Kinder brauchen verlässliche, sichere Kontakte zu ihren Bezugspersonen. Sie wollen in den meisten Fällen von sich aus gut sein und das tun, was ihrem Gegenüber Freude macht. Von Beginn ihres Lebens an lernen sie, sich in ihr geliebtes Gegenüber einzufühlen. Sie geben sich Mühe, dessen Wünschen zu entsprechen. Sie sind stolz, wenn sie durch ihr Tun die ihnen entgegengebrachte Liebe erwidern und beantworten können.

Freilich kann es nicht das Ziel der Entwicklung sein, dass Kinder sich ausschließlich an ihren Bezugspersonen ausrichten. Sie sollen selbständig werden und für ihr Verhalten nach und nach selbst Verantwortung übernehmen. Dadurch entstehen zwangsläufig auch Konflikte zwischen dem, was sie selbst als gut, sinnvoll und wünschenswert ansehen, und dem, was die Bezugspersonen wollen.

Kinder sollen ihre eigene Willenskraft kennen lernen und üben. Dies geschieht, indem sie den eigenen Willen im Gegenüber zu einem anderen erproben, indem sie die Grenzen des eigenen Willens ausloten. Dazu gehört auch, dass sie dabei eigene Grenzen überschreiten, ohne dies immer gleich erkennen zu können. Durchsetzungskraft und damit verbundene Aggressionen wollen erlebt, erkannt und erprobt sein.

Kinder müssen auch lernen, mit ihrem Drang zum Angenehmen und Lustvollen zurecht zu kommen. Oft verlieren und vergessen sie sich in dem, was ihnen gerade Spaß macht und erkennen erst hinterher, wie dies die Beziehung zu anderen beeinträchtigt und gestört hat.

Kinder können Folgen ihres Tuns oft viel zu wenig überschauen. Sie wollen helfen, richten dabei Schaden an und sind dann tief betroffen von den Reaktionen ihres Gegenübers. Schließlich sind auch etliche Reaktionen der Bezugspersonen unberechenbar. Was gestern mild geduldet wurde, löst heute Ärger und Entrüstung aus. 

Solche Konflikte sind unvermeidbar auf dem Weg zum selbständig Werden. Wichtig sind deshalb sichere Möglichkeiten der Rückkehr zur heilen Beziehung. Schlimm ist für Kinder, wenn die Versöhnung mit dem Gegenüber ausbleibt, wenn das Kind keine Sicherheit hat, ob und wann die Beziehung wieder stimmen wird. Die vorenthaltene Vergebung wird so zu einem Druckmittel, welches das Kind zum Wohlverhalten zwingt und ihm so die Chancen beschneidet, sich selbst zu erproben, die eigene Verantwortlichkeit zu finden. Kinder, die keine Vergebung erleben, werden leicht unsicher und entmutigt. Sie entwickeln starke Ängste vor allem Versagen, durch das die Beziehung zu anderen gestört werden könnte. Mut zum Leben bedeutet aber auch immer Mut zu eigenen Fehlern, und damit Mut, zu den eigenen Schwächen zu stehen. Kinder brauchen die Gewissheit, dass Störungen, die sie mit verursacht haben, in einer klaren und deutlichen Form wieder aus der Welt geschafft werden können. Sie brauchen Zeichen und Rituale, in denen ihn solche Vergebung verlässlich zuteil wird.

Nur unter dem Zeichen der Vergebungsgewissheit lernt das Kind, in dem oft undurchschaubaren Gewirr von eigener Schuld und unverschuldetem Verhängnis nach und nach eigene Verantwortung zu übernehmen. Nur so lernt es, zu dem zu stehen, was es angerichtet hat, und im Rahmen seiner Kräfte und Einsichten auch bestimmte Folgen auf sich zu nehmen. Nur so lernt es auch, sich in seinem Verhalten nicht nur an den Reaktionen der Bezugspersonen zu orientieren, an der Furcht vor der gestörten Beziehung, sondern auch an den möglichen Folgen seines Tuns für sich und andere. In der Gewissheit der Vergebung kann eindringlich über solche Folgen gesprochen werden. Und dem Kind wird es leichter fallen, bestimmte Handlungen auch dort zu vermeiden, wo die Bezugsperson gar nicht unmittelbar betroffen ist.

Von Gott erzählen

Bei vielen Menschen ist dieser Gedankenkreis mit unguten Erinnerungen an einen strengen Aufpasser-Gott besetzt. Deshalb ist es wohl angebracht, zuerst zu bedenken, was diese Aufgabe nicht mit Gott zu tun hat: 

Es geht nicht darum, Gott für die Überhöhung und Verlängerung elterlicher Anweisungen in Anspruch zu nehmen. Auf diese Weise würde ja nur die Anpassung an einen vorgegebenen menschlichen Willen verstärkt und verfestigt werden. Dem Kind träte ein so starker menschlich-göttlicher Wille entgegen, der es ihm sehr erschweren würde, den eigenen Willen zu erproben und zu finden. Die Entwicklung zur Selbständigkeit würde so nicht gefördert, sondern eher blockiert.

Anstatt Freiräume zu finden, in denen das Kind eigene Verantwortung üben kann, in denen es sich von seinen Eltern unbeobachtet weiß, mit sich selbst um richtiges Verhalten ringen muss und dabei sicher auch seine Fehler macht, fühlt es sich von solch einem allwissenden Gott bis in den letzten Winkel hinein beobachtet. Tief sitzen in vielen Menschen die Vorstellungen von einem strengen Aufpasser-Gott, dem nichts entgeht. Auch so wird die Entwicklung zur Selbständigkeit behindert.

Genauso falsch ist es, Krankheit und Not als als Strafe Gottes für menschliches Fehlverhalten zu erklären. Auf diese Weise wird übergroße Angst vor menschlichen Fehlern erzeugt. Denn solch eine Beziehung zwischen Fehlern und ihren Folgen in Gottes Strafe ist ja nicht klar fassbar, sondern bleibt in einem mysteriösen und gefährlichen Dunkel. Die Bereitschaft, Verantwortung für eigenes Tun und auch für dessen Folgen zu übernehmen, kann so kaum wachsen.

Von Gott gilt vielmehr, dass ihm an guten Beziehungen der Menschen untereinander gelegen ist, so wie ihm an guten Beziehungen zu jedem Menschen liegt. Wo menschliche Beziehungen gestört sind, leidet auch Gott. Sicher gilt dies nicht im Sinne eines allzu menschlichen Beleidigt- und Gekränktseins, aber genauso wenig bleibt Gott unberührt und unbetroffen, abgeschieden von menschlichem Verhalten.

Gleichzeitig gilt Gottes uneingeschränkte Bereitschaft zur Vergebung. Sie ist ein wichtiger Impuls, dass auch Menschen wieder miteinander ins Reine kommen können. So wie menschliche Vergebung die Voraussetzung ist, unter der man mit anderen wieder neu anfangen kann, unter der man wissen darf, dass die Schuld als Ganzes getilgt ist, unter der man auch Verantwortung und Folgen seiner Taten in ertragbarem Maß auf sich nehmen kann, so gilt dies entsprechend und noch mehr von Gott. Seine zugesagte und verlässliche Vergebung ermutigt dazu, menschliche Vergebung zu suchen, um sie zu bitten und mit ihr zu rechnen. Seine Vergebung macht Mut, trotz erlebter Enttäuschungen durch andere Menschen an der Überzeugung festzuhalten, dass Vergebung zwischen Menschen dennoch möglich bleibt.

Allerdings gibt es auch die Erfahrung, dass in bestimmten Konflikten vom Gegenüber die Vergebung verweigert wird, dass der menschliche Beziehungspartner sie nicht aussprechen kann oder will. Dann hilft es uns zu wissen, dass auch diese ungeklärte Beziehung von Gott her unter das Zeichen der Vergebung gestellt ist, dass sein Wort trotz ungesagter menschlicher Worte gilt. Mit seiner Vergebung gibt uns Gott die Zusage, dass wir uns trotz unserer eigenen Unzulänglichkeiten und denjenigen unserer Gegenüber auch in solchen unerledigten Konflikten von Schuld entlastet wissen dürfen. Sie soll nicht länger über uns Macht haben. Sie darf uns nicht länger quälen. Vergebung von Gott her stellt unsere Beziehung zu anderen auf eine neue, tragfähige Basis, gerade wenn wir uns in der Wirrnis ungeklärter oder gar unlösbarer Konflikte zu verlieren drohen.

Indem wir Kindern von Gottes Vergebung erzählen, stärken wir in ihnen das Vertrauen, dass Störungen in ihren Beziehungen auch dann beseitigt, ihre Versäumnisse auch dann aufgehoben sein sollen, wenn ihre konkrete Wirklichkeit dahinter zurückbleibt, wenn menschliche Beziehungen enttäuschend bleiben. Wir stärken in ihnen damit auch den Mut, ihre eigene Verantwortung kennen zu lernen, anzunehmen und in ihr zu wachsen.

Hinweise zum Erzählen

Auch bei diesem Themenkreis wird der Zugang durch das Erzählen erleichtert. Die Zuhörenden gehen mit einem Menschen mit, nehmen an seinen Erfahrungen teil. Sie erleben mit, wie jemand Schuld auf sich lädt, unter der dadurch gestörten zwischenmenschlichen Beziehung leidet, wie die zugesprochene Vergebung Erleichterung verschafft, und wie die Bereitschaft wächst, Verantwortung für das eigene Tun zu übernehmen. Solche eine Vergebungsgeschichte mit ihrem Verlauf, der von der Verfehlung zur Vergebung führt, ist wie ein Raum, in dem sich die Hörer mit ihren eigenen Erfahrungen zurecht finden und orientieren können. Eigene Erfahrungen, die oft nicht bis zum Ziel der erlebten Vergebung gelangt sind, werden mit dem, was von Gott her und in der Geschichte gilt, zum Ziel gebracht. Vergebungsgeschichten bekräftigen so, dass auch für die eigenen bruchstückhaften Erfahrungen die von Gott zugesagte Vergebung gilt.

 

Kindersituationen und sich auf sie beziehende biblische Geschichten

- In Streitsituationen gehen Freundschaften auseinander
- Kindern wird bewusst, dass sie andere mit ihrem Verhalten enttäuscht und verletzt haben
- Kinder erleben an sich und an anderen den Unterschied zwischen dem eigenen Willen zum Guten und der Fähigkeit, das auch zu
  tun

Biblische Geschichten erzählen, wie Versöhnung gelingt

Im Alten Testament lesen wir in der Geschichte von Jakob, wie er seinen Bruder Esau um das Erstgeburtsrecht betrügt, damit Beziehungen zerbricht und fliehen muss. Die Zusage von Gott "Ich bin mit dir und will dich wieder herbringen in dieses Land" zeigt ihm die Möglichkeit von Vergebung und Neuanfang an - auch wenn er zunächst auf der Flucht bleiben muss, von seinem Onkel Laban selbst betrogen wird und bis zu seiner Heimkehr um die Wiederaufnahme durch seinen Bruder bangen muss (1. Mose 27-19,33).

Im Neuen Testament ist Petrus die Jüngergestalt, an der anschaulich wird, wie einer trotz seiner eigenen guten Absichten einem anderen untreu wird, darunter leidet, Vergebung erfährt und einen neuen Auftrag bekommt. Er verleugnet seine Beziehung zu Jesus, als er in der Nacht der Gefangennahme als Jesu Jünger erkannt wird. Er schämt sich dessen zutiefst und wird in seiner Begegnung mit dem Auferstandenen von ihm wieder angenommen. Mit der dreifachen Frage Jesu "Hast du mich lieb?" und der dreifachen Antwort "Ja, Herr" wird die dreifache Verlaugnung zur erledigten Vergangenheit (Joh 18,12ff und Joh 21,15ff.).

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