Gott sprach und es geschah  (1.Mose 1)

Vorüberlegungen
Mit ihrer Verbannung ins babylonische Exil lernten die jüdischen Familien auch die dort tradierten Mythen von der Weltentstehung kennen. Sie wurden am jährlichen Neujahrsfest jeweils erneut vor Augen gestellt: Der junge Gott Marduk tötet die Göttin Tiamat und formt aus ihrem Körper die Welt: Ihre Haut wird zum Himmelszelt, ihr But zum Wasser, aus Knochen entstehen Felsen usw. Im Gegensatz dazu formten die jüdischen Theologen ein Schöpfungslied bzw. –gedicht mit einem klar strukturierten Aufbau: In sechs Tagen entsteht Schritt für Schritt nach dem Willen des einen Gottes allein durch sein schöpferisches Wort ein wohnliches Weltenhaus samt seinen lebendigen Bewohnern. Die Welt kommt von Gott, ist aber von ihm als dem Schöpfer seines Werks deutlich unterschieden. „Gott sprach … und es geschah“ – unter diesem Vorzeichen bleiben Vorstellungen von Gottes Schaffen bei Andeutungen. Gottes Befehle leiten die durch ihn ins Leben gerufenen Kräfte zur weiteren Vervollkommnung der Welt ein. Entscheidend ist, dass sich so in dem stabilen Weltgebäude alles Lebendige unter dem göttlichen Segen entfalten kann. Der biblische Schöpfungshymnus endet mit dem siebten Tag der Woche als dem Ruhetag Gottes und auch der Menschen. Er ist mit dem Sabbatgebot, also mit der strengen Einhaltung der Ruhe am siebten Tag der Woche, das Identitätsmerkmal der jüdischen Gemeinde, das – weit weg vom zerstörten Tempel in Jerusalem – wichtiger denn je geworden ist.

Dieser Hymnus nimmt den Stand der damaligen Welterklärung auf: Inmitten des tödlichen Chaos der Urfluten wölbt sich über der flachen Erde die starke Feste des Himmels. In die Tiefe hinein ist die Welt durch die Säulen der Unterwelt gesichert. Deutlich wird mit dieser Übernahme der damaligen Erkenntnisse in das jüdische Schöpfungs-gedicht zugleich, dass andere wirksame Gottheiten hier keinen Platz mehr haben: Die Gestirne sind nichts anderes als bewegliche Lampen, die Schleusen des Himmels werden nicht mehr durch Gottheiten bewacht. Deren zuverlässig dosierte Zuteilung des Regens muss nicht länger von ihnen erfleht werden. Dieses Schöpfungslied hat seinen Ort in den Synagogengottesdiensten. Inmitten der Belastungen und Sorgen der aus der Heimat verbannten Familien ist es ein Trost- und Hoffnungsbild einer von dem einen Gott wohlgeordnet und lebenswert erschaffenen Welt.

 

Erzählung
Rebekka ist gerade aufgewacht. Sie reibt sich die Augen und wundert sich. Es ist so hell im Zimmer. Dann wird ihr schnell klar: die Sonne scheint wieder. Wochenlang hatte es geregnet. Der Himmel war grau und wolkenverhangen. Der große Fluss Euphrat war über die Ufer getreten und hatte viel Land überschwemmt. Bis in die Nähe ihres Hauses stand das Wasser. Aber jetzt - endlich - heißt es wieder: auf nach draußen.

Kurz danach sitzt die Familie beim Frühstück. Es gibt auch dort nur ein Thema: Der Regen ist wieder vorbei. Die Mutter erinnert freilich auch: „Wir sollten dankbar sein für den Regen. Wenn die Überschwemmung wieder vorüber ist, gibt es viel fruchtbares Land, auf dem alles wachsen kann, was wir zur Nahrung brauchen“. Rebekkas Bruder Jakob antwortet: „Aber vorher haben die Leute gesagt: ‚Es regnet, als ob die Welt unterginge‘“. Der Vater ergänzt: „So falsch war das gar nicht. Denn wenn die Schleusen des Himmels nicht wieder geschlossen werden, verschwindet tatsächlich die ganze Welt im Wasser“. Rebekka fragt: „Woher kommt denn eigentlich das viele Wasser aus den Himmelsschleusen?“ Bruder Jakob kann es ihr erklären:

„Unsere Erde ist eigentlich wie eine große Luftblase in einem riesigen Meer. Sie schwimmt darin“. Ihr anderer Bruder Micha widerspricht: „Sie schwimmt überhaupt nicht. Denn sie ist mit riesigen Felsen im Untergrund verankert. Und über ihr wölbt sich der Himmel wie eine Glocke bis zum Horizont. Der ist ebenfalls so fest, dass er eine Sperre für das Wasser darüber ist. So habe ich es gelernt“. Rebekka antwortet: „Jetzt verstehe ich auch, was der Vater mit den Schleusen des Himmels gemeint hat. Die sorgen wohl dafür, dass genug Wasser - aber nicht zu viel - von oben durch die Feste des Himmels herunter kommt“. Jetzt schaltet sich auch die Mutter wieder ein: „Die Babylonier, die hier im Land zwischen den Flüssen Euphrat und Tigris leben, die glauben, dass diese Schleusen von Göttern bewacht werden. Sie glauben ja auch, dass die Sterne am Himmel alle Gottheiten sind. Aber wir Juden glauben nur an den einen Gott!“ Jakob fragt: „Und der hat auch die Welt gemacht?“ „Natürlich“, antwortet die Mutter.

Der Vater unterbricht das Gespräch: „Denkt daran, heute ist unser Sabbat-Feiertag! Wir müssen uns bald auf den Weg in die Synagoge machen!“ Dort beginnt dann die Gottesdienstfeier. Einer der Gemeindevorsteher liest aus einem Psalm vor: „Lobe den Herrn, meine Seele! Herr, mein Gott, du bist sehr groß; in Hoheit und Pracht bist du gekleidet. Licht ist dein Kleid, das du anhast. Du breitest den Himmel aus wie ein Zelt; du baust deine Gemächer über den Wassern. Du fährst auf den Wolken wie auf einem Wagen und kommst daher auf dem Gefieder des Windes. Du hast das Erdreich gegründet auf festem Boden, dass es nicht wankt immer und ewiglich. Herr, wie sind deine Werke so groß und viel! Du hast sie alle weise geordnet, und die Erde ist voll deiner Güter“. Micha stößt Rebekka an und flüstert: „Das ist doch das, was die Mutter auch gemeint hat“.

In seiner Ansprache sagt der Rabbiner: „In wenigen Wochen feiern die Babylonier ihr Neujahrsfest. Sie feiern, dass die Erde wieder bereit ist für Saat und Ernte. Das ist auch für uns wichtig. Aber sie beten dabei ihre Götter an, ihren großen Gott Marduk und viele andere. Sie tragen ihre Götterbilder und –statuen in einem feierlichen Zug durch die Stadt und zu ihren mächtigen und prächtigen Tempeln. Das ist für uns kein Grund zur Freude, sondern zur Trauer. Unser Tempel des einen und unsichtbaren Gottes in unserer Heimatstadt Jerusalem ist zerstört. Wir wurden hierher weggeführt in die Fremde. Das ist für uns Anlass zur Klage und der großen Bitte, dass Gott uns wieder zurückbringen möge in unser Land, damit wir ihn dort erneut gebührend ehren und feiern können“.

Auf dem Heimweg erklärt der Vater: „Die Babylonier feiern an ihrem Neujahrstag den Sieg des Gottes Marduk über die Göttin Tiamat. Und sie glauben auch, dass Marduk aus dem Körper dieser von ihm getöteten Göttin unsere Welt erschaffen hat, diese Luftblase im riesigen Urmeer“. Rebekka fragt energisch: „Und wie glauben eigentlich wir, dass Gott die Welt erschaffen hat? Ich höre nur: ‚Ja, unser Gott hat die Welt wunderbar gemacht und alles, was zu ihr gehört‘ .Aber wie hat er es getan? Wie hat er unsere Luftblase im großen Urmeer in unsere Welt verwandelt?“ Der Vater stutzt und antwortet dann: „Rebekka, das ist eine gute Frage. Wir sollten am babylonischen Neujahrsfest nicht nur über unsere verlorene Heimat und unsere zerstörte Stadt Jerusalem klagen, sondern auf unsere Weise feiern, singen und sagen, wie unser Gott die Welt erschaffen hat. Ich will gleich morgen mit unserem Synagogenvorsteher reden“.

In den kommenden Wochen berichtet der Vater immer wieder von seinen Gesprächen mit den Gemeindevorstehern. Auch heute erzählt er: „Zur Zeit entsteht unsere eigene Geschichte von der Entstehung der Welt, nämlich als ein großes Schöpfungslied zur Ehre Gottes. Da wird vorkommen, dass unser Gott durch sein mächtiges Wort all das erschaffen hat, was wir haben: Licht zum Leben, den festen Himmel unter den Wassern, die Erde, auf der wir wohnen. Alles, was lebt, sind seine Geschöpfe – Pflanzen, Tiere und Menschen“. Rebekka ist schon gespannt auf dieses Lied und was anders sein wird als der Schöpfungspsalm, der neulich in der Synagoge gelesen wurde.

Endlich ist es soweit. Der Tag der Feier der Erschaffung der Welt durch den einen Gott ist gekommen. Es gibt natürlich keinen Festumzug durch die Stadt, keine prächtigen Statuen, aber eine festlich gestimmte Gemeinschaft der Juden hier in Babylon. Nach der Eröffnung des Gottesdienstes durch einen Priester sind alle gespannt auf das neue Lied. Es wird als Lesung und Sprechchor in verteilten Rollen vorgetragen. Der Erzähler beginnt: „Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde. Und die Erde war wüst und leer, und Finsternis lag auf der Tiefe; und der Geist Gottes schwebte über den Wassern“. Der Sprechchor fährt mit feierlichem Klang fort: „Und Gott sprach: Es werde Licht!“ Wieder der Erzähler: Und es ward Licht“. Eine weitere Stimme fügt an: „Und Gott sah, dass das Licht gut war“. Wieder der Erzähler: „Da schied Gott das Licht von der Finsternis und nannte das Licht Tag und die Finsternis Nacht“. Und noch eine andere Stimme ergänzt: „Da ward aus Abend und Morgen ein Tag“. Micha flüstert Jakob zu: „Ich bin gespannt, wie es weitergeht mit den verschiedenen Sprechern“.

Jetzt beginnt der Chor: „Und Gott sprach: Es werde eine Feste zwischen den Wassern, die da scheide zwischen den Wassern“. Der Erzähler fährt fort: Da machte Gott die Feste und schied das Wasser unter der Feste von dem Wasser über der Feste. Und es geschah so. Und Gott nannte die Feste Himmel“. Wieder die zählende Stimme: „Da ward aus Abend und Morgen der zweite Tag“. Rebekka flüstert Vater zu: „Geht es Tag um Tag weiter?“ Der Vater nickt und Rebekka verfolgt es genau: Der Sprechchor als Gottes befehlende Stimme; der Erzähler, wie es geschah; noch ein anderer sagt jeweils, dass es gut war, und wieder ein anderer zählt die Tage.

Als die Sprecher bei der Erschaffung der Tiere angekommen sind, flüstert die Mutter dem Vater zu: „Ich glaube, ich habe das Lied verstanden: Zuerst wurde das Weltenhaus gebaut mit festem Boden und Dach, dann bekamen die Wände mit den Pflanzen ihre grüne Farbe. Jetzt wird es im Haus lebendig“. Und der Vater flüstert zurück: „Und jetzt segnet Gott alles Lebendige!“ Als der Chor nach der Erschaffung des Menschen als Mann und Frau spricht: „Und Gott segnete sie“, da schauen sich die beiden vielsagend an.

Auf dem Heimweg reden Eltern und Kinder noch über das, was sie gehört haben. Die Mutter fragt: „Was habt ihr euch gut merken können?“ Jakob antwortet: „Das, was immer wieder gleich gesagt wurde: Und Gott sprach, und es geschah so, und es war gut, und die Tage“. Der Vater ergänzt: Das war ja wie ein Leitfaden durch das ganze Lied, alles schön Tag um Tag hintereinander“. Jakob wirft ein: „Sonne, Mond und Sterne sind keine Götter, sondern nur Lampen, das finde ich lustig“. „Das wird aber den Babyloniern überhaupt nicht gefallen“, antwortet Rebekka. Micha erwidert: „Aber dass Gott die Erde aus dem Urmeer heraus geschaffen hat, so wie ich es auch gelernt habe, da können sie bestimmt nichts dagegen haben“. „Nur dass es nicht ihre Götter waren, sondern unser Gott“, fügt die Mutter an.

Vater fragt: „Was hat euch insgesamt besser gefallen, der babylonische Kampf der Götter oder die Reihe der sechs Tage?“ Jakob antwortet: „Der Götterkampf wäre schon aufregender. Aber dass alles in dem Lied so schön Tag um Tag vor sich ging, das war schon gut“. Und die Mutter ergänzt noch: „Und dass der siebte Tag dabei war, dass Gott sich einen ganzen Tag lang ausgeruht hat von seiner Arbeit, und dass wir das auch tun dürfen, das habe ich ihm und auch mir von Herzen gegönnt!“

 

Gesprächsanregungen:

  • Was waren für dich die wichtigsten Unterschiede zwischen den Vorstellungen der Babylonier vom Kampf der Götter und dem Schöpfungslied der Judengemeinde?
  • Warum wohl ist das Schöpfungslied der Bibel in sieben Tage unterteilt?
  • Was war dir im Schöpfungslied fremd und was hat dich an Dinge erinnert, die du auch kennst?
  • Warum wohl wurde so oft gesagt: „Und es war gut so?“
  • Was passt eher und was weniger zu dem, was wir heutzutage über die Entstehung der Erde wissen?
  • Was in dem Schöpfungslied müsste man heute anders sagen und wie könnte es dann heißen?

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