Die wunderbaren Geschichten sind sicherlich das Herzstück unseres Erzählens von Gott. Zugleich ist das Erzählen oft durch festgefahrene Gleise eingeschränkt, die kaum mehr Spielraum für theologisch verantwortete Erzählphantasie eröffnen. Da wird viel auf Wortwörtlichkeit gepocht – und damit werden zugleich weiterführende Möglichkeiten des Verstehens und Glaubens verstellt. Eingefahrene Gleise sind auch bestimmte, durch den biblischen Wortlaut eingespurte Rollenklischees. Sie sollten wir beim Nacherzählen überwinden. Unter drei Aspekten richten wir nun zum Schluss noch den Blick auf sie:

a) Das Klischee vom guten Menschen, der von Gott belohnt wird:
Ein Prototyp dafür ist Noah, dessen Frömmigkeit als Grund für seine Rettung angesehen wird (Gen 6). Er wird belohnt – und die anderen alle werden durch Vernichtung bestraft. Tragfähiger erscheint es da, auf solche Wertungen zu verzichten und von einer Katastrophe zu erzählen, die über die Menschen hereinbricht. Mit Einem beginnt der Neuanfang: Auf ihm lastet viel Verantwortung, aber er nimmt Gottes Versprechen mit auf seinen Weg. Fragen nach dem Warum der Katastrophe bleiben unbeantwortet. Sie können auch nicht länger durch die Schuld aller anderen Menschen erklärt werden. Umso mehr kann von Noahs Tätigkeit auf dem Weg des Neuanfangs erzählt werden, und wie er Gottes Zusage aufnimmt. Wie verhängnisvoll das Erzählen in Gut-Böse-Klassifizierungen sein kann, zeigen etwa auch die Erzählungen, in denen den guten Freunden Jesu die bösen Schriftgelehrten und Pharisäer gegenübergestellt werden.

b) Das Klischee von Menschen, die mit Gottes Strafen wieder auf den richtigen Weg gebracht werden:
Jona verweigert nach dieser Lesart Gott den Gehorsam und deshalb schickt Gott den schlimmen Sturm. Der verlorene Sohn (Lk 15) verweigert seinem Vater gegenüber die Sohnespflicht und landet deshalb in der Gosse. Immer wieder geht es da um den Gehorsam – der Abraham fast dazu treibt, seinen Sohn zu opfern (Gen 22). Die Jonageschichte lässt sich auch anders lesen: Sie erzählt dann von einem Propheten, der Gott seine Beziehung aufkündigt, um selbständig zu werden und in eigener Regie die Welt zu erkunden. Als er auf seiner Schiffsreise in einen Sturm gerät, kann er das Unwetter nicht anders als Folge seiner Fehlentscheidung verstehen. Er sieht keinen anderen Ausweg mehr als sich ins Meer zu stürzen. Im Bauch des Meerestiers aber wird ihm bewusst, dass er von Gott gerettet worden ist und sieht seine Beziehung zu Gott nun in einem ganz neuen Licht: „Ich habe gedacht, ich habe die Beziehung zu dir, Gott, zerstört - aber du bist mir dennoch treu geblieben! Ich habe gedacht, ich habe mein Leben selbst ruiniert - aber du hast es mir neu geschenkt! Ich habe gedacht, du bist zu meinem Feind geworden - aber du bist immer mein Freund geblieben! Ich habe gedacht, mein Leben ist zuende - aber jetzt fängt es erst richtig an!“ Es ist die Erfahrung, von Gott auch in der Not begleitet zu sein, in die Freiheit und Selbständigkeit gerufen zu werden. Sie stellt die Erzählklischees in Frage und lässt nach Erzählintentionen Ausschau halten, die dem Lebensförderlichen der biblischen Geschichten entsprechen.

c) In der biblischen Überlieferung kommen die Frauengestalten deutlich zu kurz.
Lässt sich das korrigieren? Zum einen sollten die Frauengestalten der Bibel stärker ins Blickfeld gerückt werden als es bislang oft geschah: Die Geschichte von Esther, die Königin wird und in dieser Funktion zur Retterin ihres Volkes, ist eine Parallele zum Aufstieg Josefs in Ägypten und seiner Rettung der Familie aus der Hungersnot. Die Heilung der Frau mit dem verkrümmten Rücken (Lk 13) weist viele Gemeinsamkeiten mit der des Gelähmten (Mk 2) auf. Wird in der Apostelgeschichte Lydia als erste Christin in Europa ausreichend gewürdigt (Apg 16), etwa als Alternative zu der Geschichte von der Taufe des Kämmerers (Apg.8)?
Viele zentrale Männergestalten in der Bibel haben auch ihre Frauen, die als wichtige Dialogpartnerinnen zur Geltung kommen sollten: neben Mose auch Zippora, neben Abraham Sara, neben David Michal. Deutlich sollte benannt werden, dass Jesu Jüngerkreis aus Männern und Frauen bestand.

Erzähl mir von Gott – das ist ein gutes Motto, das unser Augenmerk bei der Erzählvorbereitung und –durchführung auf die tragenden Botschaften in den Geschichten richtet. Die Gestalten der Bibel machen wegweisende Erfahrungen für ihren Glauben und im Sich-Identifizieren mit ihnen beim Erzählen auch für unseren Glauben heute. Diese wesentlichen Aussagen der Erzählungen sind eingebettet in sorgfältig bedachte Szenen und Formulierungen. Die verlieren sich gerade nicht in Äußerlichkeiten, sondern betonen das, woran Glaube sich auch heute festmachen kann. Das ist nicht bloß ein Ausschmücken der biblischen Vorlage mit netten Ideen und anschaulichen Bildern, sondern vielmehr theologische Erzählarbeit. Sie entfaltet in der erschlossenen Erzählstruktur konsequent das Kennenlernen Gottes in den Erfahrungen mit ihm. Es ist eigentlich wie mit einem schönen Blumenstrauß: Im Supermarkt kann man Blumen oft eng gebündelt günstig erwerben. Zu ihrer Schönheit aber kommen sie erst, wenn sie in einem gekonnt gesteckten Strauß Raum bekommen, ergänzt durch grüne Blätter und Ranken, die dazu passen. So soll es auch mit dem biblischen Erzählen sein: die wesentlichen Einzelzüge der Geschichte sollen zur Entfaltung kommen, ergänzt durch Anklänge an unsere eigene Erfahrungswelt - damit im Erzählgeschehen die alten Geschichten auch gute Geschichten für heute sein können. 

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