Der brennende Dornbusch –
Zeichen der Hoffnung für die besiegten Juden in Jerusalem und Babylon (2. Mose 3)


Vorüberlegungen

Eine Erzählung zu Mose am brennenden Dornbusch wurde schon vor Jahren auf dieser Homepage vorgestellt (> zur Erzählung). Hier begegnet sie uns in einem neuen und anderen Zusammenhang.

Bibelwissenschaftliche Forschungen haben ergeben, dass der Bericht, so wie er in der Bibel im Zweiten Mosebuch vorliegt, erst in der Zeit des babylonischen Exils entstanden ist. Die Befreiung der Israeliten aus der ägyptischen Sklaverei weist ins zweite Jahrtausend v.Chr. zurück, die Niederlage Judas gegen die babylonische Großmacht ins Jahr 597 v.Chr. Auch viele andere Bibeltexte, deren Inhalt viel früher angesiedelt ist, haben erst in der Zeit des Exils die Gestalt gewonnen, die wir im Alten Testament vorfinden. Damit bietet uns diese Forschung ein gutes Beispiel dafür, wie die Berichte aus der Frühzeit Israels, in welcher Form auch immer sie durch die vielen Jahrhunderte weitergetragen wurden, in den schweren Jahrzehnten der Zerstörung und Gefangenschaft eine wichtige neue Bedeutung gewonnen haben.

Das zeigt uns anschaulich: Die zweitausendjährige Auslegungsgeschichte der Bibel, so wie sie in den Jahrhunderten nach Christi Geburt die Menschen bis in die Gegenwart begleitet hat, begann nicht erst nach der endgültigen Fassung des biblischen Wortlauts, sondern wurde bereits in ihr selbst wirksam. Das ist auch ein wichtiger Hinweis für heutige Auslegung. Sie kann daran anknüpfen, wie Menschen schon zu biblischen Zeiten Geschichten von früher als Gottesbotschaften auch für ihre eigene spätere Zeit wahrnehmen konnten.

Bei der Geschichte von Moses Berufung von Gott aus dem Feuer des brennenden Dornbuschs zeigt sich in diesem Sinne, wie im aktuellen Gestrüpp der Not und Hoffnungslosigkeit das Feuer von der Gegenwart und Zukunft Gottes zum Leuchtzeichen des Glaubens wurde.

Hingewiesen sein an dieser Stelle auch darauf, dass solche Auslegungen früherer Traditionen in den biblischen Texten selbst auch für das Neue Testament kennzeichnend sind: Der Evangelist Markus hat die von ihm gesammelten Jesusüberlieferungen geordnet und unter einem bestimmten Leitgedanken - nämlich der Überschrift seines Evangeliums - miteinander zu einem Weg Jesu verbunden. Matthäus und Lukas haben den Markustext aufgenommen und im Zusammenhang ihrer Gemeindesituationen weiter entfaltet; Das Johannesevangelium hat diesen Überlieferungen wieder eine andere Gestalt gegeben. Wie gut, dass wir solche Entstehungsgeschichten der vorliegenden Evangelien in vier Ausführungen verfolgen können und nicht auf eine einzige angewiesen sind.

Damit ergibt sich zusammenfassend: Glaubenswahrheit lässt sich nicht auf die historische Richtigkeit biblischer Texte reduzieren, sondern entfaltet sich in der Auslegungskraft ihrer Botschaften.

Die Erzählung nimmt auch Bezug auf die Einweihung des Tempels in Jerusalem durch König Salomon (1. Könige 8 > zur Erzählung).

 

Erzählung

Die Not der Juden in der babylonischen Gefangenschaft

Wieder geht einer der vielen Sabbat-Tage zu Ende, den die Juden in der großen und immer noch so fremden Stadt Babylon erlebt haben. Einige sitzen noch in ihrem Gebetsraum beisammen, und auch heute wandern ihre Gedanken und Gespräche zurück in die Heimat im Land Juda, aus der sie von den siegreichen Babyloniern vertrieben worden waren. Rebekka sagt in eine Pause des Schweigens hinein: „Früher hatten wir in unseren Sabbat-Feiern im Tempel so oft aus vollem Herzen Gott loben und ihm danken können“. „Ja, früher“, nimmt Josef den Satz auf, „da war ja auch alles anders als jetzt. Da hatten wir zwar auch oft große Sorgen, als Nachbarvölker uns bedroht und angegriffen hatten. Aber wir hatten doch immer wieder Grund, Gott dafür zu danken, dass wir in unserem Jerusalem verschont geblieben waren. Da hatten wir in unserem Tempel die beschützende Macht unseres Gottes vor Augen. Aber jetzt – jetzt sehen wir täglich die Macht der Babylonier und ihrer Götter, die unsere Heimatstadt erobert und uns hierher in die Gefangenschaft geführt haben“.

Ein anderer aus der Runde spricht weiter: „Immerhin leben wir noch. Aber was für ein Leben ist es hier in der Fremde, und immer mit der großen Frage, warum das alles so geschehen ist, warum unser Gott den Sieg dieser fremden Macht zugelassen hat. Überall in der großen Stadt stehen die Zeichen dieses Sieges vor uns: die prächtigen Gebäude des Königs, die reich geschmückten Tempel der Götter, der Stolz der Menschen, diesem mächtigen Volk anzugehören.“ Mirjam fügt an: „Und wenn wir in unseren bescheidenen Gottesdiensten hier singen, dann sind es unsere Klagelieder. Die kommen zwar aus tiefster Seele, wecken aber auch immer wieder die Sehnsucht danach, endlich wieder einmal aus vollen Herzen Danklieder singen zu können.

Nach einer Pause Jona: „Wie es wohl den Zurückgebliebenen in Jerusalem geht? Die haben ja täglich das Bild ihrer zerstörten Stadt vor Augen.“ Und dann fügt er noch an: „Aber wo sie leben, das ist immer noch ihre Heimat, ihr eigener Grund und Boden.“ „Vergesst nicht“, wirft Lea ein, „dass auch sie unter babylonischer Aufsicht stehen“, und nachdenklich fügt sie noch an: „Wir fragen uns, wie es ihnen wohl geht, und genauso machen sie sich wahrscheinlich Gedanken, wie unser Leben hier aussieht. Lasst uns doch einen Brief an sie schreiben!“ „Wer weiß, ob der überhaupt ankommt“, fragt Josef. „Aber versuchen sollten wir es. Micha ergänzt: „Und wir sollten auch ehrlich schreiben, was uns das Leben hier so schwer macht“. Die anderen nicken zustimmend und Micha übernimmt diese Aufgabe. An einem der folgenden Sabbat-Tage liest er seinen Glaubensgeschwistern den Brief vor.

 

Der Brief aus Babylon an die Freunde in Jerusalem

Liebe Freunde in der Heimat!
Unser Heimweh nach euch, verbunden mit den Erinnerungen an unsere herrliche Stadt Jerusalem hoch auf dem Berg wird immer größer. Wir wissen freilich, dass bei Euch von der Pracht unseres Tempels auf dem Zionsberg nichts übrig geblieben ist, nachdem ihn die babylonischen Soldaten niedergebrannt haben. Das haben wir noch mitbekommen, und das Bild dieses zerstörenden Feuers hat sich tief in unsere Seelen eingebrannt. Aber immerhin seid ihr noch an dem Ort voller Erinnerungen an frühere und bessere Zeiten, als wir miteinander im Tempel die festlichen Lieder zur Ehre unseres Gottes sangen und mit unseren Instrumenten musizierten.
Wir sind hier in Babylon, im Land der großen Flüsse, weit, weit weg davon entfernt. Je länger es dauert, desto kleiner wird unsere Zuversicht, jemals wieder in die Heimat zurückzukehren. Und sogar die Erinnerungen an früher werden uns zerstört. Wir können uns hier zwar ziemlich frei bewegen und unserer Arbeit nachgehen. Aber quälend ist der tägliche Anblick der Zeichen babylonischer Macht und vor allem ihres Gottes Marduk, den sie hier reichlich verehren. Viele der Menschen, mit denen wir zu tun haben, sind einigermaßen freundlich zu uns. Aber wir spüren doch deutlich das Gefühl ihrer Überlegenheit über unser Volk und unseren Gott. Es sind oft spöttische Blicke und Anmerkungen, zuweilen auch boshafte Anordnungen. Neulich wurden wir gezwungen, Loblieder auf unseren Gott zu singen und mit unseren Harfen dazu zu spielen, so wie damals in unseren Tempelgottesdiensten. Wir mussten singen, dass Gott unser großer König ist, der uns Freude und Wohlergehen schenkt – und dabei stand in den Augen der babylonischen Zuhörer der Spott geschrieben. In unser erzwungenes Singen riefen sie hinein: „Wo ist denn euer Gott? Nicht einmal einen vernünftigen Namen hat er! ‚Ich bin ich‘ – das ist doch kein Name, das ist doch nur lächerlich! Jetzt zeigen wir euch einmal, wie groß, mächtig und prächtig unser siegreicher Gott Marduk ist!“ Wir konnten kaum Worte hervorbringen, uns allen steckte ein Kloß im Hals. Welche Antworten hättet ihr auf solche demütigenden Erlebnisse? Als wir wieder unseren eigenen Gottesdienst feierten, da war es nur das Klagelied, das wir Euch gerne zusenden möchten. Damit könnt ihr noch besser verstehen, wie sehr uns das Heimweh zusetzt.
     An den Wassern zu Babel saßen wir und weinten, wenn wir an Zion gedachten.
     Unsere Harfen hängten wir an die Weiden im Lande.
     Denn dort hießen uns singen, die uns gefangen hielten,
     und in unserm Heulen fröhlich sein:
     »Singet uns ein Lied von Zion!«
     Wie könnten wir des HERRN Lied singen in fremdem Lande?
     Vergesse ich dein, Jerusalem, so werde meine Rechte vergessen.
     Meine Zunge soll an meinem Gaumen kleben, wenn ich deiner nicht gedenke,         
     wenn ich nicht lasse Jerusalem meine höchste Freude sein. (Psalm 137)

Wir grüßen Euch als Eure müde gewordenen Glaubensgeschwister in der Verbannung.

 

Die Antwort kommt mit Flüchtlingen aus Jerusalem
Natürlich wissen die Juden in Babylon, dass sie wohl kaum mit einer baldigen Antwort rechnen können. Die erreicht sie zwar Monate später doch, aber in ganz anderer Weise. In der Heimat Juda hatte es ein Attentat auf den von den Babyloniern eingesetzten Statthalter Gedalja gegeben. Aus Angst vor der drohenden Vergeltung flohen etliche der noch in Jerusalem lebenden Juden nach Babylon. Beim Wiedersehen mit den Freunden sind ihnen die Strapazen der Flucht noch anzumerken. Dennoch tut es ihnen gut, mit denen zu reden, die schön länger hier in der Gefangenschaft sind. Tatsächlich hatte sie der Brief erreicht und sie haben sogar einen Antwortbrief mitgebracht. Daniel, ihr Sprecher, beginnt bei einem ihrer Treffen, daraus vorzulesen:

Liebe Freunde in der babylonischen Gefangenschaft!
Euren Brief haben wir mit großer Betroffenheit gelesen. Es muss furchtbar für Euch sein, ständig die siegreiche Macht und Größe der babylonischen Götter vor Augen haben zu müssen. Und von den gewaltigen Tempelanlagen zu Ehren dieser Gottheiten haben wir ja schon früher gehört. Solche quälenden Erlebnisse, von denen ihr geschrieben habt, bleiben uns zum Glück erspart. Allerdings sind uns hier in Jerusalem die alltäglichen Bilder von den übrig gebliebenen Trümmern des Tempels unseres Gottes immer wieder wie ein Stich ins Herz. Da haben früher täglich die Opferfeuer gebrannt. Die Feuer des großen Tempelbrands, die inzwischen längst erloschen sind, stehen auch uns immer wieder vor Augen. Nur verkohlte Reste sind noch da, überwuchert von Dornengestrüpp, das zu nichts zu gebrauchen ist. Und das ist gerade dort, wo früher das Herz unserer Stadt war, wo uns unser Gott auf dem Zion in besonderer Weise nahe war.

Dann unterbricht Daniel das Vorlesen und kommt ins Erzählen: „In unseren Gottesdiensten ging es immer wieder darum, wie es denn hier weitergehen soll - ohne den Tempel, in dem wir doch so sehr die Nähe unseres Gottes gespürt hatten. Und wir dachten so viel an euch in der Fremde. Zum Glück blieben trotz des Feuers in der Stadt viele Schriftrollen aus der Zeit unserer Könige erhalten. Aus denen lasen wir in unseren Sabbat-Gottesdiensten und stießen dabei auch wieder auf den Bericht zur Einweihung des Tempels durch unseren König Salomon und an seine Worte, als er darüber nachdachte, wie doch für unseren großen Gott solch ein Tempel noch viel zu klein sei, um darin zu wohnen. Erinnert ihr euch auch noch an diese Geschichte!“ „Ja, sicher“, antwortet Josef sogleich: „Er hat dann die Lösung gefunden und Gott gebeten, dass sein wertvoller Name in diesem Haus wohnen soll.“

Daniel fährt fort: „Diese Erinnerung hat uns richtiggehend ergriffen und beflügelt: Auf das Tempelgebäude kommt es ja gar nicht so sehr an, sondern der geheimnisvolle Name wurde wie ein Hoffnungsfunke in uns: Unser Gott zeigt seine wahre Größe nicht in dem Gebäude, das ihm gewidmet ist“. Josef unterbricht ihn aufgeregt: „Es ist ja gerade die Größe unseres Gottes, dass er unsichtbar ist und selbst in keinem Tempel wohnt. Deshalb brauchen wir uns von den prächtigen Göttertempeln hier in Babylon überhaupt nicht beeindrucken und einschüchtern lassen. Auch der Größte unter ihnen wäre noch viel zu klein für unseren Gott.“ Zufriedenheit blitzt in seinen Augen auf.

 

Der brennende Dornbusch in neuer Bedeutung
Aber dann fragt er nachdenklich: „Wir wurden hier verspottet, weil unser Gott keinen richtigen Namen hat, so wie die anderen Götter. Wie würdet ihr damit umgehen?“ Daniel antwortet: „Auch dazu kann ich euch Wichtiges mitteilen: Der Glaubensfunke beim Lesen der Aufzeichnung zu König Salomon war noch nicht alles. Eines Tages kam einer unserer Schriftgelehrten mit einem Bericht zum Leben des Mose, nämlich wie er am Gottesberg im Lande Midian von unserem Gott den Auftrag bekam, nach Ägypten zu gehen und unsere Vorfahren dort aus der Sklaverei zu führen. ‚Feuer in einem brennenden Dornbusch‘, rief einer von uns aus, ‚da sehe ich vor mir das Gestrüpp auf den Tempelruinen auf unserem Zionsberg und die Flammen, die diesen Tempel vernichtet haben‘. ‚Nein, rief ein anderer aufgeregt, ‚ich sehe die Flamme der Hoffnung auf unseren Gott, denn der hat den Namen JAHWE, und das heißt nicht nur ‚Ich bin ich‘, sondern auch ‚Ich werde sein, der ich sein werde!‘ Ich sehe, wie diese Flamme brennt und nie verbrennt. Gott gibt in ihr Mose den Auftrag, sein Volk aus der Gefangenschaft zu befreien. Im Bild dieser unauslöschlichen Flamme wird er sich auch uns zeigen und uns herausholen aus unserer Niedergeschlagenheit, Trauer und Angst vor jedem neuen Tag“.

„Dann ist ja dieser einzigartige Name Gottes, wegen dem uns die Babylonier verspottet haben, unser Hoffnungszeichen“, ruft Rebekka überrascht und erzählt selbst die Geschichte weiter: „Gott hat Mose mit seinem Namen zugleich sein Versprechen in die Zukunft hinein eingeschärft, als Wegweiser zur Rettung aus der Not!“ Daniel nickt zustimmend und erklärt: „Die Trümmer des Tempels haben wir nun mit anderen Augen gesehen, nämlich als Gestrüpp, in dem diese Hoffnungsflamme der Rettung und Befreiung brennt. Die ist sogar noch viel größer als ein späterer Neubau des Tempels, so sehr wir uns natürlich auch darüber freuen würden“. Es entsteht Gemurmel in der Runde, aus denen man heraushören kann: „Ich bin, der ich bin, ich werde sein, der ich sein werde. Unserem Gott gehört unsere Gegenwart und vor allem unsere Zukunft“.

„Für uns hier“, meldet sich Mirjam zu Wort, „ist auch die Fortsetzung der Mose-Geschichte sehr wichtig. Im Namen unseres Gottes hat Mose das Volk in die Freiheit geführt.“ Daniel antwortet lächelnd: „Leider ist keiner der von uns hier neu Angekommenen ein neuer Mose. Da mutet uns unser Gott der starken Zukunft noch viel Geduld zu. Aber dieser Retter wird kommen. Vielleicht ist es der Perserkönig Kyros. Von ihm wird gemunkelt, dass er plant, die Herrschaft des Großreichs Babylon zu beenden. Oder vielleicht ist es noch ein ganz anderer neuer Mose, ein neuer Retter und König für uns. Lasst uns weiterwarten, aber jetzt mit der Flamme unseres Hoffnungsgottes.“ Mirjam ruft: „Kommt, singen wir schon jetzt ein anderes Lied als die Lieder der Klage. Lasst uns ein Hoffnungslied der freudigen Zuversicht singen!“ Und sie beginnt mit ihrem Lied von Gott, dem Retter aus großer Not.

 

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