Ein interreligiöses Gespräch zum Weihnachtsfest

Ob der Evangelist Lukas wohl je geahnt hätte, welche Bedeutung seine Weihnachtsgeschichte mit Maria und Josef, den Hirten auf dem Felde, dem Lobgesang der Engel und dem Kind in der Krippe gewinnen würde? Jedes Jahr wieder packen wir die Figuren der Weihnachtskrippe aus und stellen sie auf. Was hat es wohl mit dieser Geschichte und vor allem mit diesem Kind in der Krippe auf sich, dass die Geburt Jesu so eindrücklich und mit solchem Aufwand jedes Jahr neu gefeiert wird? „Das ist doch klar“, wissen schon die Kinder, „Jesus Christus war Gottes Sohn, der Heiland der Welt. Er hat uns von Gottes Liebe zu uns Menschen erzählt. Darum feiern wir Weihnachten“. Ist das wirklich so klar? Ich kann mir gut vorstellen, dass Menschen, die dem Christentum ferner stehen oder auch einer anderen Religion angehören, so manche Fragen haben, was es denn mit der Geburt dieses Kindes und seiner Bedeutung für uns auf sich hat. Ich stelle mir heute vor, dass beim Aufstellen der Krippe ein Moslem dabei ist, einer, der für diese Fragen aufgeschlossen, der an ihnen interessiert ist.

„Von Jesu Geburt ist auch im Koran die Rede“ eröffnet er das Gespräch. „Zwar nicht von einem Stall, von Hirten und von Ochs und Esel. Aber dass Jesus eine außergewöhnliche Person war, ein ganz großer Prophet Gottes, das steht auch im Koran."

Ich bin erstaunt über so viel Gemeinsamkeit. Solch eine heraus gehobene Stellung Jesu im Koran hätte ich nicht erwartet. Mein Gesprächspartner fährt fort: „Das mit den Hirten steht zwar nicht im Koran, aber es passt doch dazu. Jesus war für die Menschen da, die unter Ungerechtigkeit zu leiden hatten, so wie die Hirten damals. Er war ein lebendiges Zeichen der Barmherzigkeit Gottes. Das steht im Koran. – Damit hat es wohl zu tun, dass es in der Adventszeit so viele Spendenaufrufe gibt und die Leute sich mehr als sonst von der Not anderer Menschen anrühren lassen. Aber ob Jesus gewollt hätte, dass dabei so viel Hektik ausbricht?“

Soviel Sympathie für Jesus macht mich neugierig: „Warum eigentlich hat Mohammed dann Jahrhunderte nach Christi Geburt eine eigene Religion begründet?“ frage ich. Jetzt geht es zur Sache. Mein Gegenüber antwortet: „Ihr habt einen großen Fehler gemacht. Ihr nennt Jesus Gottes Sohn. In den Weihnachtsliedern heißt es immer wieder, dass Maria Gottes Sohn geboren hat. Aber damit verratet ihr den Glauben an den einen Gott. Gott ist einer – das ist unser wichtigstes Bekenntnis. Der eine Gott kann keine Kinder haben, die auch Götter sind.“ Er zeigt auf die Krippe: „Dieses Kind in der Krippe da ist doch durch und durch ein Mensch, das kann nicht ein Gott sein. Gott ist kein kleines Kind. Gott ist unsichtbar, allmächtig und erhaben, eben ganz anders als Menschen. Wenn sich Gott in einen Menschen verwandeln würde, dann würde er aufhören Gott zu sein. Und das wäre schlimm für uns alle. Jesus hat doch später auch zu Gott gebetet, also war er Mensch. Er hat zu Gott Vater gesagt, weil Gott der Vater aller Menschen ist.“

Ich fühle mich verunsichert. Mir gehen die Weihnachtslieder durch den Kopf: Holder Knabe im lockigen Haar, Gottes Sohn, o wie lacht... Haben wir uns das wirklich gut überlegt, was wir da singen und feiern? Ich spüre, hier tut sich eine Kluft auf zwischen Christen und Muslimen. Und mir dämmert, dass es da auch Klärungsbedarf im eigenen christlichen Lager gibt. Ich nehme einen neuen Anlauf und sage: „Wahrscheinlich sollten wir „Sohn Gottes“ nicht so wörtlich verstehen, sondern eher als ein Sinnbild, als ein Gleichnis.“ – „Und wofür?“ fragt mein Gegenüber neugierig.

Ich antworte: „Dafür, dass sich Gott in diesem Jesus zu erkennen gegeben hat, dass Jesus viel von dem ans Licht gebracht hat, wer Gott für uns ist.“ Jetzt fühle ich mich wieder sicherer: „So ist Gott, hat Jesus immer wieder gesagt, wenn er seine Zuwendung zu anderen Menschen erläutert und kommentiert hat. So wie ich mich den Menschen zuwende, so tut das Gott mit euch. Wer Gott für uns ist, das ist in Jesu Worten und Taten anschaulich und lebendig geworden. Weil Jesus zum Licht für viele Menschen wurde, kann ich glauben, dass Gott das Licht der Welt ist. Gott ist Liebe – das ist glaubhaft, weil Jesus diese Liebe verkörpert hat. Gott ist nahe bei uns – weil er diese Nähe in Jesus gezeigt hat. - Gott hat sich in diesem Jesus festgelegt, als der Gott der Nähe, der Zuwendung, der Menschenfreundlichkeit.“

Mein Gegenüber schüttelt den Kopf: „Gott lässt sich nicht festlegen. Gott ist absolut frei, ungebunden in seinen Möglichkeiten. Gott ist nicht durch seine Nähe, sondern durch seinen Unterschied zu uns Menschen bestimmt. Gott ist rätselhaft und geheimnisvoll und er kann uns Sachen auferlegen, die wir nicht verstehen. Aber Gott ist auch barmherzig, indem er uns Regeln und Weisungen für unser Leben gibt. Diese Regeln sind ganz wichtig für unser Leben. An uns liegt es, diese Gebote zu erfüllen und unser Leben in ihrem Sinn zu führen. Dann wird es uns gut gehen und wir werden Gottes Barmherzigkeit spüren. Gott zeigt sich uns durch seinen Willen. Der ist gut für uns, wenn wir ihn erfüllen.

Ich merke, in diesem Gespräch geht es um Klärungen, welche die Gegensätze zwischen unseren Religionen nicht aussparen. „Ihr seht im Koran einen Jesus“, sage ich, „der vor allem dazu aufruft, Gottes Weisungen zu beachten und zu erfüllen. Und wir Christen begegnen v.a. dem Jesus, der gesagt hat: Kommt her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid, ich will euch aufrichten, angesichts all dessen, was euch niederdrückt. Jesus zeigt uns, dass Gott uns von Lasten befreit. Er macht uns Mut, diese gute Botschaft anzunehmen, sie für uns selbst gelten zu lassen und sie dann auch gegenüber anderen zu praktizieren.

„Aber wo ist denn die Liebe zu spüren, die von eurem Glauben ausgehen soll?“ wendet mein Gegenüber ein. „Bleibt diese Botschaft von Gottes Liebe nicht zu unverbindlich? Ihr feiert miteinander das Fest der Liebe und dann geht es wieder in den Alltag, in dem davon nicht mehr viel zu erkennen ist.“ Zögernd antworte ich: Ich habe immer noch die Hoffnung, dass die Botschaft von Gottes Liebe etwas bewegt, dass sie uns bewegt und uns eine andere Sichtweise gibt als die des bloßen Aufrechnens von Leistungen und Gegenleistungen. Und ich hoffe, dass sie die Verantwortlichen in der Welt bewegt, damit Not, Gewalt und Elend auf unserer Erde weniger werden. Wenn Christen auf Missstände in unserer Gesellschaft aufmerksam machen, auf Ungerechtigkeit, Gewalt, Missachtung der Menschenwürde, dann ist genau das die Fortsetzung der Weihnachtsbotschaft.

In der Hand halte ich den Verkündigungsengel, der wie immer zum Schluss über der Krippe seinen Platz findet: „Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden bei den Menschen seines Wohlgefallens‘ hat er gesagt. Ich vertraue darauf, dass das nicht nur eine Formel ist, sondern dass in ihr viel Kraft steckt, Kraft von Gott und Kraft für unser eigenes Tun. Weihnachten heißt für mich, dass wir Christen der Kraft des Friedens etwas zutrauen, auch wenn uns die Realität mit ihren Sachzwängen so oft etwas anderes zu lehren scheint.

Mein Gegenüber antwortet nachdenklich: „Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden – das könnte wohl auch im Koran stehen. Im Namen von Gottes Ehre haben Christen Krieg gegen Moslems geführt. Im Namen von Gottes Ehre führen Moslems Krieg gegen Christen und schüren Hass gegen sie. Hass ist schlimm und wird immer noch schlimmer durch religiöse Begründungen. Und dabei wird das Friede auf Erden vergessen oder ins Gegenteil verkehrt.

Friede soll sein in unserer Welt – von Gott und durch alle die, die an diesen einen Gott glauben. Ob es uns Christen und Muslimen je gelingen wird, wirklich Boten des Friedens Gottes in unserer Welt zu sein? Unser Sohn Gottes und euer Prophet Jesus – da ist so manches gemeinsam, und es passt doch nicht zusammen. Vielleicht muss es auch gar nicht zusammen passen. Wir feiern Weihnachten, die Geburt dieses Kindes – nicht gegen euch und euren Glauben. Gut wäre es, wenn ihr an unserem Verhalten spüren könntet, was uns an diesem Kind so wichtig ist.

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