Saul wird König in Israel (1. Samuel 10ff.)

 

Vorüberlegungen

Unter den Königen Israels nimmt der zweite zu diesem Amt Gesalbte, David, eine Vorrangstellung ein. Er hat den Verbund der israelitischen Stämme zu einem einheitlichen Staatswesen geformt, das sich selbstbewusst gegen die Machtansprüche der umliegenden Völker behaupten konnte. Davids Vorgänger war Saul. Seine durch den Propheten Samuel als göttliche Weisung legitimierte Wahl brachte zwar den Stämmen Israels zunächst Sicherheit. Aber es gab auch Vorbehalte gegen sein Königsamt: Wird der König gerecht mit der ihm übertragenen Macht umgehen? Blicke in umliegende Königreiche verhießen da wenig Gutes.

Damals wie heute zieht sich der spannungsvolle Zusammenhang von Machtübertragung und deren Missbrauch, von Verantwortung und Eigennutz als roter Faden durch zwischenmenschliche Beziehungen wie auch gesellschaftspolitische Konstellationen. Die Sehnsucht nach mächtigen Führungspersönlichkeiten ist groß, aber genauso wichtig ist es, die Instrumente der Machtbegrenzung nicht aus der Hand zu geben. Die Geschichte von Sauls Königswahl lädt dazu ein, solche Fragen schon möglichst frühzeitig mit Kindern zu bedenken.

Rätselhaft ist, dass Saul zuerst von Samuel zum König gesalbt, danach vom Volk zum König gewählt wird. Möglicherweise sind bei der Entstehung des biblischen Gesamttextes aus verschiedenen Einzelüberlieferungen unterschiedliche Fassungen desselben Ereignisses aufgenommen worden. Was könnte der Grund dafür sein. Das reizt zu eigenen Vermutungen.

Die Erzählung beginnt in der Familie des Isai, dessen jüngster Sohn David dann später der zweite König werden wird und wechselt dann auch zu anderen Gesprächskonstellationen. In diesen erdachten Szenerien wird zum einen der historische Hintergrund vorgestellt als auch die Frage nach dem gerechten König nach Gottes Willen ins Spiel gebracht.

 

Erzählung

Teil 1: Die Not ist groß
Isai wohnt mit seiner Familie in Bethlehem. Dort hatten sich vor etlicher Zeit seine Vorfahren niedergelassen, nachdem sie ins Land gezogen waren. Hier in Bethlehem ist Isai aufgewachsen und auch alt geworden. Seine ältesten Söhne sind schon erwachsen und wie der Vater Bauern geworden. Mit ihnen sitzt er in dem großen Wohnraum und sie sind ins Gespräch vertieft.

„Ein Jammer ist es“, klagt Abinadab, der Älteste, „wie sehr wir uns beim Pflügen draußen auf dem Feld plagen müssen! Die Pflugschar ist stumpf und an einer Ecke abgebrochen. Wir bräuchten dringend eine neue. Aber die gibt es ja nicht“. Leise, aber voller Zorn zischt er: „So ist es, seit die Philister die Herren im Land sind, seit wir unsere Freiheit verloren haben“. Und dann bricht es aus ihm heraus: „Alles wird von ihnen überwacht. Es ist zum Davonlaufen. Abgaben und Steuern müssen wir an sie zahlen. Jeden Tag müssen wir spüren, dass wir nichts mehr zu sagen haben in unserer eigenen Heimat“. Abinadab hat ihnen allen aus der Seele gesprochen. Das steckt in ihnen drin und nagt an ihnen: der Ärger über die Philister, die ihnen das Leben schwer machen; die Wut über die eigene Niederlage, die ihnen die Freiheit gekostet hat. „Kein Schmied darf mehr arbeiten“, fährt Abinadab fort, „weil sie Angst haben, er könnte Waffen herstellen. Das ist doch niederträchtig. Und deshalb muss ich mich so sehr beim Pflügen abschinden!“

„Uns geht es ja noch gut“, fügt der Zweite hinzu, Samma heißt er. „Aber wenn drunten am Jordan die Ammoniter einfallen, rauben und plündern, und du dich nicht einmal dagegen wehren kannst – das ist grausam! Und wir müssen uns das gefallen lassen und können nichts dagegen tun! Wenn doch bloß unsere Sippen nicht so weit auseinanderliegen würden, wenn man uns besser und schneller zusammentrommeln könnte, dann wäre das anders“.

„Ja“, sagt Vater Isai bedächtig, „Gott mutet uns viel zu in dieser Zeit. Und trotzdem glaube ich daran, dass er uns helfen wird“. „Ja, Vater, das glaube ich auch“, antwortet ein weiterer der Söhne. „Aber wir müssen schon die Augen offen halten, damit wir erkennen, wann und wie uns Gott helfen will, welchen Weg zu unserer Hilfe er uns zeigen will“. „Wie meinst du das?“ fragt Abinadab dazwischen. „Na, mit dem bloßen Herumsitzen und Warten geschieht nichts“, antwortet darauf Samma. „Wir müssten uns schon auch anstrengen, uns etwas ausdenken, dann den Prophet Samuel fragen und hören, ob Gott das so will und ob wir mit seiner Hilfe rechnen dürfen. Aber was?“ fügt er noch nachdenklich hinzu. „Na ja“, sagt Abinadab nach einer Pause, und seine Stimme klingt schon ein bisschen fröhlicher“, wenn ich mir vorstelle, was für eine Angst die Philister doch vor uns haben müssen! Sie überwachen die Schmiede und verbieten uns jedes Küchenmesser. Also ich glaube, wenn uns ein guter Gedanke kommt, wie wir uns wehren können, dann könnte sich das Blatt wenden und wir hätten die Aussicht, bald wieder frei zu sein“.

Gerade ist jemand zum Hauseingang gekommen. Es ist der jüngste Sohn Isais, David. Seine Aufgabe ist das Schafe-Hüten. Ein anstrengender Tag auf der Weide liegt hinter ihm. Er musste ein Schaf suchen, das sich verlaufen hatte, und es vor einem Raubtier schützen. Er hat zwar nur noch die letzten Sätze gehört, aber er weiß genau, worüber die Brüder mit dem Vater gesprochen haben. Auch er hat sich schon oft seine Gedanken gemacht, hat viel gegrübelt, was man gegen die Übermacht der Philister tun könnte. Jetzt mischt auch er sich in das Gespräch ein: „Neulich musste ich ein Schaf suchen, das sich sehr weit verlaufen hatte. Der Vater hat mir dabei geholfen. Als wir vor uns auf dem Berg die Stadt der Jebusiter sahen, hat er mir von den Leuten erzählt, die dort wohnen. Die haben einen König mit Knechten und Mägden, die für ihn sorgen. Es gibt dort reiche und arme Leute: den König, der von allen reichlich versorgt wird. Es gibt Handwerker, die gut verdienen, aber auch die Tagelöhner und schließlich Bettler, die froh sind, wenn sie das Nötigste zum Leben bekommen. Aber insgesamt geht es den Jebusitern in ihrer Stadt gut, denn die werden von den Philistern in Ruhe gelassen. Sie haben einen starken König, der dafür sorgen kann, dass es auch so bleibt. Vielleicht ginge es uns auch so, wenn wir einen König hätten!“

 

Teil 2: Was spricht für, was gegen einen König

Große Aufregung herrscht in Mizpa. Dort sind die Ältesten der Sippen Israels zusammengekommen. Zu Fuß oder auf Eseln sind sie hergezogen, aus allen Ortschaften des Landes. Manche von ihnen waren tagelang unterwegs. Samuel, der Gottesmann, hat sie zusammentrommeln lassen. Vor den Häusern stehen oder sitzen sie in Gruppen beieinander und haben sich viel zu erzählen. Denn es ist eine gute Weile her, seit sie sich zum letzten Mal getroffen haben, um miteinander Rat zu halten und gemeinsam Gott zu verehren und um dessen Hilfe zu bitten. Überall in den Dörfern haben sie schon seit Wochen debattiert, ob es gut wäre, einen König zu haben, so wie viele andere Völker. Und auch jetzt kreisen die Gespräche um diese große Frage. Im Schatten einer Hausmauer sitzen sechs Männer zusammen, Josef, Micha, Josua, Ruben, Ahab und Simeon.

„Welchen Vorteil soll uns eigentlich ein König bringen?“ eröffnet Ruben das Gespräch. Josua muss da nicht lange nachdenken und antwortet sofort: „Ein König hat die Macht, dass alle auf ihn hören müssen, und zwar sofort und ohne Widerrede. So sind immer genug Leute zur Stelle, mit denen die Angriffe der Philister und Ammoniter abgewehrt werden können“. Ahab wendet ein: „Aber zu viel Macht des Königs ist gefährlich. Sie nimmt uns die Freiheit, die wir bisher haben. Schaut euch doch die Könige unserer Nachbarländer an: Die beuten ihre Untertanen aus, treiben von ihnen hohe Steuern ein, um selbst in Saus und Braus leben zu können. Wir haben bisher keinen König gehabt und konnten uns immer auf Gottes Hilfe verlassen. So wird es auch weiter gut sein. Es genügt, dass wir auf Gott vertrauen“.

Josef antwortet rasch: „Gott hat unserem Volk auch früher starke Anführer geschenkt. Denkt nur an Mose, der unsere Vorfahren aus der Gefangenschaft aus Ägypten herausgeführt hat. So könnte jetzt ein König solch einer sein. Wichtig ist, dass er ein König unter Gott ist, der sich an die Gebote gebunden weiß, die uns Gott geschenkt hat. Gegen die Philister brauchen wir heute eine andere Macht als damals Mose, eben die Macht eines Königs. Es ist unsere Sache, darauf zu achten, dass er ein Diener Gottes und unseres ganzen Volks bleibt“.

„Wie das gelingt, können wir ja bei den Königen um uns herum sehen“, antwortet Simeon spöttisch. „Sie beanspruchen für sich, was damit den anderen fehlt: die besten Äcker und Weinberge, Dienstboten und kluge Berater. Sie holen sich die besten Leute zu sich, und auf die müssen wir in unseren Dörfern verzichten“. Micha wendet ein: „Aber weil uns allen Gefahr droht, ist es doch gerade wichtig, dass der König die besten Berater an seiner Seite hat. Nur so kann er klug und umsichtig regieren“.

So geht das Gespräch hin und her: Die einen vertrauen darauf, dass Gott auch ohne einen König hilft, die anderen erkennen Gottes Hilfe gerade darin, wenn er einen klugen, umsichtigen, starken König auserwählt.

 

Teil 3: Saul wird zum König gesalbt

„Seht, dort drüben geht Samuel, der Gottesmann!“ ruft Josef. „In seiner Haut möchte ich jetzt nicht stecken! Was der zur Zeit hören muss an Jammern und Klagen, Wünschen und Vorschlägen!“ Samuel ist in einem Haus verschwunden. Im großen Raum sitzen dort die engsten Vertrauten Samuels. Zu ihnen gehört auch Isai. Sie rücken zur Seite und machen Samuel in ihrem Kreis Platz. Auf Decken sitzen sie am Boden und schweigen. „Unsere Rettung hat schon begonnen“, spricht Samuel langsam und nachdrücklich in die Stille hinein. Die Köpfe der Männer fahren hoch. Ihre Augen suchen gespannt Samuels Blick, so als wollten sie aus seinem Gesichtsausdruck möglichst viel herauslesen. „Ja, vor wenigen Tagen“, fährt Samuel fort, „gab mir Gott Weisung, dass wir einen König bekommen“. Einer der Männer antwortet bedächtig: „Gott lässt uns also doch nicht im Stich!“ Samuel nickt und spricht weiter:

„Ich war in Rama, um dort auf dem Berg ein Opferfest zu feiern. Da sprach Gott zu mir: ‚Ich sehe die Not meines Volkes, und ich will ihnen einen geben, der es aus der Hand der Philister erretten wird. Groß und stark wird er sein und fähig, euch zu regieren und zu leiten, damit die Befreiung gelingt. Morgen wird er hier erscheinen, ein Mann aus dem Stamm Benjamin. Salbe ihn zum Fürsten über mein Volk Israel, damit er es errette aus der Not‘. Und so geschah es auch. Zwei Männer erschienen bei mir, um mich nach zwei entlaufenen Eselinnen zu fragen. Einer der beiden nannte sich Saul, Sohn des Kisch aus Benjamin. Groß und kräftig stand er vor mir und ich wusste: es ist der Richtige. ‚Habt keine Sorge um die Eselinnen‘, konnte ich den beiden sagen, ‚sie sind in Sicherheit‘. Ich lud sie zum Mitfeiern des Opferfests ein. Am nächsten Tag begleitete ich sie ein Stück weit auf ihrem Weg. Dann ließ ich den Knecht vorausgehen, nahm Saul zu Seite und tat wie von Gott befohlen. Ich salbte ihn mit Öl als Zeichen dafür, dass er jetzt von Gott den Auftrag bekommen hat, das Volk aus der Gewalt der Feinde zu befreien. Und noch etwas hatte ich zu sagen: ‚Du sollst wissen, dass es unser Gott Jahwe ist, der dich beauftragt hat. Es ist der Gott, dessen Gebote für uns alle gelten – auch für dich, wenn du König bist‘“. Samuel hört auf zu erzählen. Zunächst wagt niemand etwas zu sagen. Dann fängt Isai zu sprechen an. „Gott sei Dank, dass er seine Hilfe wahr machen wird“. „Ja, Gott sei Dank!“ bekräftigen die anderen.

 

Teil 4: Saul wird zum König gewählt

Am Abend sitzen die Ältesten der Stämme Israel draußen am Heiligtum von Mizpa, einem großen Gedenkstein. Auch die Bewohner der Stadt sind mit hinausgezogen, stehen im Hintergrund, recken neugierig und erwartungsvoll die Hälse, um möglichst viel mitzubekommen. Samuel hält eine Rede: „Gott hat unser Rufen erhört und wird uns helfen!“ Man hört Raunen aus dem Kreis der Ältesten und spürt bei Vielen große Erleichterung. Noch gespannter als vorher lauschen die Männer jetzt Samuels Worten: „Gott spricht: Ihr wollt einen König, ihr habt miteinander darüber beraten. Ihr sollt einen König haben. Ich will ihn euch geben!“

Laut und deutlich spricht Samuel, damit kein Wort verloren geht: „Einer von euch soll der König sein, ein Mensch wie wir alle, mit guten Seiten und mit Schwächen. Gott hat ihn auserwählt. Aber auch ihr sollt ihn wählen, damit ihr wisst: Er ist einer von euch – und damit er weiß, wem er zu dienen hat. Danach leitet Samuel unter den gespannten Blicken aller die Wahl. Nacheinander treten zuerst die Abgesandten er einzelnen Stämme vor, in der Reihe ihrer Rangfolge, von Ruben bis Benjamin. Immer wieder fällt der Stein, den Samuel hochwirft, auf die Nein-Seite. Erst ganz zum Schluss zeigt er das ‚Ja‘ an: aus dem Stamm Benjamin stammt also der neue König. Weiter geht es so mit den Sippen dieses Stammes, es trifft die Sippe Matri, dann stehen die Söhne dieser Sippe zur Wahl. Es trifft Saul, den Sohn des Kis.

Wo ist er? Man muss ihn erst suchen und herbei schaffen. Dann sehen ihn alle: Groß und stark ist er. Einen prächtigen, jugendlichen König haben sie. In Windeseile spricht sich herum, was einige über Saul wissen, und genauso schnell ist alles klar: Er ist der Richtige. Er bringt mit, was ein König braucht. Samuel wendet sich erneut an die Anwesenden: „Gott hat uns geholfen. Er hat uns den Besten unter uns zum König gegeben“. Dann wendet er sich an Saul: „Gott will, dass du, unser König, dich an Gottes Weisungen hältst. Viele gute Gaben hat Gott dir gegeben. Mit ihnen sollst du deinem Volk dienen, zur Ehre Gottes. Versprich, dass du es tun wirst, dass du Gottes Diener bleiben und seine Gebote halten wirst“. Saul antwortet mit einem deutlichen „Ja“. Mit einem Fest klingt die Wahl des Königs aus. Alle essen und trinken, reden über das, was zurückliegt und über das, was nun bald geschehen wird.

An einem Feuer sitzen auch wieder die sechs Freunde Josua, Ruben, Josef, Ahab, Micha und Simeon zusammen. „Durch Gottes Kraft wird Saul mächtig sein“, sagt Josua feierlich. „Gottes heiliger Arm wird ihn stark machen!“ Ahab antwortet mit einer spitzen Bemerkung: „Pass nur auf, dass er nicht zu stark wird!“ Und Ruben ergänzt: „Wer weiß, was ist, wenn er mit dem Sieg über die Philister noch nicht genug an Macht hat?“ Besorgnis ist aus seiner Stimme zu hören. Josef sagt darauf: „Wir können für unseren König beten. Wir können immer wieder Gott darum bitten, dass Saul seinen Auftrag richtig erfüllt, dass er ein guter König für uns ist und bleibt“. Simeon schaut Josef aufmerksam ins Gesicht und erwidert: „Ja, das können wir. Aber wir sollten nie vergessen, was unsere Aufgaben sind. Es liegt auch an uns, dass wir die Macht des Königs in Grenzen halten, so wie es Gottes Wille ist“. „Und damit sollten wir nie zu lange warten“, ergänzt Ruben.

 

Gesprächsanregungen

  • Für und gegen die Wahl eines Königs gab es hitzige Gespräche. An welche Gründe für die unterschiedlichen Überzeugungen kannst du dich erinnern?
  • Welche sind für dich am überzeugendsten? Für welche Seite würdest du dich entscheiden?
  • Samuel hat den neuen König deutlich an seine Pflichten erinnert und dabei auf die Gebote verwiesen. An welche Gebote sollte Saul wohl in besonderer Weise denken?
  • Gott hat den Besten zum König bestimmt und danach haben die Sippen ihn gewählt. Wie passt das wohl zusammen?
  • In die Dankbarkeit für den neuen König mischte sich auch die Verantwortung dafür, dass der König seine Macht nicht missbraucht. Was könnte mit dieser Verantwortung wohl gemeint sein?
  • Ist solche Verantwortung auch für unsere Zeit, in der es selten Könige gibt, auch von Bedeutung?
  • Wie passen das Gebet für den König und die Mitverantwortung für die Grenzen seiner Macht wohl zusammen?

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