Martin Luther auf der Wartburg

 

Ziele

  • Einblick gewinnen in Luthers Wirken
  • wahrnehmen, wie die biblischen Texte durch umsichtige Übersetzungsarbeit verständlich gemacht wurden und werden

Vorüberlegungen

Martin Luther lebte ein knappes Jahr, vom Mai 1521 bis März 1522, auf der Wartburg bei Eisenach und verfasste dort in der erzwungenen Ruhe etliche wichtige Schriften, z.B. die ‚Postille‘, eine Mus-ter-Predigtsammlung, um den im Sinne der Reformation predigenden Pfarrern ihre Arbeit zu erleichtern. Gegen Ende dieser Zeit, ab Dezember, übersetzte er in nur wenigen Wochen das gesamte Neue Testament aus dem Griechischen in die deutsche Sprache. Als er im März inkognito nach Wittenberg reiste, um Auseinandersetzungen zu schlichten, hatte der die fertige Übersetzung des Neuen Testaments bei sich. Er kehrte von dort nicht mehr zur Wartburg zurück, sondern blieb in Wittenberg. Dort arbeitete er dann zusammen mit kundigen Fachleuten an der Übersetzung des Alten Testaments aus dem hebräischen Urtext. Luthers Übersetzung ins Deutsche war nicht die erste. Aber mit seiner besonderen Sprachkraft und seiner theologischen Kompetenz und Autorität schuf er ein Gesamtwerk ‚aus einem Guss‘, das für die lutherischen Kirchen fortan bestimmend war. Mit den sich seither immer wieder sich ändernden Sprachgewohnheiten wurde auch die ‚Lutherbibel‘ immer wieder behutsam dem aktuellen Sprachempfinden angepasst.

 

Erzählung
Von seinem Arbeitszimmer auf der Wartburg hat Martin Luther einen weiten Blick über das Thürin-ger Land mit seinen Wäldern und sanften Bergen. Schon seit Monaten wohnt er hier, aber Vieles ist immer noch fremd für ihn. Junker Jörg nennen ihn die Bediensteten, und so ist er auch gekleidet, wie ein junger Ritter. Aber eigentlich ist er doch immer noch ein Mönch und Priester, für den seine neuartige Kleidung ungewohnt ist. Fremd ist ihm auch, dass er wie ein Ehrengast umsorgt wird.

Wenn ihn ein Diener als Junker Jörg anspricht, dann wachen in ihm die Erinnerungen wieder auf, wie er hier her gekommen ist. Auf dem Reichstag in der Stadt Worms hatte er vor dem deutschen Kaiser Karl, allen anwesenden Fürsten und hohen Herren des ganzen Landes seine Überzeugung verteidigt, dass für den christlichen Glauben allein die Bibel der Maßstab ist und es nicht die vielen Bräuche und Lehren sind, die später dazugekommen sind. Aber der Kaiser hat sich nicht überzeugen lassen und die Reichsacht über ihn verhängt. Vogelfrei ist er nun, wie ein Vogel kann er von jedermann gefangen genommen und sogar ohne Strafe getötet werden. Ein kaiserlicher Beamter hat ihn zunächst auf der Rückreise in seine Heimat Wittenberg beschützt, das war ihm versprochen worden - aber eben nur ein Stück weit. Danach kam plötzlich im Wald der Überfall. Martin Luther wurde von bewaffneten Männern gefangen genommen und auf eine Burg gebracht. War das das Ende für Martin? Nein, denn diese Männer sollten ihn in Sicherheit bringen, hierher auf die Wartburg. Außer seinen engsten Freunden weiß niemand, dass er sich in dieser Burg aufhält. Auch die Diener wissen nicht, dass Junker Jörg in Wirklichkeit Martin Luther ist. All das geht Martin wieder durch den Kopf, als er gerade wieder mit Junker Jörg angeredet wurde und er seinen Blick von der Wartburg oben auf dem Berg über das weite Land hinweg schweifen lässt.

Da klopft es, der Herr der Burg, der Burgvogt Hans von Berlepsch, tritt ein und fragt: „Wie geht es, Martinus?“ Der antwortet: „Ich bin dankbar für die Sicherheit, die ich hier habe und für die Zeit zum Arbeiten an meinen Schriften. Gerade bin ich wieder an den schriftlichen Predigten, die für die vielen Pfarrer im Land eine Hilfe sein sollen bei der Vorbereitung ihrer Gottesdienste. Aber tausendmal lieber wäre ich unterwegs im Land, in den Städten und Dörfern, selbst zu predigen, den Menschen in ihren Sorgen beizustehen und sie bei wichtigen Entscheidungen zu beraten. Stattdessen bin ich hier oben auf der Burg im Reich der Vögel wie ein Singvogel in einem goldenen Käfig. Diese Wartburg ist wirklich wie eine Burg des Wartens für mich“. Der Burgvogt beruhigt ihn: „Martinus, mit all dem, was du schreibst, mit deinen Predigten und Ratschlägen und Aussagen zum christlichen Glauben erreichst du sehr viele Menschen. Deine Schriften werden gedruckt, die Leute reißen sich um sie, lesen sie begierig oder lassen sie sich vorlesen. Alle wissen, dass du lebst und nun eben mit deinen Briefen mitten unter ihnen bist. Aber niemand außer ganz wenigen weiß, dass du hier bei uns bist und das soll auch weiter unser Geheimnis bleiben. Schreib weiter in deiner sicheren Studierstube“. „Aber mir fehlt trotzdem das Gespräch mit vielen Freunden“, antwortet Martin. Der Burgvogt greift als Antwort in einen Korb, den er mitgebracht hat. „Das sind alles Briefe für dich, von deinen Freunden in Wittenberg“, erklärt er. „Jetzt musst du dir eben von ihnen sagen lassen, wie es im Land zugeht, vor allem in deiner Stadt, aber auch auch anderswo“.

Gleich darauf sitzt Martin wieder an seinem Arbeitstisch und liest aufmerksam die an ihn gerichteten Briefe. „Da habe ich wieder eine Menge zu tun, bis ich die alle beantwortet habe“, murmelt er vor sich hin. „Aber wahrscheinlich hat der Burgvogt doch Recht, wenn er meint, dass meine geschriebenen Antworten oft wichtiger sind als gesprochene Worte. Die kann man immer wieder lesen und weitergeben, auf viele Blätter drucken und an viele, viele Leute im ganzen Land verteilen“.

Dann öffnet er einen Brief von seinem engsten Freund in Wittenberg, von Philipp Melanchthon, und ist schon ganz gespannt, was der schreibt. Philipp bedankt sich für Luthers Briefe und schreibt dann: „Lieber Martinus, einen großen Wunsch haben wir alle noch: Kannst du nicht deine Zeit auf der Burg für einen Übersetzung der Bibel verwenden, zumindest für das Neue Testament mit den Evangelien von Jesus Christus und den Briefen der Apostel? Du hast schon so viele Gedanken zur Bibel geschrieben, jetzt fehlt noch die Übersetzung der Bibel selbst in die deutsche Sprache mit deinen kraftvollen Worten“. Martin lässt den Brief sinken. Es stimmt, denkt er sich, dass eine neue Bibelübersetzung in deutscher Sprache wichtig ist. Aber es gibt doch schon so viele von einzelnen Teilen der Bibel, da eine vom Johannesevangelium , dort eine von den Paulusbriefen, da von den Schöpfungsgeschichten im Alten Testament und dort die Erzählungen von Mose und David. Ist da wirklich eine neue Übersetzung von mir nötig?

Mitten in seine Gedanken hinein betritt der Burgvogt das Zimmer und fragt neugierig: „Was gibt es Neues aus Wittenberg?“ Martin zeigt auf Philipps Brief und sagt: „Philipp Melanchthon fordert mich auf, die ganze Bibel neu aus der hebräischen und griechischen Sprache, in denen sie entstanden ist, in die deutsche Sprache zu übersetzen. Aber es gibt doch schon….“ Da unterbricht ihn der Burgvogt: „Das wünsche ich mir auch schon lange. Die bislang einzig gültige Übersetzung ist die ins Lateinische, die Vulgata. Das ist die Bibel für alle, die Latein gelernt haben. Und den Übersetzungen ins Deutsche, die es gibt, fehlt die Anerkennung. Der eine übersetzt so, der andere anders, der eine überträgt vom Lateinischen ins Deutsche, der andere versucht es aus der hebräischen und griechischen Ursprache. An was sollen sich die Leute halten, wenn sie nicht überprüfen können, ob die Übersetzungen auch richtig und genau genug sind?

Du bringst die Fähigkeiten mit, eine wirklich sehr gute Übersetzung zu machen, zumindest für das Neue Testament. Du kennst dich ausgezeichnet in der griechischen Sprache aus, auch mit dem Hebräischen. Du bist in der Bibel zu Hause, hast dir fast zu jedem Satz schon viele Gedanken gemacht. Du kennst sie wie kaum ein anderer. Du spürst genau, worum es in jedem einzelnen Satz geht und kannst das treffend genau zum Ausdruck bringen. Ich meine auch, dass du der Richtige für diese wichtige Aufgabe bist“.

„Ich muss mir das durch den Kopf gehen lassen“, antwortet Martin. „Ich brauche jetzt erst einmal etwas Abwechslung. Heute abend gehe ich wieder einmal als Junker Jörg hinunter in die Stadt. So vieles in Eisenach erinnert mich an meine Kindheit. In meiner Verkleidung als Junker Jörg wird mich niemand erkennen und ich kann mich ein bisschen umhören, was die Leute reden“. – „Aber pass gut auf“, antwortet sein Freund Hans. „Wenn du erkannt wirst und sich das herumspricht, dass du hier auf der Wartburg wohnst, sind wir alle in Gefahr“. Martin verspricht ihm, gut aufzupassen, und bald darauf macht er sich bald auf den Weg.

Er kehrt in eine Wirtschaft ein und hört den Leuten zu. Erinnerungen werden wach an seine Schul-zeit, die er hier in Eisenach verbracht hat. Doch dann horcht er plötzlich auf: Er hat seinen Namen gehört und passt neugierig auf, was der Sprecher weiter sagt: „Von Martin Luther gibt es neue Schriften. Auch die sind wieder so gut. Da verstehe ich endlich, worum es im christlichen Glauben geht. Wir brauchen keine Angst vor Gott zu haben, sondern dürfen ihm vertrauen, wie Kinder ihren Eltern. Das, schreibt er, steht so in der Bibel. Das würde ich auch selbst gerne dort nachlesen. Aber ich kann ja kein Latein und mit den anderen Bibelübersetzungen kenne ich mich nicht aus.“ Ein anderer ergänzt: „Wenn Luther die Bibel übersetzen würde, dann würde ich sie bestimmt gerne lesen. Der schreibt ja in all seinen Briefen so, wie wir reden. Da macht das Lesen Spaß“. Und ein dritter ergänzt: „Wenn auf der Übersetzung der Bibel Martin Luther draufsteht, dann weiß ich, dass das Gute von ihm auch drin ist. Wir wissen doch eine ganze Menge von ihm, haben Vertrauen zu dem, was er sagt und schreibt. Auf ihn können wir uns verlassen. Ihm glaube ich gerne, dass er die richtigen Worte findet“. Die anderen murmeln beifällig: „Ja, so ist es!“

Martin will nicht länger bleiben. Was er gehört hat, gibt ihm viel zu denken. Und er will auf keinen Fall, dass die anderen auch ihn um seine Meinung fragen und auch, woher er kommt und wer er ist. So macht er sich wieder auf den Heimweg hinauf in die Burg. Schon in den nächsten Tagen ist er mit Feuereifer bei der Arbeit. Das griechische Neue Testament liegt auf seinem Tisch auf der linken Seite und auf der rechten füllt er Blatt für Blatt mit der Übersetzung ins Deutsche. Der Burgvogt schaut immer wieder mal vorbei und freut sich mit, dass Martin so gut vorankommt.

Gerade sitzt er wieder bei ihm und lässt sich von ihm erzählen und erklären: „Jetzt bin ich schon beim Lukasevangelium“, sagt Martin. Ich übersetze, wie der Engel zu Maria kommt und ihr sagt, dass sie Jesus zur Welt bringen wird. Er begrüßt sie so.. „Wieder unterbricht ihn Hans: „Gegrüßet seist du, Maria voll der Gnaden. So kenne ich es seit meiner Kindheit. Willst du das so lassen?“ „Nein“, antwortet Martin. „Voll mit etwas ist ein Fass, aber kein Mensch. Wie kann man denn mit Gnade vollgefüllt sein? Neulich, als ich in Eisenach war, hat ein Mann seine Frau ganz herzlich begrüßt: ‚Meine Holde, ich freue mich, dass du wieder da bist!‘ Und liebevoll hat sicher auch der Engel Maria begrüßt, vielleicht so: ‚Gegrüßet seist du, du Holde!‘ Sie soll doch spüren, dass es Gott gut mit ihr meint, dass er sie für etwas ganz Großes ausersehen hat.“ Hans meint: „Aber es ist doch ein Gruß, der ganz anders ist, als wenn jemand seine Frau begrüßt!“ Martin antwortet: „Ja und Nein. Man muss die Freundlichkeit und Liebe spüren, die ihr der Engel von Gott übermittelt. Und es ist auch etwas ganz Besonderes. Deshalb übersetze ich: ‚Gegrüßet seist du, Holdselige!“

Hans staunt. „So viele Gedanken machst du dir also!“ Martin lacht: „Ja, beim Übersetzen muss man nicht nur genau auf die Wörter in der griechischen Schrift achten, sondern genauso dem Volk aufs Maul schauen. Ich habe noch ein Beispiel. Im Lukasevangelium sagt Jesus im Kapitel 6, Vers 45 – ich lese es dir auf lateinisch aus der Vulgata vor, du kannst ja Latein: ‚ex abudantia cordis os loquitur‘“. Hans übersetzt wortgetreu: „Aus dem Überfluss des Herzens spricht der Mund“. Martin lacht wieder und meint: „Findest du das spannend und gut verständlich? Hier finde ich das Wort ‚voll‘ genau richtig. Wenn einem das Herz so voll ist, dass man gleich platzen könnte, dann muss das zum Mund hinaus, dann muss man davon reden oder singen. Da passt das Bild von einem vollen Fass, das überläuft, ganz gut“. „Und wie übersetzt du?“ fragt Hans neugierig: Martin antwortet: „Wenn einem das Herz voll ist, dem läuft der Mund über, dem sprudelt es nur so aus dem Mund heraus. Deshalb schreibe ich: ‚Wem das Herz voll ist, dem geht der Mund über“. Der Burgvogt nickt zustimmend und meint: „Ich bin ja so gespannt, wenn ich dann möglichst bald das von die übersetzte ganze Neue Testament in meinen Händen halten und fleißig darin lesen kann!“

„Deshalb muss ich gleich wieder weitermachen“, sagt Martin, „ich habe noch so viel zu tun. Bei den Briefen des Apostels Paulus ist mir zwar auch das Herz voll von Freude über seine Botschaft von Gott, der uns mit seiner Liebe beschenkt und uns so zu einem guten Leben hilft. Aber da sprudeln mir die deutschen Wörter nicht so leicht heraus, da muss ich mir noch viele Gedanken dazu machen und genau prüfen, welche die richtigen Wörter sind und am besten passen“.

 

Gesprächsimpulse

  • Wenn dich jemand fragt, warum Martin Luther auf der Wartburg war und was er da getan hat, kannst du ihm bestimmt eine gute Antwort geben. Was würdest du ihm sagen?
  • Obwohl es damals schon etliche Bibelübersetzungen gab, war der Wunsch nach einer Über-setzung von Martin Luther sehr groß. Warum?
  • Martin Luther fühlte sich auf der Burg wie ein Vogel in einem goldenen Käfig. Wie meinte er das wohl? Wie passt das Wort ‚vogelfrei‘ dazu, zu dem ihn der Kaiser auf dem Reichstag in Worms erklärt hatte?
  • Was meinte Martin Luther wohl mit dem Satz: ‚Man muss dem Volk aufs Maul schauen‘?

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