Wahl der sieben Diakone (Apostelgeschichte 6,1-7) - Die Einheit im Glauben wird mehrstimmig


Vorüberlegungen

Nach dem pfingstlich-begeisterten Aufbruch zur Ausbreitung des Evangeliums in die Welt hinein führt diese Erzählung zunächst in die Niederungen des Alltags. Die größer gewordene Christengemeinde in Jerusalem bringt konkrete Versorgungsaufgaben mit sich, die zu entsprechenden Lösungen führt. In diesem Fall ist es die Einsetzung von sieben Nothelfern, den „Diakonen“. Hinter der Erzählung des Lukas in der Apostelgeschichte zeigt sich zugleich ein handfester Konflikt in der Jerusalemer Urgemeinde. Es geht um Spannungen zwischen den zu Christusanhängern gewordenen Juden aus dem traditionsverbundenen jüdischen Kernland und denen aus dem Diasporajudentum, das heißt aus den umliegenden Ländern, wie sie etwa auch in der Pfingstgeschichte benannt werden (Apostelgeschichte 2,9-11: Pather, Meder, Elamiter, Mesopotamier, Kapadozier, Phryger, Pamphylier, Ägypter, Libyer, Römer). Diese zweite Gruppe war vermutlich insofern hilfsbedürftig, als ihr die heimatlich gewachsenen Bindungen fehlten. Gewichtiger aber ist, dass sie es mit der Einhaltung der jüdischen Reinheitsgebote nicht so genau nahm. Zwar konnte sie immer noch als eine besondere Spielart innerhalb des Judentums verstanden werden. Aber während die Jesusleute um die zwölf Jünger Jesu wegen ihrer Gesetzestreue kaum Anstoß erregten, geschah das umso mehr bei den Diaspora-Judenchristen, die sich gerne auf Jesu Kritik der jüdischen religiösen Gebote beriefen. Sie waren es schließlich, die von Repräsentanten der Jerusalemer Judenschaft (darunter auch Saulus) aus Jerusalem vertrieben und verfolgt wurden. Sie gründeten in umliegenden Ländern christliche Gemeinden, boten dabei auch sogenannten ‚Heiden‘ Zugang - also solchen am christlichen Glauben Interessenten, die nie Juden waren und werden wollten. Während im weiteren Verlauf die gesetzestreue Gemeinde der Judenchristen in Jerusalem immer mehr an Bedeutung verlor, blühten die Missionstätigkeit und Entstehung neuer Gemeinden der Diaspora-Judenchristen und weiter auch „Heidenchristen“ auf.

Die Nacherzählung nimmt den biblischen Akzent der Differenzierung in der Jesusgemeinde mit den sich ergebenden organisatorischen Aufgaben auf. In den Gesprächsanregungen geht es sodann um das Bedenken, welche Herausforderungen mit dem Wachsen der Jerusalemer Christengemeinschaft verbunden waren, inwiefern das auch für heutiges Zusammenleben in Gruppen gilt und auch gemeinsamer Glaube in aller Vielfalt solch ein Band sein kann. 


Erzählung

Seit dem großen Bundesfest in Jerusalem sind etliche Monate vergangen. In der Stadt ist schon lange wieder der Alltag eingekehrt. Die meisten der auswärtigen jüdischen Festgäste sind inzwischen wieder in ihre Heimat zurückgekehrt. Aber in der Gemeinschaft der Jesusfreunde hat sich seither einiges verändert. Seit damals so viele Festbesucher von der Begeisterung der Jesusfreunde erfasst worden waren und Gottes guten Geist in sich spürten, ist der Kreis der Jesusgemeinde größer geworden. Etliche Gäste aus den umliegenden Ländern wollten gerne in Jerusalem bei den neuen Glaubensfreunden bleiben und holten auch ihre Familien nach. Am Sabbat, dem jüdischen Feiertag, treffen sie sich nun regelmäßig im Tempel oder auch in den Gebetshäusern, den Synagogen, zum Gottesdienst. Am Tag danach aber, dem Auferstehungstag, kommen sie reihum in ihren Häusern zu ihren eigenen Feiern zusammen, in denen sie von Jesus erzählen, singen und beten und das Abendmahl feiern.

Die Jesusjünger Petrus und Jakobus kümmern sich viel darum, dass der Zusammenhalt in der stetig wachsenden Gemeinschaft nicht verlorengeht. Genau darum geht es auch im Gespräch nach solch einem Sonntagsgottesdienst, das die beiden gerade miteinander führen. „Ob sich die Neuen aus dem Ausland bei uns auch wirklich wohlfühlen?“ fragt Petrus. Jakobus nickt: „Daran denke ich auch oft. Viele von ihnen sprechen nur griechisch und verstehen unsere aramäisch-hebräische Muttersprache gar nicht mehr. Ich weiß nicht, wie viel sie von dem mitbekommen, was wir von Jesus erzählen“. Petrus fügt an: „Viele tun sich auch schwer, in der neuen Heimat Fuß zu fassen und Arbeit zu finden, um sich und ihre Familie zu ernähren. Ich glaube, wir sollten noch genauer hinschauen, wo sie unsere Hilfe brauchen“.

Da kommt gerade Stephanus, ein Sprecher der „Neuen“ vorbei. „Gut, dass du gerade da bist“, spricht Petrus ihn an, „wir reden gerade darüber, wie es euch Auslandsjuden in unserer Gemeinschaft geht“. Stephanus nimmt gleich den Faden auf: „Darüber mache ich mir schon seit einiger Zeit Gedanken. Es geht auch mir um die Sprache, aber noch mehr um die Versorgung der Bedürftigen mit all dem, was man zum Leben braucht. Am besten wäre es, wenn sich Leute aus unseren eigenen Reihen der Neuzugezogenen darum kümmern würden. Es sollten Personen sein, die auch in griechischer Sprache viel über unseren Glauben an Jesus Christus sprechen können und einen guten Blick dafür haben, wo Hilfe nötig ist“. Jakobus meint: „Das wäre dann wohl ein eigener Kreis von ausgewählten Personen neben unserem Zwölferkreis der Jesusjünger“. Stephanus nickt zustimmend. „Aber unser Zwölferkreis“, fährt Jakobus fort, wir Jesusjünger, steht für die Einheit des Glaubens und Jesu Botschaft. Ein neuer Leitungskreis darf diese Einheit nicht zerstören“. Petrus antwortet: „Ich bin überzeugt, dass die Einheit viel mehr in der Botschaft selbst liegt, als in der Art und Weise, wie wir unser Miteinander regeln. Bei dem geht es ja vor allem darum, was am hilfreichsten ist“. Petrus nickt zustimmend.

Einige Wochen später finden sich alle zu einem besonders festlichen Sonntagsgottesdienst ein, in dem sieben „Diakone“ zu ihren Aufgaben für den Kreis der Neuen aus dem Ausland berufen und gesegnet werden. „Hoffentlich ist das nicht ein Schritt zur Spaltung unserer Gemeinschaft“ befürchtet Jakobus. „Was ist, wenn die Neuen aus dem griechisch-sprachigen Ausland nun viel mehr unter sich bleiben und eigene Wege gehen?“ Aufmerksam und auch besorgt nimmt er in den folgenden Wochen wahr, wie die Neuen nun mehr als bisher vieles mit ihren eigenen Leitern bereden und auch viel aufmerksamer zuhören, wenn diese in der griechischen Sprache die Botschaft von Jesus Christus verkündigen. Als Jakobus wieder einmal Stephanus trifft, teilt er ihm seine Befürchtungen mit. Der aber sagt dazu: „Was uns alle miteinander verbindet, ist und bleibt, dass wir den Weg zum Glauben an Jesus Christus gefunden haben. Aber wie wir diesen Weg gehen, das kann durchaus verschieden sein. Wir sind nach Jerusalem gekommen und genießen die Gemeinschaft mit euch, den Jesusleuten von hier“.

Er macht eine Pause und fügt dann noch an: „Und denke bitte auch daran, dass die Botschaft unseres Glaubens nicht auf die Gemeinde in Jerusalem beschränkt sein soll. Wenn wir sie hinaustragen in die Länder, aus denen wir gekommen sind, dann werden auch dort überall neue Gemeinden entstehen. Die werden ganz verschieden sein. Was wir jetzt in unserer Christusgemeinde in Jerusalem erleben, das ist wahrscheinlich wie eine Vorübung auf die Zukunft, in der viele andere christliche Gemeinden entstehen werden. Die Gemeinde hier wird sicherlich noch lange Zeit wie die Mutter der neuen Gemeinden sein. Aber es gilt auch die Kinder in ihre Selbständigkeit zu entlassen“. „Darüber muss ich noch nachdenken“, antwortet Jakobus vorsichtig.

Einige Wochen später kommt es nach dem Sonntagsgottesdienst zu einer Auseinandersetzung zwischen Jakobus und Stephanus. Aufgebracht meldet sich Jakobus zu Wort: „Gestern im Tempel habe ich hören müssen, dass unsere Treue zum Glauben an den einen Gott angezweifelt wird. ‚Die Auslandsjuden nehmen es mit der Einhaltung unserer Gebote nicht so ernst‘, hieß es da. ‚Aber noch schlimmer ist es bei denen unter den Jesusfreunden. Die berufen sich darauf, dass Jesus die Gültigkeit unseres Sabbatgebots und unserer Speise- und Reinheitsgebote abgeschafft habe“. Empört fährt Jakobus fort: „Davon kann doch keine Rede sein. Jesus hat doch vielmehr gesagt, dass es darauf ankommt, die Gebote bis in ihre tiefsten Bedeutungen hinein zu erfüllen“. Stephanus widerspricht: „Das ist es ja gerade! Er hat an sie den Maßstab der Nächstenliebe angelegt, mit dem es um viel mehr geht als um die strenge Einhaltung aller Eínzelvorschriften.“ Jakobus antwortet: „Am Bundesfest, an dem wir so wunderbar Gottes guten Geist gespürt haben, da haben wir die Gebote als Grundlage unseres Glaubens gefeiert. Diese Grundlage darf nicht angetastet werden. Da darf es keinen Zweifel geben. Ich habe gespürt, wie die Religionswächter uns gegenüber misstrauischer geworden sind. Wenn sie uns anklagen, könnte es mit unserer jungen Christusgemeinde bald zu Ende sein“. Und dann deutet er auf Stephanus und sagt laut: „Ihr seid die Ursache für dieses Misstrauen. Ihr schürt Zweifel an unserer Rechtgläubigkeit, wenn ihr Jesus als den Kritiker der Gebote in den Vordergrund rückt. Wenn ihr daran festhalten wollt, ist es eure Sache. Aber ich will nicht, dass ihr uns alle mit hineinzieht“.

Lange sagt niemand etwas, dann antwortet Stephanus leise: „Bruder Jakobus, ich fürchte, hier gehen wir unterschiedliche Wege. Ich kann verstehen, dass es dir um das Weiterleben der Jesus-Gemeinde in Frieden mit den Religionswächtern geht. Aber mein Weg und der vieler anderer weist in eine andere Richtung. Wenn das für mich Anklage und Verfolgung bedeutet, muss ich es auf mich nehmen. Und ich werde zugleich deutlich sagen, dass diese Anklage uns und nicht euch betrifft“. Jetzt setzt Gemurmel ein, in dem es um getrennte Wege, Gefahren für die einen und Verschonung der anderen geht. „Was wird aus uns, wenn wir fliehen müssen?“ fragen die einen. Andere betonen: „Die Jerusalemer Gemeinde muss bleiben, und zwar in Treue zu den Geboten. Wenn unsere Glaubensgeschwister aus dem Ausland so hartnäckig sind, müssen sie selbst die Konsequenzen tragen“. Wieder andere werfen ein: „Dürfen wir sie wirklich so im Stich lassen!“ Alle spüren, dass dunkle Wolken über der Zukunft der Jerusalemer Gemeinde hängen, und in den Gebeten geht es darum, Gott um Hilfe bei den kommenden schwierigen Entscheidungen zu bitten.

Etliche Tage später liegt gedrückte Stimmung über der Gemeinde in Jerusalem. Stephanus lebt nicht mehr. Er wurde wegen Übertretung der Gesetze zum Tod verurteilt. Seine Anhänger, also vor allem die Jesus-Freunde aus dem Ausland, wurden vertrieben. Die Jesus-Gemeinde ist viel kleiner geworden. Aber Kontakte zu den Glaubensgeschwistern im Ausland bestehen weiter. Die berichten vom Entstehen neuer Christus-Gemeinden, aber auch von Befürchtungen, dass jüdische Religionswächter ihnen auch an den neuen Orten das Leben schwer machen könnten.

 

Gesprächsanregungen

 

  • Wenn Gruppen größer werden, ändert sich auch das Zusammenleben der Gruppenmitglieder. Wo hast du das in der Geschichte bemerkt? Wo hast du das auch selbst in den Gruppen, in denen du lebst, erfahren?
  • Wenn Neue dazu kommen, kann es Konflikte geben. Da sind Ideen gefragt, eine Spaltung der Gruppe zu verhindern. Welche Ideen hast du in der Geschichte kennengelernt? Welche anderen kommen dir in den Sinn?
  • Jede Gruppe braucht etwas, das sie zusammenhält. Wie kannst du dieses Band bei der frühen Gemeinde in Jerusalem beschreiben?
  • In unserer Geschichte ist das Band des Zusammenhalts auf den ersten Blick zerrissen. Aber auf den zweiten Blick ist das vielleicht ganz anders. Was meinst du dazu?
  • Was war damals wohl wichtig, , damit dieses Band nicht endgültig zerriss? Was kommt dir dazu in den Sinn?

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