Zunächst versuchen wir, uns an biblische Gestalten heranzutasten, ihnen auf dem Hintergrund unserer eigenen Erfahrungen näher zu kommen. Wir denken und fühlen uns in die von ihnen berichteten Erlebnisse und Erfahrungen ein und versuchen, ihren Weg mitzugehen. Dabei zeigt sich, dass uns die biblischen Geschichten gute Angebote machen. Sie bieten uns nicht nur Begriffe oder Lehrsätze an, sondern Menschen, in die wir uns hineinversetzen, mit denen wir mitfühlen und mitdenken können.

Genau hier finden wir die Brücke zu unserer Zeit. Indem wir uns in die Gestalten von damals hineinbegeben, entdecken wir Züge an ihnen, in denen wir uns selbst wiederfinden können. Wir identifizieren uns mit diesen Personen. Wir erleben selbst mit, was sie erleben. Wir sind berührt von den Enttäuschungen und dem Unglück, mit dem sie zurecht kommen müssen. Wir sehnen uns mit ihnen danach, dass das Erwünschte und Erwartete eintritt, und wir sind selbst erleichtert, wenn es geschieht.

Freilich kostet es uns schon einige Mühe, in den oft so knappen Sätzen der biblischen Geschichten Fuß zu fassen, so langsam, dass das eigene Einfühlungsvermögen mitkommt. Wir hängen in Gedanken einzelnen Wörtern nach, versuchen zu ermessen, welches Erleben der Menschen in den knappen Worten und Sätzen eingefangen sein mag. Wir lassen Bilder entstehen, versuchen mit den Augen der Menschen, von denen erzählt wird, zu sehen. Wir versuchen, die Tragweite zu erfassen, die das in einem knappen Satz Mitgeteilte für die betroffene Person wohl hatte.

Wir lesen den Anfang der Sturmstillungsgeschichte (Mk 4,35-41): "Und am Abend desselben Tages sprach er zu ihnen: Lasst uns hinüberfahren. Und sie ließen das Volk gehen und nahmen ihn mit, wie er im Boot war, und es waren noch andere Boote bei ihnen.

Hier könnten sich folgende Assoziationen einstellen: - Müdigkeit nach einem langen Tag - Endlich Ruhe vor den Leuten - Freude auf einen Abend allein mit Jesus - Vorstellung von den Booten, die über die Wasserfläche hin ziehen - Ruhe und Frieden über dieser abendlichen Szene - Feierabendstimmung.

Die Geschichte von der Heilung der verkrümmten Frau (Lk 13,11-17) beginnt so: "Und siehe, eine Frau war da, die hatte seit 18 Jahren einen Geist, der sie krank machte, und sie war verkrümmt und konnte sich nicht mehr aufrichten."

Hier kommen uns vielleicht folgende Gedanken: Was heißt es, immer gebückt zu gehen, immer den Boden vor sich zu sehen? - Erinnerungen der Frau an die Zeit vor ihrer Krankheit - Sorgen vor der Zukunft, vor einer Verschlimmerung der Krankheit - Was muss es für die Frau bedeuten, nicht mehr ihren gewohnten Aufgaben im Kreis ihrer Mitmenschen nachgehen zu können? - Das alltägliche Leben läuft an ihr vorbei, ihre Einsamkeit wird immer bedrückender.

Wenn es uns gelingt, mit einer Person der biblischen Geschichte "warm zu werden", dann ist der erste und wohl wichtigste Schritt zum Nacherzählen bereits getan. Mit Hilfe unserer Vorstellungskraft, indem wir uns in den alten Text hinein versetzen, wurde sie lebendig. Sie hat sich uns erschlossen, ist anschaulich geworden.

Noch ist das Tor der fremden Begriffe und Wörter, der unverstandenen Zusammenhänge nicht offen. Aber daneben tut sich uns eine andere Tür auf: die Personen, deren Erfahrungen wir nachgehen, in denen wir etwas von uns selbst entdecken und wiederfinden können.

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