich Christen nicht mehr nachvollziehen können, wie wir unter den politischen Ereignissen und im Ringen um die Wahrheit des Glaubens auch zu scharfen Abgrenzungen genötigt sind!
Matthäus: Ich hoffe, du hast nicht Recht. Und wenn es so wäre, dann hoffe ich zugleich, dass die Leser meines Evangeliums auch zur Kenntnis nehmen, wie sich die Kritik an den Juden auch als Mahnung an die eigene Gemeinschaft richtet.

23,1ff. Da redete Jesus zu dem Volk und zu seinen Jüngern und sprach: Auf dem Stuhl des Mose sitzen die Schriftgelehrten und Pharisäer. Alles nun, was sie euch sagen, das tut und haltet; aber nach ihren Werken sollt ihr nicht handeln; denn sie sagen's zwar, tun's aber nicht. Sie binden schwere und unerträgliche Bürden und legen sie den Menschen auf die Schultern; aber sie selbst wollen keinen Finger dafür krümmen. Alle ihre Werke aber tun sie, damit sie von den Leuten gesehen werden. Sie machen ihre Gebetsriemen breit und die Quasten an ihren Kleidern groß. Sie sitzen gern obenan bei Tisch und in den Synagogen und haben's gern, dass sie auf dem Markt gegrüßt und von den Leuten Rabbi genannt werden.
Aber ihr sollt euch nicht Rabbi nennen lassen; denn einer ist euer Meister; ihr aber seid alle Brüder. Und ihr sollt niemanden unter euch Vater nennen auf Erden; denn einer ist euer Vater, der im Himmel ist. Und ihr sollt euch nicht Lehrer nennen lassen; denn einer ist euer Lehrer: Christus. Der Größte unter euch soll euer Diener sein. Denn wer sich selbst erhöht, der wird erniedrigt; und wer sich selbst erniedrigt, der wird erhöht.

 

5.Teil: Weisungen für das Zusammenleben in der Gemeinschaft der Christen

Matthäus: Es geht mir im tieferen, eigentlichen Sinne um das eigene Haus, um die Art und Weise, wie wir überzeugend unseren Glauben leben. Ich denke, wer mit offenen Augen mein Evangelium liest, wird viel darin finden, sei es in dem großen Kapitel über das Leben in der Gemeinde, sei es in der Weltgerichtsrede, oder immer wieder in entsprechenden Passagen.

18, 15ff. Sündigt aber dein Bruder an dir, so geh hin und weise ihn zurecht zwischen dir und ihm allein. Hört er auf dich, so hast du deinen Bruder gewonnen. Hört er nicht auf dich, so nimm noch einen oder zwei zu dir, damit jede Sache durch den Mund von zwei oder drei Zeugen bestätigt werde. Hört er auf die nicht, so sage es der Gemeinde. Hört er auch auf die Gemeinde nicht, so sei er für dich wie ein Heide und Zöllner. Wahrlich, ich sage euch: Was ihr auf Erden binden werdet, soll auch im Himmel gebunden sein, und was ihr auf Erden lösen werdet, soll auch im Himmel gelöst sein. Wahrlich, ich sage euch auch: Wenn zwei unter euch eins werden auf Erden, worum sie bitten wollen, so soll es ihnen widerfahren von meinem Vater im Himmel. Denn wo zwei oder drei versammelt sind in meinem Namen, da bin ich mitten unter ihnen.


Markus: In diesen letzten zwei Sätzen, da sehe ich in ganz besonderer Weise das ‚Gesicht’ deines Evangeliums. Das ist es, was es für mich so bedeutungsvoll und wichtig macht. Und ich könnte mir denken, dass das anderen auch so geht.
Matthäus: Da fühle ich mich auch gut verstanden. Jesus hat in einer besonderen Nähe zu seinem Vater im Himmel gelebt. Das war sicherlich zum einen die ihm von Gott gegebene Vollmacht, wie sie du, lieber Markus, so eindrücklich vor Augen gestellt hast. Aber das war doch noch mehr, das war eine tiefe Verbundenheit mit Gott, und deshalb war meines Erachtens Jesus auch das Gebet so wichtig. Darum habe ich das Gleichnis vom bittenden Freund gerne aufgenommen. Und in der Geschichte von Jesus im Garten Gethsemane habe ich Jesu Gebet mit seinem Vater mehr Raum gegeben, als du es getan hast.

7, 7ff. Bittet, so wird euch gegeben; suchet, so werdet ihr finden; klopfet an, so wird euch aufgetan. Denn wer da bittet, der empfängt; und wer da sucht, der findet; und wer da anklopft, dem wird aufgetan. Wer ist unter euch Menschen, der seinem Sohn, wenn er ihn bittet um Brot, einen Stein biete? Oder, wenn er ihn bittet um einen Fisch, eine Schlange biete? 11 Wenn nun ihr, die ihr doch böse seid, dennoch euren Kindern gute Gaben geben könnt, wie viel mehr wird euer Vater im Himmel Gutes geben denen, die ihn bitten!


Markus: Und du hast uns mit deinem Evangelium auch das ganz besondere Gebet Jesu geschenkt: Unser Vater in dem Himmel…
Matthäus: In all dem geht es mir darum, das Ermutigende in den Vordergrund zu rücken, das uns Jesus in seiner Verkündigung mitgegeben hat. Wir haben als die Gemeinde der Christen eine ungewisse politische Zukunft, allein die Gewissheit im Glauben kann uns da stärken. Jesus hat uns in die Nachfolge gerufen, trotz unserer Ängstlichkeit und unserer Zweifel. Und er hat uns versprochen, uns als seine Gemeinde nicht allein zu lassen. Da habe ich gerne ganz besondere Akzente gesetzt.
Markus: Jetzt verstehe ich auch, wieso du in der von mir aufgeschriebenen Sturmstillungsgeschichte ein paar kleine, aber – wie ich jetzt weiß - doch wohl überlegte Änderungen vorgenommen hast.

Reflexion: Einblicke in die Redaktionsarbeit des Matthäus
Mk 4:
5 Und am Abend desselben Tages sprach er zu ihnen: Lasst uns hinüberfahren. 36 Und sie ließen das Volk gehen und nahmen ihn mit, wie er im Boot war, und es waren noch andere Boote bei ihm. 37 Und es erhob sich ein großer Windwirbel und die Wellen schlugen in das Boot, sodass das Boot schon voll wurde. 38 Und er war hinten im Boot und schlief auf einem Kissen. Und sie weckten ihn auf und sprachen zu ihm: Meister, fragst du nichts danach, dass wir umkommen? 39 Und er stand auf und bedrohte den Wind und sprach zu dem Meer: Schweig und verstumme! Und der Wind legte sich und es entstand eine große Stille. 40 Und er sprach zu ihnen: Was seid ihr so furchtsam? Habt ihr noch keinen Glauben?
41 Sie aber fürchteten sich sehr und sprachen untereinander: Wer ist der? Auch Wind und Meer sind ihm gehorsam!
Mt 8:
18 Als aber Jesus die Menge um sich sah, befahl er, hinüber ans andre Ufer zu fahren. 19 Und es trat ein Schriftgelehrter herzu und sprach zu ihm: Meister, ich will dir folgen, wohin du gehst. 20 Jesus sagte zu ihm: Die Füchse haben Gruben und die Vögel unter dem Himmel haben Nester; aber der Menschensohn hat nichts, wo er sein Haupt hinlege.
21 Und ein anderer unter den Jüngern sprach zu ihm: Herr, erlaube mir, dass ich zuvor hingehe und meinen Vater begrabe. 22 Aber Jesus spricht zu ihm: Folge du mir und lass die Toten ihre Toten begraben!
23 Und er stieg in das Boot und seine Jünger folgten ihm. 24 Und siehe, da erhob sich ein gewaltiger Sturm auf dem See, sodass auch das Boot von Wellen zugedeckt wurde. Er aber schlief. 25 Und sie traten zu ihm, weckten ihn auf und sprachen: Herr, hilf, wir kommen um! 26 Da sagt er zu ihnen: Ihr Kleingläubigen, warum seid ihr so furchtsam? Und stand auf und bedrohte den Wind und das Meer. Da wurde es ganz stille.
27 Die Menschen aber verwunderten sich und sprachen: Was ist das für ein Mann, dass ihm Wind und Meer gehorsam sind?

Matthäus: Ich wünsche mir, dass alle meine Leser dies Tröstende und vor allem auch Ermutigende, Aufbauende, Aktivierende in meinem Evangelium hören und damit auch manche Schärfe relativieren können.
Markus. Und das ist mit deinen Schlusssätzen auch auf jeden Fall gelungen.

28, 18ff. Und Jesus trat herzu und sprach zu ihnen: Mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden. Darum gehet hin und machet zu Jüngern alle Völker: Taufet sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes und lehret sie halten alles, was ich euch befohlen habe. Und siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende.

 

Weiter zum Markusevangelium

Weiter zum Lukasevangelium

Weiter zum Johannesevangelium

Zurück zu Sprechszenen