Die wichtigste Aufgabe bei der Erzählvorbereitung besteht darin, sich gut in die Hauptperson bzw. Hauptpersonen der Geschichte hineinzuversetzen. Denn die Geschichte wird lebendig in den Erfahrungen, die diese Personen machen. Sie lebt durch das, was an diesen Menschen, mit ihnen bzw. durch sie geschieht. In der biblischen Vorlage finden wir oft nur kurze Andeutungen zum Erleben der Hauptpersonen. In der Geschichte von der Sturmstillung etwa (Mt 8/Mk 4) können wir uns die Not und Verzweiflung der Jünger aus der Anrede an Jesus erschließen. Immerhin werden an dieser Stelle den Jüngern in direkter Rede Worte in den Mund gelegt - das lässt auf große Erregung schließen. 

Von den Hinweisen der Bibel ausgehend versuchen wir uns also in die Personen hineinzuversetzen. Wir erleben mit, was sie erleben. Wir lassen uns berühren von dem Unglück, das sie betroffen hat, von dem Kummer, der sie bedrückt. Wir spüren in uns selbst nach, wie wir uns in solcher Situation verhalten würden. Wir lassen in uns die entsprechenden Emotionen und Empfindungen lebendig werden. Je näher wir an diese Gefühle herankommen, desto echter wird die Nacherzählung werden, desto glaubhafter und nachvollziehbarer wird sie für die Zuhörenden Gestalt gewinnen.

Oft werden wir vor dem Beginn des eigentlichen Geschehens, das uns die Bibel berichtet, die Hauptperson näher kennenzulernen versuchen. In Lk 13 heißt es z.B. zu Beginn einer Heilungsgeschichte: "Siehe, eine Frau war da, die hatte seit achtzehn Jahren einen Geist, der sie krank machte, und sie war verkrümmt und konnte sich nicht mehr aufrichten". Wir sollen uns zunächst weniger darüber den Kopf zerbrechen, was mit dem krankmachenden Geist gemeint ist, sondern dem nachspüren, was es für diese Frau bedeuten musste, sich seit 18 Jahren nicht mehr aufrichten zu können. Ich versuche mich also hineinzudenken in die Schmerzen, die sie ertragen musste, wie sie mit Mühe ihre täglichen Aufgaben erledigte - was es bedeutete, immer nur den Boden vor sich zu sehen, anderen nicht ins Gesicht schauen zu können.
Wie wurde sie wohl von den anderen behandelt? Einen krankmachenden Geist zu haben, war das nicht schon ein vernichtendes Urteil, as einen aus dem Kreis der "Normalen" ausschloss?

Manchmal sind auch ein paar Hintergrundinformationen nötig. Von Zachäus heißt es nur: er war Oberzöllner und sehr reich. Wenn wir erfahren, dass Zöllner damals mit der römischen Besatzungsmacht zusammenarbeiteten und deshalb bei der jüdischen Bevölkerung verhasst waren, dass sie sich ihren Reichtum mit der Verachtung durch ihre Landsleute erkauften - dann wird sichtbar, welche folgenschwere Entscheidung Zachäus getroffen hatte, als er sich für diesen Beruf entschloss. Wahrscheinlich hatte ihn die Aussicht, viel Geld zu verdienen, fasziniert. Und nun litt er zunehmend unter dem Preis dafür, der Isolation von den anderen. Wie sollte er je aus dieser misslichen Lage wieder herauskommen können? Tag für Tag erlebte er neu, wie seine Fehlentscheidung ihn in eine Sackgasse gebracht hatte, wie er unter der Verachtung der anderen fast zerbrach, wie er immer verbitterter wurde - und kein Ausweg war in Sicht.

Es macht nichts, wenn wir mit unserer Phantasie zunächst weiter ausholen, als es nötig ist. Manches werden wir für die Erzählung nicht brauchen, aber was zum roten Faden passt, das werden sicher wichtige Erzählelemente, deren Wert wir vielleicht erst richtig erkennen, wenn wir mitten drin im Formulieren unserer Erzählung sind.

Im Verlauf des Geschehens dürfen wir unsere Hauptperson und ihr Erleben keinesfalls aus den Augen verlieren. Wie erlebt sie den Fortgang der Ereignisse? Oft müssen wir zurückschließen von den äußeren Geschehnissen: Was bewirkt (in der Sturmstillungsgeschichte) der aufkommende Sturm in den Jüngern? Wie erleben sie die wachsende Bedrohlichkeit? Wichtiger als die äußeren Ereignisse sind das, was sie in den Personen bewirken. Der Sturm und die Wellen werden zum Sturm der Angst und Verzweiflung in den Jüngern.

Es ist gar nicht so einfach, Gefühle zu erzählen. Wir sollten genau bedenken, wie sie sich zeigen, welches Verhalten sie hervorrufen: Sich an der Bordwand festklammern; hilflos und tatenlos auf die heranrollenden Wellen starren; mechanisch irgend etwas tun, usw. Beim Übersetzen der Gefühle in verdeutlichende Handlungen ist viel Einfühlungsvermögen gefragt. Was geht wohl in Zachäus vor, bis er den Entschluss fasst, auf den Baum zu steigen? Wie ist ihm zumute, als er auf dem Baum sitzt?

Wichtig ist, dass wir auch erzählen können, was die befreiende Botschaft von Gott, die Begegnung mit Jesus in den Personen auslöst: Dass wir genau nachzuspüren versuchen, wie sich Angst löst, wie Vertrauen aufkeimt, wie die Spannung nachlässt, wie diese Begegnung einen vergessen lässt, was noch rings um ihn her geschieht, wie sich die Gewissheit Raum schafft, dass etwas neu geworden ist, dass man reich beschenkt wurde. Es ist sehr wichtig, dass nicht nur die negative Vorgeschichte einfühlsam nahe gebracht wird, sondern entsprechend auch das Rettende, Befreiend, das neu geschenkte Leben.

Vom Erlebnis des Befreienden ist es oft nicht mehr weit bis zum Schluss. Freude kommt auf, zieht ihre Kreise, nimmt die Umstehenden mit hinein. Wir lösen uns so von der Hauptperson, verabschieden uns von ihr und dann auch unsere Zuhörenden aus der Geschichte. Die Freude kann in ein Fest münden, in Singen und Spielen.

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