1. Mose 37ff.: Josefs Streit mit seinen Brüdern – Harter Abschied von der Rolle des ‚Kronprinzen’
 

„Heiß ist es heute wieder“, sagt Sebulon zu Dan, „bin ich froh, wenn es Abend wird und wir mit dem Scheren der Schafe endlich fertig sind!“ Ruben, der älteste der Brüder kommt da-zu und sagt: „Die Schafe da hinten noch, dann haben wir es für heute geschafft“. Als sie dann nach der Arbeit müde, verschwitzt und verdreckt auf dem Weg zu ihren Zelten sind, kommt ihnen Josef entgegen. „Na, seid ihr endlich fertig?“ meint er lächelnd. Dan faucht ihn an: „Du hast ja keine Ahnung, was das für eine Arbeit ist! Du musst dich ja nicht plagen und dir die Hände schmutzig machen. Du bildest dir ja auch ein, etwas Besseres als wir zu sein!“ – „Lass ihn in Ruhe“, mahnt Ruben, „sonst beschwert er sich wieder beim Vater!“ – „Aber ich sehe nicht ein, warum er sich nicht so plagen muss wie wir“, redet Dan weiter. Und zu Josef sagt er: „Was hast du denn den ganzen Tag lang gemacht, he?“ Josef antwortet ganz ruhig: „Ich habe viel nachgedacht!“ – „So“, meint Sebulon, „und du meinst wohl, dass man damit Schafwolle für unsere Kleider gewinnt?“ Die anderen lachen. „Oder hast du wieder mit offe-nen Augen geträumt?“ fragt Dan. „Ja“, antwortet Josef, ich hatte einen Traum, und den will ich euch erzählen. Deswegen bin ich euch ja entgegengelaufen“. Die anderen sind neugierig. „Also erzähl ihn uns“, fordern sie Josef auf. Und der erzählt: „Ich habe geträumt, wir waren auf dem Feld, ernteten Getreide und banden die Garben. Meine Garbe stand in der Mitte und eure Garben standen rings umher und verneigten sich vor meiner Garbe“. Dan meint missmutig: „Das ist ein blöder Traum, und der ist ganz typisch für dich. Du bildest dir immer ein, dass du etwas Besseres bist als wir. Das treiben wir dir schon noch aus!“ – „Aber es war wirklich mein Traum“, verteidigt sich Josef. Ich habe sogar noch einen zweiten Traum ge-habt. Ich stand da und Sonne, Mond und elf Sterne verneigten sich vor mir.“ – „Und du bil-dest dir wohl ein, dass wir, deine elf Brüder, diese Sterne waren!“ ruft Dan wütend. „Genau-so war es“, antwortet Josef. „Das ist doch die Höhe“, empört sich Rubens, „der meint, er ist etwas Besseres als wir, braucht sich nicht so zu plagen wie wir, lässt uns die Arbeit machen und träumt dann auch noch davon!“ – „Ihr wolltet doch den Traum hören“ mein Josef belei-digt. Die Brüder schweigen finster.

Ein paar Tage später sind sie wieder draußen bei der Arbeit. Dan schaut auf und stupst Se-bulon an: „Schau mal, da kommt unser feiner Bruder!“ Auch die anderen richten sich auf und sehen Josef kommen. „Was schaut ihr denn so“, sagt der, „ihr staunt wohl über mein schönes Gewand. Das habe ich vom Vater bekommen. Gefällt es euch auch so gut wie mir?“ – „Das ist doch die Höhe“, schimpft Dan, „kommt daher wie ein feiner Herr, und wir schuften und pla-gen uns ab“. Josef meint: „Ich kann ja nicht arbeiten, sonst mache ich mein Gewand schmut-zig!“ – „Jetzt reicht es aber“, schreit Sebulon, springt auf, reißt ihm sein Gewand vom Kör-per und ruft: „So, jetzt kannst du arbeiten wie wir!“ Und er gibt ihm noch einen Stoß, dass Josef hinfällt. Josef schreit zurück: „Ihr seid mir ja bloß neidisch, weil ich etwas Besseres bin als ihr!“ Das bringt die Brüder noch mehr in Wut. Sie schlagen Josef, bis er blutet.

Als ihre Wut wieder abgekühlt ist, stehen sie ratlos da. „Und was machen wir jetzt?“, fragt Rubens. „Wenn Josef das dem Vater erzählt, geht es uns schlecht“. – „Wir müssen ihn zum Schweigen bringen“, sagt Sebulon finster. „Und erst mal dafür sorgen, dass er nicht heim läuft. Da drüben ist ein leerer Brunnen, da stecken wir ihn erst mal hinein“. Schnell packen sie den jammernden Josef und bringen ihn in den Brunnen. „Und weiter?“ fragt Rubens. „Ich glaube, wir sitzen jetzt ganz schön in der Klemme!“

„Schaut, dort“, sagt Sebulon, „da kommt eine Karawane mit Kamelen! Die meinen wohl, dass in dem Brunnen noch Wasser ist!“ Die Karawane kommt tatsächlich näher. Es sind Kaufleute auf dem Weg nach Ägypten. Sie schauen sich den Brunnen an, entdecken Josef, fragen die Brüder aus, erfahren alles und haben dann eine Idee: „Gebt uns doch den Josef mit nach Ägypten! Das kostbare Gewand könnt ihr behalten, wir geben ihm ein anderes. Er bleibt am Leben und der Vater erfährt nichts“. – „Das ist die Lösung“, sagen die Brüder erleichtert. Aber als Josef mit der Karawane verschwindet, haben sie doch ein schlechtes Gewissen. Sie schlachten dann noch ein Schaf, tauchen das Kleid des Josef ins Blut ein, bis es ganz ver-schmiert ist, gehen nach Hause und erzählen dem Vater, dass Josef von einem wilden Tier getötet und verschleppt worden ist. Der Vater ist entsetzt und trauert um Josef, und die Brüder gehen ihm lieber aus dem Weg.

Die Jahre vergehen. Einmal gibt es eine große Trockenheit und eine schlechte Ernte. Bald sind die Vorräte aufgebraucht. In Ägypten gibt es noch Getreide zu kaufen, erfahren die Brüder und machen sich auf den Weg. Da müssen sie auch wieder an Josef denken. Was aus dem wohl geworden ist? Der ist wahrscheinlich für immer in dem riesengroßen Land Ägypten verschwunden. Sie kommen nach vielen Tagen beim ägyptischen Getreideverwalter an, sagen, wer sie sind, bekommen ihr Getreide – und erleben eine Überraschung, mit der sie nie und nimmer gerechnet hätten. Der königliche Getreideverwalter ist Josef, ihr Bruder. „Ihr wart nicht gut zu mir“, sagt er, und die Brüder nicken schuldbewusst. „Aber im Rückblick sehe ich ein, dass ich Vieles falsch gemacht habe. Ich habe gemeint, ich bin etwas Besseres als ihr und habe euch damit maßlos geärgert und in Wut gebracht. Aber jetzt bin ich tatsächlich etwas Besonderes geworden und kann euch helfen. Was schlecht begann, ist jetzt zu einem guten Ziel gekommen. Niemand von euch soll Hunger leiden.“ Erleichtert umarmen die Brüder Josef. Ruben meint: „Was uns damals so sehr an dir geärgert hat, das rettet uns jetzt das Leben. Wir haben uns geärgert, dass du so viel Zeit zum Nachdenken hattest, wir haben uns über die Erklärung deiner Träume geärgert, wir haben uns über dein schönes Gewand geär-gert. Und all das ist es, was uns jetzt vor dem Hunger bewahrt: deine Klugheit, deine Traumdeutung, deine Macht, die in deinem kostbaren Gewand sichtbar wird. Wenn wir das damals geahnt hätten….“ Er spricht nicht weiter, und Josef sagt, „so wie es jetzt ist, ist es gut für uns alle!“ Und sie sitzen nach lange, lange beieinander, denn sie haben sich so viel zu erzählen.

Gesprächsanregungen:

- Wie ist das, wenn man einem etwas nicht gönnt und dabei ganz wütend wird? Erzähle davon!
- Was die Brüder in ihrer Wut getan haben, das haben sie nachher sehr bereut. Aber da war es zu spät. Was kann man denn mit
  seiner Wut machen, damit man nachher nichts bereuen muss?

- Mit den Augen seiner Brüder hätte Josef vieles ganz anders sehen können. An was denkst du dabei?
- Wie hätte das Geschehen an solchen Stellen anders weitergehen können?
- Kennst du auch andere Beispiele, wo es nötig wäre, eine Sache auch mit den Augen der anderen zu sehen?

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