Paulus bei Priscilla und Aquila in Korinth

Vorüberlegungen

Vom Aufenthalt des Paulus in Korinth erfahren wir aus der Apostelgeschichte (Kap.18) sowie aus seinen späteren Briefen an die Gemeinde in Korinth, in denen er auf seine Erfahrungen dort und auf inzwischen eingetretene Veränderungen eingeht. Von Aquila und Priszilla ist oft die Rede. Die beiden sind wesentlich an der Gründung der Gemeinde beteiligt.

Die Erzählung ist aus der Sicht von Priszilla angelegt – diese Akzentsetzung soll auch darauf aufmerksam machen, welche bedeutenden Rollen Frauen in den frühen christlichen Gemeinden innehatten. Der Schwerpunkt der Geschichte liegt auf der Gemeinschaft der Christen, die in Korinth auf ungewöhnliche, erstaunliche Weise die Grenzen zwischen den verschiedenen gesellschaftlichen Schichten überwindet. Das gibt mancherlei Impulse zum Nachdenken darüber, wie so etwas auch heute angestrebt werden und geschehen könnte.
Ausgeklammert wird die Auseinandersetzung mit der Synagogengemeinde, die mit dem Wechsel des Synagogenvorstehers Krispus zur Christengemeinde eine besondere Schärfe gewinnt. Ausgeblendet bleiben auch die schmerzlichen Erfahrungen des Paulus, als er später vom Verfall dieser besonderen Gemeinschaft als Kennzeichen der Gemeinde erfährt.

 

Erzählung

Gerade hat Priska in ihrer Zeltmacherwerkstatt in Korinth ein Verkaufsgespräch mit einem Schafhirten aus den Dörfern weit außerhalb der Stadt geführt. Sie begleitet ihn hinaus auf die Gasse, verabschiedet sich von ihm und schaut noch eine Weile gedankenverloren auf das Leben und Treiben vor ihr. Sie denkt an den Auftrag des Hirten, an sein Nomadenzelt, in dem er wohnt. Und sie denkt als Jüdin auch an die alten Geschichten der wandernden Schafhirten in der Bibel, die auch in Zelten wohnten – an die Geschichten von Abraham und Jakob, von Isaak und Rebekka, von Jakob und Esau.

Am Ende der Gasse glänzen die Säulen eines griechischen Tempels im Sonnenlicht. Mit den Göttern, die in solchen Tempeln verehrt werden, hat sie nichts im Sinn. Ihr Gotteshaus ist die Synagoge ganz in der Nähe. In solch einer Synagoge hat sie zuerst von den Geschichten der Bibel gehört – nicht hier in Korinth, sondern in Rom. Dort hatte sie auch Menschen kennengelernt, die von einem Jesus erzählten, den sie als einen gesalbten König verehrten und Christus nannten. Aus Rom wurden die Juden und auch Christen durch ein Gesetz des Kaisers Claudius vertrieben, auch Priska mit ihrem Mann Aquila. Hier in Korinth haben die beiden als Zeltmacher eine neue Heimat gefunden.

Durch den Ruf „Priszilla“ wird sie aus ihren Erinnerungen herausgerissen. Das ist die Stimme von Aquila. Zwischen all den anderen Leuten in der Gasse sieht sie ihn fröhlich winken. „Priszilla“ ruft er noch einmal. (Das ist so, wie wenn man bei uns ein –chen anhängt und aus der Anna ein Ännchen und aus der Sabine ein Sabinchen macht.) Als sie sich vor etlichen Jahren kennen und lieben lernten, da hat er zu ihr gesagt: „Priska heißt ‚die Altehrwürdige‘. Das passt nicht zu dir. Darum nenne ich dich Priszilla“. Und sie hat geantwortet: „Ich finde auch, dass Priszilla viel freundlicher und netter klingt“. Seither lässt sie sich auch von guten Freunden gerne so nennen. Sie ahnt noch nicht, dass bald viele neue gute Freunde dazukommen werden.

Da ist Aquila auch schon bei der Werkstatt angekommen. Er hat einen Begleiter dabei und stellt die beiden einander vor: „Das ist Paulus, einer der Jesus-Leute. Er reist durch das ganze Land, war schon in Philippi und Athen. Er berichtet von Jesus Christus und dem Glauben an ihn. Erst vor wenigen Tagen ist er hier in Korinth angekommen. Er ist auch Zeltmacher so wie wir. Wir könnten ihn doch gut bei uns aufnehmen. Einen Mitarbeiter bei unserer Arbeit in der Werkstatt können wir gut gebrauchen, und seit unserer Zeit in Rom haben wir nichts mehr von den Jesus-Leuten gehört. Da werden wir von Paulus sicher viel Neues erfahren“. Priszilla nickt zustimmend und meint: „Das würde auch mich sehr freuen. Seltsam, gerade vor wenigen Minuten war ich mit meinen Erinnerungen in Rom, bei den Geschichten aus der Bibel und den Erzählungen von Jesus Christus. Das ist bestimmt ein gutes Zeichen“. Sie nickt Paulus aufmunternd zu und sagt: „Herzlich willkommen bei uns!“

Noch am Abend machen die drei einen Spaziergang durch die Stadt. Sie schlendern durch enge Gassen mit den Werkstätten der Handwerker und ihren kleinen Wohnungen zum mächtigen Stadttor und weiter auf einer breiten Straße mit stattlichen, prächtigen Wohn- und Geschäftshäusern zum weiten Marktplatz. Der ist von Tempeln und Wandelhallen umgeben und geschmückt mit Götterstatuen. In der Mitte erhebt sich eine große Tribüne, die für wichtige Mitteilungen der römischen Stadtverwaltung an die Bürger und auch für öffentliche Gerichtsverhandlungen bestimmt ist.

Paulus fühlt sich unangenehm an seine Rede in Athen erinnert, und er erzählt den beiden, wie man sie dort mit Spott und Gelächter aufgenommen hat. Aquila beruhigt ihn: „Vieles hier mag ähnlich sein wie in Athen. Aber die Leute hier sind anders. Sieh hier die unglaublich lange Markthalle mit den Verkaufsbuden zu beiden Seiten. Unsere Stadt lebt vom Handel, vom Kaufen und Verkaufen. Die einen machen mit hohen Preisen gute Gewinne, die anderen leiden darunter. Und so gibt es Arme und Reiche. Die einen leben in ihren engen Arbeitervierteln, die anderen in prächtigen Häusern mit großzügigen Gärten. Arme und Reiche wollen wenig miteinander zu tun haben“.

Priszilla ergänzt: „Korinth ist eine unglaublich bunte Stadt. Sie dir nur die unterschiedlichen Gewänder der Leute an. Die einen kommen aus Kleinasien, wo du ja schon viel unterwegs warst, die anderen aus Nordafrika. Hier am Marktplatz zeigen sich vor allem diejenigen, die viel Geld haben und viel kaufen können. Aber wenn wir jetzt hinunter zum Hafen gehen, dann sehen wir diejenigen, die für wenig Geld viel schuften müssen. Die bleiben auch lieber unter sich“. Und nach einer Pause ergänzt sie noch nachdenklich: „Aber sie alle sehnen sich nach einem guten und sinnvollen Leben“.

Paulus meint: „Ich habe den Eindruck, hier geht es weniger um kluge Diskussionen wie in Athen, sondern vielmehr um das praktische Leben. Dass Menschen ganz unterschiedlich leben, als Handwerker, Händler, Sklaven, Personen der Stadtregierung – das lässt sich wohl nicht ändern. Aber dass sie als Menschen gleich behandelt werden, Anerkennung und Wertschätzung erfahren, das hat viel mit unserem Glauben zu tun“.

„Und wie willst du das erreichen?“ fragt Priszilla neugierig. Paulus antwortet: „Ich träume von einer Gemeinde, in der Menschen aus allen Kreisen der Bevölkerung beieinander sind und feiern, essen und trinken, singen und beten. Nicht nur die Männer haben in dieser Gemeinde viel zu sagen, sondern auch die Frauen. Und das alles geschieht im Namen unseres Herrn Jesus Christus, der uns lehrt, in jedem Menschen die von Gott geliebte Person zu sehen“. Priszilla nickt nachdenklich: „Das ist ein großartiges Ziel. Ob wir das jemals erreichen werden?“ Und Aquila sagt mit nachdrücklichen Worten: „Paulus, wir sind auf deiner Seite!“

In den folgenden Wochen und Monaten arbeitet Paulus zum einen in der Zeltmacherwerkstatt. Er will sein Geld zum Leben verdienen wie die anderen auch. Er will nicht eine besondere Person sein, die von Spenden lebt. Aber seine freie Zeit nutzt er für viele Gespräche mit den Menschen um ihn herum: vor der Werkstatt im Handwerkerviertel, auf dem Marktplatz mit seinen vornehmen Gebäuden, auch unten am Hafen. Als jüdischer Prediger und Lehrer versammelt er auch in der Synagoge Menschen um sich. Aber wie kann er die Menschen, die sich für seine Worte und für ein Leben mit Jesus Christus interessieren, zu einer Gemeinde zusammenbringen? In der Synagoge ist das nicht möglich. Da spürt er immer mehr Widerstand. Immer öfter wird ihm dort vorgeworfen: „Paulus, was du sagst und willst, das passt nicht zu den Ordnungen und Regeln unseres Glaubens. Du willst zu viel ganz anders machen“.

Wie so oft sitzen abends Paulus, Priszilla und Aquila beisammen und beraten, wie sie dem großen Ziel einer lebendigen, bunten Gemeinschaft derer, die an Jesus Christus glauben, näher kommen könnten. Da hat Priszilla eine Idee: „Paulus, du hast uns doch von dem wohlhabenden Römer Titius Justus erzählt, und dass er für deine Botschaft sehr aufgeschlossen ist. Er hat neben der Synagoge eine großes Haus mit viel Platz. Das könnte dann so etwas wie ein Gotteshaus für alle diejenigen sein, die zu Jesus-Freunden geworden sind – ohne die strengen Regeln der Synagoge, sondern vielmehr in der Freiheit des Glaubens, in der sich alle wohlfühlen können“. Zum Glück findet Titius Justus diese Idee auch gut, und so treffen sich die ersten Christen von Korinth bald regelmäßig in seinem Haus.

Heute Abend ist es wieder soweit. Priszilla und Aquila freuen sich schon auf das Miteinander, auf die Gespräche und das Feiern. Cloe, die sich um die Arbeiter am Hafen kümmert, hat schon angekündigt, dass sie ein paar Neue mitbringen wird. „Allein würden sie sich nicht her trauen“, hat sie gesagt. „Sie hätten zu viel Angst, sich falsch zu benehmen“. Priszilla hat geantwortet: „Die Angst kannst du ihnen bestimmt nehmen, mit deinem großen Herz für diese Menschen“.

Die vornehme Phöbe, die in Kenchreä, einem ebenso vornehmen Vorort am Rand der Stadt wohnt, begrüßt die Eintretenden. Den neuen Arbeitern vom Hafen ist das zuerst peinlich. Sie kommen direkt von der Arbeit. Der Geruch von Fisch und Salz steckt noch in ihren Kleidern, und sie hatten auch keine Gelegenheit, etwas zum Essen und Trinken mitzubringen. Und außerdem wurden sie wohl noch nie von einer vornehmen Dame persönlich begrüßt. Die Herzlichkeit, mit der Phöbe sie willkommen heißt, wischt alle unangenehmen Gefühle hinweg. Einige der Gäste bringen viel mit, andere wenig oder auch gar nichts. Cloe erklärt ihren Leuten die Regel: Jeder bringt das mit, was er kann. Da wird niemandem auf die Finger geschaut“.

Erstaunt stellt einer der Neuen fest, dass auch Erastus, ein hoher Beamter der Stadtverwaltung da ist. Und noch erstaunter sind sie, als er sich zu ihnen zu einem zwanglosen Gespräch setzt. Er erzählt ihnen, warum auch er zu den Jesus-Leuten gehört. „Mich hat der Glaube an den einen Gott schon immer fasziniert. Und so stand ich auch der jüdischen Synagogengemeinde nahe. Aber ich muss so oft an festlichen Gastmählern teilnehmen. Bei denen kann ich nie genau wissen, ob das Essen auch wirklich den jüdischen Speiseregeln entspricht. Paulus hat mich von dieser Sorge befreit, als er gesagt hat: ‚Bei uns gilt das Gesetz der Liebe, so wie es Jesus selbst gelehrt hat. Entscheidender als die Speiseregeln ist, wie wir uns gegenseitig als Menschen achten. Darum bin ich hier“.

Ja, es ist wirklich wie ein Traum. Arme und Reiche, in der Stadt hoch Geachtete und kaum Wahrgenommene sitzen beieinander und reden ganz natürlich von Mensch zu Mensch. Es gibt keine Rangunterschiede zwischen Männern und Frauen. Gerade sie, Priszilla, Cloe, Phöbe und andere Frauen haben in dieser Gemeinde wichtige Aufgaben, damit das Miteinander gut gelingt.

Im Anschluss an das Essen wird gemeinsam der Gottesdienst gefeiert. Priszilla leitet ihn, mit den Liedern und Gebeten, den Lesungen aus der Bibel, die Juden und Christen gemeinsam haben. Dazu gehört auch eine Predigt des Paulus und schließlich die Feier des Abendmahls, so wie es Jesus den Seinen vor seinem Tod aufgetragen hat.

Spät am Abend, nachdem Paulus wieder mit Aquila und Priszilla zu Hause ist, tauschen sie sich noch darüber aus, wie gut ihnen diese Feier im Haus des Titius Justus getan hat. Priszilla meint: „Paulus, du hast dein Ziel erreicht!“ Der nickt und sagt dann nachdenklich: „Dazu habe ich zweierlei zu sagen. Zum einen freue auch ich mich von Herzen darüber. Zum anderen aber ist damit auch mein Auftrag hier in Korinth beendet ist. Ich werde wieder weiterreisen. Es ist mir bei euch sehr gut gegangen und dafür danke ich euch sehr. Es fällt mir schwer, Abschied von euch zu nehmen“.

„Uns nicht“, erwidert Priszilla fröhlich und bringt damit Paulus in große Verwirrung. Auf dessen fragenden Blick hin sagt sie nämlich weiter: Aqulia und ich haben auch schon darüber nachgedacht. Wir werden nämlich nicht von dir Abschied nehmen, sondern dich auf deiner weiteren Reise begleiten“. Damit verschwinden sehr schnell die Sorgenfalten auf dem Gesicht des Apostels Paulus, und die Drei haben jetzt viel zu besprechen, was es für die gemeinsame Reise vorzubereiten gilt.

 

Gesprächsanregungen

  • Auf dem Weg durch die Stadt nimmt Paulus aufmerksam wahr, was das Besondere hier in Korinth ist. An was kannst du dich erinnern?
  • In dem Gesprächen mit Priszilla und Aquila wird den Dreien das Ziel der Verkündigung des Evangeliums hier in Korinth immer deutlicher. Wie kannst du es mit deinen eigenen Worten erklären?
  • Wie passt dieses Ziel zu der Botschaft von Jesus Christus? An welche Jesusgeschichten kannst du dich erinnern, die zu diesem Ziel passen?
  • Um dieses Ziel zu erreichen, war es mit Worten allein nicht getan. Kannst du dich erinnern, wie die Personen, die am Abend zusammenkamen, zu diesem Ziel beigetragen haben? Erzähle davon!
  • Was von diesen Beiträgen wäre dir auch heute für das Leben einer christlichen Gemeinde wichtig?

Hinweis

Die Geschichte des Monats Juni 2015 hat sich mit der weiteren Entwicklung der Gemeinde in Korinth beschäftigt: Leider sind die Ziele des gemeinschaftlichen Miteinanders im Glauben aus dem Blick geraten. In seinen Briefen an die Korinther hat Paulus nachdrücklich an diese Ziele erinnert.

Zur Geschichte des Monats Juni 2015

 

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