Kleine Kinder haben oft sehr große Wünsche. Viele ihrer Sätze beginnen mit den Worten: "Wenn ich endlich groß bin, dann..." Erstaunlich ist, mit welcher Hartnäckigkeit sie oft an ihren phantastischen Vorstellungen festhalten. Wie wichtig Wunschphantasien offensichtlich für Kinder sind, erkennen wir auch an ihrem Interesse an Märchen und ähnlichen Geschichten: Immer wieder sind es da die Kleinen, denen ganz große Dinge gelingen. Sie sind mit wunderbaren Kräften ausgestattet, um die Gefahren des Lebens zu bestehen. Phantastische Bilder und Vorstellungen halten die Fülle aller guten Möglichkeiten offen, die vor den Kindern liegen. Mit ihnen trotzen sie der Realität, die oft ganz anders aussieht, die sie oft genug daran erinnert, wie klein sie noch sind.

Neuere Forschungen haben wichtige Hinweise auf Ursprünge und Bedeutung der Phantasie gegeben. In der Zeit unmittelbar nach der Geburt bildet das Kind mit seiner mütterlichen Bezugsperson eine innige, undifferenzierte Einheit, erlebt diese als ein "Ur-Wir". Diese Einheit ist für das Neugeborene zugleich die ganze Welt. In diesem Eins-Sein erlebt sich das Kind als wohlig zufrieden, als stark, ja geradezu als allmächtig. Es lebt gewissermaßen in einer umfassenden Allmachtsphantasie.

Im Lauf der ersten Lebensjahre muss das Kind nach und nach von dieser frühen Illusion Abschied nehmen. Es erlebt eigene Schwächen, die das Allmachtsgefühl ins Wanken bringen. Dennoch bleibt in jedem Menschen diese frühe Illusion lebendig: als Kraft des Wünschens und der Sehnsucht. 

Die frühe Allmachtserfahrung erscheint später in Träumen und Phantasien, um die große Kräfte und Fähigkeiten kreisen. So wird sie zu einer wichtigen Quelle von Lebensmut und Zuversicht. Von ihr kommt die Fähigkeit, phantasievoll und kreativ zu sein, über bestehende Grenzen hinaus zu denken und Neuland zu betreten.

Allerdings kommt es sehr darauf an, dass das Reich der Phantasie und die Wahrnehmung der Wirklichkeit aufeinander bezogen sind. Zur Kraft der Phantasie gehören unbedingt auch die schmerzhaften, enttäuschenden Erfahrungen, dass Phantasieblüten in der Kälte der realen Wirklichkeit erfrieren. Trotzdem bleiben die Farben der Phantasie wichtige Helfer bei der Aufgabe, mit unserer Wirklichkeit zurecht zu kommen. Wer das Wünschen und Sehnen verlernt hat, lebt vielleicht sehr realitätsnah, hat aber eine bereichernde Kraft des Lebens verloren.

Kleine Kinder spüren die Grenzen ihrer Wirklichkeit sehr deutlich: In unserer Erwachsenenwelt werden sie auf Schritt und Tritt auf die Mängel ihres Klein-Seins gestoßen. Gerade deshalb brauchen sie in besonderer Weise die Welt der Phantasie, um ihre Defizite auszugleichen. Dabei sollte allerdings vermieden werden, dass Phantasien und Sehnsüchte die Realität wegschieben und verdrängen. Manche Menschen verlieren auf solche Weise die Realitätskontrolle. Ihr Blick auf die Wirklichkeit wird verklärt und damit falsch. Sie spinnen sich in ihre gedachte Sonderwelt ein.

Von Gott erzählen

Träume sind Schäume, heißt ein Sprichwort. Wenn Wunschträume nicht in Erfüllung gehen, bleibt oft der Eindruck zurück: Es war ja doch nur ein Phantasiegebilde. Wenn wir unsere Wünsche dagegen auf Gott richten, bleiben sie nicht bloß bei uns. Wir richten sich auf ein wirkliches Gegenüber, bei dem sie ankommen und ein offenes Ohr finden.

Bei Gott sind unsere Wünsche und Phantasien gut aufgehoben. Von ihm gilt, dass er der Geber alles Gaben ist, dass er uns zukommen lassen kann, was wir aus eigener Kraft nicht zustande bringen. Ihn dürfen wir nach den Worten der Bibel um alles bitten, auch um Wunderbares. Durch solche Beziehung zu Gott lernen wir auch wahrzunehmen, wo uns in unserem Leben Wunderbares begegnet, wo Gott uns etwas Besonderes zukommen lässt. Wir sehen darin nicht nur Zufälle, sondern ein Geschenk Gottes an uns.

Freilich droht mit solcher Ermutigung, unsere Wünsche an Gott zu richten, auch wieder ein großes Missverständnis: Gott als der Empfänger unserer Wünsche habe auch all das zu erfüllen, worum wir ihn bitten. Dieses Missverständnis ist weit verbreitet. Um so größer ist deshalb unsere Aufgabe, auch hier Ernüchterung und Enttäuschung mit zu bedenken, ohne die Hoffnung auf Gott zu verlieren.

Dass zum Glauben auch an Gott gerichtete Wünsche und Erwartungen gehören, kommt in unseren Gebeten zum Ausdruck. Schwieriger ist es, mit biblischen Geschichten zurecht zu kommen, in denen solche Wünsche und Sehnsüchte von Gott her auf wunderbare Weise Erfüllung und Antwort gefunden haben. Gemeint sind die biblischen Wundergeschichten, von denen noch etwas ausführlicher die Rede sein soll. 

Die Probleme entstehen vor allem dann, wenn das Wunderbare in der Geschichte unmittelbar auch für unsere eigene Wirklichkeit in Anspruch genommen wird und man dann enttäuscht feststellt, dass es heute anders ist. Immer wieder geht es - abgelöst vom Gesamtverlauf der Geschichte - um die Frage, ob das Ereignis wirklich so geschehen sein konnte oder nicht.

Alle biblischen Wundergeschichten sind einmalige Ereignisse. Nirgendwo heißt es, dass solche wunderbaren Geschehnisse fortan ständig passiert seien. Damit bleibt jede der wunderbaren Taten Gottes ein einzelnen Zeichen der Erfüllung, das Mut machen will, mit neuen und anderen Zeichen Gottes zu rechnen, auch angesichts von Enttäuschungen.

Hinweise zum Erzählen

Um der verengten Fragestellung "Ist es wirklich so passiert?" entgegenzuwirken, müssen wir den Blick auf die ganze Geschichte richten: Ausführlich wird in biblischen Wundergeschichten davon erzählt, wie sich Menschen in der Not an Gott und Jesus gewendet, ihre Wünsche und Hoffnungen auf sie gerichtet haben - mit ihrer ganzen Kraft. Darin sind uns die biblischen Gestalten Vorbilder des Glaubens.

Die rettende Tat Gottes wird meist nur knapp angedeutet: Es geht nicht darum, wie sie im einzelnen geschah, ob Naturgesetze durchbrochen wurden oder nicht. Sondern es geht darum, dass die betroffenen Menschen das rettende Ereignis als etwas Wunderbares, Befreiendes erlebten. Sie erkannten Gott als Urheber dieses Ereignisses und nahmen seine Tat als Antwort auf ihr Bitten und Sehnen auf.

Es geht also im Wunderbaren solcher Ereignisse darum, dass unser Hoffen auf Gott nicht umsonst ist. In den biblischen Wundergeschichten geschieht etwas, das unser Alltagsgeschehen durchbricht, Menschen aus einem eng gewordenen Leben herausführt. Alle Beteiligten nehmen die Erfahrung mit, dass das Hoffen auf Gottes Hilfe niemals sinnlos ist, dass er - auf welche Weise auch immer - das leben neu machen kann.

Vom rettenden, heilenden Ereignis in der biblischen Geschichte müssen die Zuhörenden in ihre eigene Wirklichkeit zurückkehren. Dieser Weg ist leichter, wenn die Erfüllung der Wünsche - wenn auch unter anderen Umständen oder mit anderen Mitteln - auch heute erreichbar erscheint. Davon unterscheidet sich etwa der Wunsch eines Trauernden, dass der Verstorbene in das irdische Leben zurückkehren möge.

Beim Erzählen wird es weiterhin darauf ankommen, den schon lange vor dem wunderbaren Ereignis an Gott gerichteten Wünschen und Hoffnungen Ausdruck zu geben. Wir sollten erzählen, wie die Person in ihrer Not nicht aufgehört hat, auf Gottes Hilfe zu warten. Auch die anderen sind wichtig, an denen zwar äußerlich nichts geschehen ist, die aber die Überzeugung mitnahmen, dass Gott zu seiner Zeit unerwartet Hilfe zukommen lassen kann.

 

 

Kindersituationen und sich auf die beziehende biblische Geschichten

 

 

 

Kinder machen Erfahrungen der Ohnmacht. Sie wünschen sich Befreiung aus Situationen der Not

- Kinder erzählen von herben Enttäuschungen

- Kinder erzählen von ihren Wünschen und Hoffnungen

- Kinder erzählen von Ereignissen, in denen etwas Wunderbares geschehen ist

Wundergeschichten erzählen, wie Menschen von Gott reich beschenkt wurden, und ihr Leben so eine neue Wendung bekam

Im Alten Testament begegnet uns in der Rettung am Schilfmeer (2. Mose 14 und 15) die zentralste Wundergeschichte. Indem ein Meeresarm überraschend begehbar wurde, konnten die Israeliten den sie verfolgenden Ägyptern entrinnen. Dieses Ereignis wurde zum Hoffnungszeichen auf dem anschließenden gefahrvollen Weg durch die Wüste.

In der für Kinder so anziehenden Geschichte von David und Goliath (1. Sam 17) spiegeln sich kindliche Sehnsüchte nach Größe und Stärke. Durch Gottes Auftrag wird der Kleine, der eigentlich nur seine Brüder besuchen sollte, dem furchterregend Mächtigen, dem Philister Goliath überlegen. Es ist eine Geschichte, in der die Kinder ihre eigenen Wunschträume wiederfinden können. Und doch werden sie auch behutsam in ihre Realität zurückgeholt: Schon kurze Zeit später gerät David in lebensbedrohende Konflikte mit König Saul. Die Erinnerung an den Sieg über Goliath wird zum wichtigen Zeichen für Gottes wunderbares Wirken.

Der Prophet Elia wird auf seiner Flucht vor König Ahab und dessen Frau Isebel am Bach Krit auf wunderbare Weise am Leben erhalten (1. Kön 17,1-7). Trotz großer Dürre ringsum führt der Bach Wasser, und Raben bringen Nahrung herbei. Mit diesem Vorzeichen der Rettung stellt sich Elia der folgenden Auseinandersetzung mit dem König und den Vertretern der Baals-Religion.

Im Neuen Testament denken wir in erster Linie an die Heilungswunder Jesu. Zuweilen heißt es von den Geheilten, dass sie ihm nachfolgten auf seinem Weg, der dann auch zum Leiden und zur Kreuzigung führte.

Was die Jünger im Sturm erlebten (Mk 4,35-41), wurde zum Zeichen der Ermutigung in vielen Bedrängnissen und Stürmen, in die sie später als Apostel und Verkünder der Taten Jesu gerieten.

Die bekannte Zachäus-Geschichte rührt auch an kindliche Wunschträume (Lk 19,1-10). Auch hier wird ein Kleiner ganz groß. Aber er sonnt sich nicht nur im Glanz seiner gewonnenen Freundschaft mit Jesus, sondern packt die Aufgabe an, das Verhältnis zu seinen Mitmenschen neu zu ordnen.

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