Johannes Bugenhagen – der Bischof der Reformation (1485-1558)

Vorüberlegungen

Portrait von Lucas Cranach d.Ä.

Zum Führungsteam der Wittenberger Reformatoren gehört auch Johannes Bugenhagen, Lehrender für biblische Theologie an der Universität, hauptsächlich aber Stadtpfarrer in Wittenberg. Ihm kam die Aufgabe zu, das Neue der reformatorischen Theologie in die Praxis von Predigt und Seelsorge umzusetzen. Bei seiner Auslegung der biblischen Schriften widmete er sich vor allem den Fragen der Leitung und des Aufbaus der Gemeinden.

Johannes Bugenhagen wurde am 24. Juni 1485 in Wollin in Pommern geboren. Nach Schulbesuch, zweijährigem Studium an der Universität Greifswald wurde er Schulrektor in Treptow (heute Trzebiatów) an der Rega und blieb dort 17 Jahre lang – bis er Schriften Luthers las, nach Wittenberg zum Studium aufbrach und dort gleich darauf selbst Lehrveranstaltungen durchführte.

Bugenhagen war mit der Familie Luther sehr befreundet. Er heiratete 1522, übernahm 1523 das Amt des Pfarrers der Stadtkirche, war Luthers Beichtvater, hielt auch den Traugottesdienst von Martin und Katharina Luther, war Taufpate von deren erstem Sohn Johannes.

Seine weitreichendste Wirksamkeit aber entfaltete er außerhalb Wittenbergs. Er regte Kirchenordnungen an und begleitete deren Entstehung. Mit ihnen wurde der reformatorische Aufbruch in geordnete Bahnen gelenkt. So war er etliche Monate in Braunschweig, Hamburg, Lübeck, im Herzogtum Pommern, schließlich auch im Königreich Dänemark tätig und wird deshalb mit Recht als der Reformator Norddeutschlands bezeichnet.

Mit dem Erarbeiten der Kirchenordnungen, mit dem Ordinieren (Einführung in den Pfarrberuf) und dem Visitieren der Gemeinden übernahm er bischöfliche Aufgaben, bis hin zur Krönung des dänischen Königs.

Nach Luthers Tod 1546 und dem bald danach beginnenden Krieg samt Niederlage der protestantischen Seite und der Flucht vieler Universitätsangehöriger aus Wittenberg blieb Bugenhagen seiner Gemeinde treu. Er starb dort im 73. Lebensjahr und wurde in seiner Stadtkirche beigesetzt.

Die vielen für die Erzählung ausgewählten historischen Details zeigen auch in dieser Geschichte, wie Menschen von der reformatorischen Botschaft erfasst wurden und sich gemeinsam mit vielen anderen mit ihren Fähigkeiten und Begabungen in deren Dienst gestellt haben.

Der innere, elementare ‚rote Faden‘ kann der in mehreren Phasen geschehene Aufstieg zu Anerkennung und großer Beliebtheit sein, mit dem sich auch kleinere Kinder gerne identifizieren – zuerst in Treptow, dann in Wittenberg und schließlich im weiten norddeutschen Raum und in Dänemark.

Der erste Erzählteil stellt in einem erdachten Erzählrahmen Bugenhagens Wirken in Treptow bis zu seiner reformatorischen Entdeckung 1521 vor. Er macht Bugenhagen als geschätzten Bibelausleger bekannt und zeigt ihn mit Fähigkeiten, die ihm auch in seinem späteren Wirken zukamen.

Die Hörer und Leser lernen mit der Erzählung den Reformator als engagierten Lehrer kennen. Sie nehmen Anteil an der positiven Resonanz, die er erhielt und die ihm neue Hörerkreise erschloss.

Der zweite Erzählteil widmet sich Bugenhagens Wirken in Wittenberg, seinem Weg vom Studenten zum Lehrer, seiner seelsorgerlichen Arbeit in der Gemeinde.
Schritt um Schritt führt die Erzählung zu Bugenhagens Heimischwerden in Wittenberg – zum Vertrautwerden mit den Menschen, mit denen er zusammen am Voranbringen der Reformation arbeitete. Sie führt zur engen Freundschaft mit Luther, die bis zu dessen Lebensende Bestand hatte.

Der dritte Erzählteil macht Bugenhagens bischöfliches Wirken zugänglich. Der Blick weitet sich über Wittenberg hinaus auf ganz Norddeutschland und Dänemark.

Die Erzählung lässt Bugenhagens hohes Ansehen miterleben, das in der Krönung des dänischen Königs besonders anschaulich wird. Sie zeigt aber auch, wie Johannes Bugenhagen in seiner beeindruckenden Außenwirkung samt entsprechenden Angeboten dabei immer seiner reformatorischen Heimatstadt Wittenberg verbunden blieb.

Erzählung – Teil1: Johannes Bugenhagen als Bibel-Lehrer in Pommern

Es ist früh am Morgen in der Stadt Treptow in Pommern. Der Rektor der Lateinschule, Johannes Bugenhagen, macht sich auf den Weg zum Schulhaus. Seit etwa 15 Jahren kennt er diesen Weg: ein Stückchen am Ufer des Flüsschens Rega entlang, dann hinein in die Altstadt. Heute erwartet er neue Schüler. Er erinnert sich, wie auch er neu war an dieser Schule - allerdings nicht als Schüler, sondern als Lateinlehrer und Schulleiter. Der Abt vom nahegelegenen Kloster Belbuck schlug ihn damals vor, nachdem er sein Studium an der Universität Greifswald beendet hatte. Der Rat der Stadt hat ihn gleich darauf gewählt. Er war damals erst 19 Jahre alt. Johannes liebt seinen Beruf. Er ist gerne Lehrer und freut sich, wenn die Kinder zu ihm Vertrauen haben. Ganz besonders schätzt er es, wenn sie sich von seiner Begeisterung für Bücher anstecken lassen, besonders für die Bibel, und für Geschichten aus alter und neuer Zeit.

„Guten Morgen, Rektor Bugenhagen!“ Der freundliche Gruß eines Bekannten reißt ihn aus seinen Erinnerungen und er grüßt freundlich zurück. Sein Gegenüber fragt: Rektor Bugenhagen, wann macht ihr denn wieder weiter mit Euren Bibelerklärungen für die Erwachsenen in unserer Stadt? Ich kann es kaum erwarten. Was Ihr da zu den Worten der Bibel sagt, das ist so neu und spannend für mich und auch für die anderen. Wir sprechen oft darüber. Ihr könnt so gut erklären und aufmerksam auf unsere Fragen und Gedanken eingehen. Ihr gebt uns Antworten, die sehr hilfreich sind - nicht nur für unseren Verstand, sondern auch für unsere Seele! Ja, ihr könnt gut für unsere Seele sorgen“.

Johannes freut sich über dieses Lob. „Heute kommen neue Schüler zu uns“ antwortet er. Um die will ich mich erstmal kümmern, damit sie sich bei uns wohlfühlen. Und dann gilt es unsere Schulordnung zu überprüfen, ob sie noch zu dem passt, was für unsere Kinder gut und wichtig ist. Danach habe ich dann wieder mehr Zeit für unsere Bibelgespräche“. Der Bekannte bedankt sich und geht weiter.

Bald darauf begrüßt Bugenhagen die Neulinge, die Schüler mit ihren Eltern im Schulhaus. Erstaunt stellt er fest, dass einige sogar von weither gekommen sind, von Riga in Lettland bis aus Westfalen. „Der gute Ruf Eurer Schule hat sich herumgesprochen“, erklärt einer der Väter lächelnd. „Wie ihr zusammen mit dem Lateinunterricht den Schülern auch die Bibel erklären könnt; wie Ihr ihnen in den gedruckten Zeilen die Tür zu einer ganz neuen Welt öffnen könnt, das ist einmalig!“ Johannes Bugenhagen antwortet: „Gerne will ich schon den Kindern zeigen, welche Schätze in der Welt der Bücher ruhen, ganz besonders in der Bibel. Wir leben ja nicht nur in der Gegenwart, sondern mit all dem, was Menschen in früherer Zeit erfahren und gedacht haben, wie sie miteinander gelebt und ihre Erfahrungen mit Gott gemacht haben“.

Am nächsten Tag kündigt der Abt des Klosters seinen Besuch in der Schule an. Johannes macht mit ihm einen kurzen Rundgang durch das Haus, dann sitzen sie beide im Rektoratszimmer zusammen und Abt Johannes Boldewan trägt eine Bitte vor: „Wir haben vor Kurzem in unserem Kloster eine Schule für die Angehörigen unseres Mönchsordens eingerichtet. Wir brauchen Euch auch da als Lehrer. So wir Ihr den Bürgern der Stadt die Bibel erklärt, so ist das auch für unsere Mönche wichtig – nicht nur in Belbuck, sondern auch weit darüber hinaus“. Johannes Bugenhagen antwortet: „Gerne nehme ich das Angebot an. Gott hat mir die Gabe verliehen, die Schätze unseres Glaubens im Leben unserer heutigen Menschen zum Leuchten zu bringen und sie selbst neugierig zu machen auf diese Schätze. Diese Gabe ist nicht mein Verdienst, sondern ein Gottesgeschenk, das ich gerne an andere weitergebe“.

„Gut, dass Ihr inzwischen auch Priester geworden seid“, antwortet der Abt. „Ihr könnt so gut mit den Menschen umgehen. Das wird auch für unsere Klosterbrüder ein großer Gewinn sein“. Bugenhagen erzählt dem Abt dann auch noch von seinen weiteren Plänen: „In meinen Bibelgesprächen haben wir die vier Evangelien aus dem Neuen Testament besprochen. Die Gemeinsamkeiten zwischen ihnen sind riesengroß, aber es gibt auch Unterschiede. Jedes Evangelium bringt etwas ein, was die anderen nicht haben. Es wäre für unsere Gemeinden eine große Erleichterung, wenn man vor allem die Leidensgeschichte Jesu bis zu seiner Auferweckung an einem Stück lesen könnte, also in einer Zusammenschau aller Evangelien. Daran zu arbeiten könnte eine große Hilfe zum eigenen Lesen der Bibel sein“. Der Abt nickt und meint: „Das könnte geradezu ein Lese- und Hausbuch für alle Familien im Lande werden. Es wäre ein großer Segen für alle“. Und das wird es dann auch tatsächlich.

Als Johannes an diesem Tag erschöpft, aber zugleich froh gestimmt und voller Tatendrang nach Hause kommt, findet er einen Brief von seinem Landesherrn, Herzog Bogislaw, vor. Ein Bote hat ihn vor wenigen Stunden gebracht. Vorsichtig und gespannt öffnet Johannes den Brief, liest ihn aufmerksam und murmelt dann vor sich hin: „Jetzt kommt auch eine ehrenvolle Aufgabe meines Herzogs auf mich zu. Der hat also auch schon von meiner Liebe zu den Schriften aus früherer Zeit erfahren. Jetzt soll ich all das zusammen tragen, was ich zur Vergangenheit unseres geliebten Pommernlandes finden kann. Ich soll es zu einem Buch zusammenschreiben, damit man es schön der Reihe nach lesen kann. Na ja, da kann ich auf ausdrücklichen Wunsch unseres Herzogs viel im Land umherfahren, lerne Land und Leute kennen. Das ist gar nicht so schlecht. Und der Herzog wird dafür sorgen, dass in meiner Abwesenheit ein anderer die Arbeit in der Schule übernehmen kann. Ja, das gefällt mir!“

Am selben Abend schreibt er erst noch einen Brief, nämlich an seinen Bekannten Johannes Mummlius in Münster und Westfalen. Den kann er morgen dem Vater auf seinen Heimweg dorthin mitgeben. Er berichtet ihm kurz von seinen Plänen und bittet ihn, ihm neueste Schriften der Philosophie und Theologie zukommen zu lassen. „Ihr seid in der großen Stadt Münster näher dran als ich hier in Pommern“, schreibt er, und weiter: „Gerne wecke ich die Neugier der Menschen um mich herum für die Schätze in den Schriften und Büchern. Aber auch meine eigene Neugier nach dem, was von den klugen Leuten in Deutschland gedacht und geschrieben wird, braucht dringend neue Nahrung!“ Endlich, Wochen später, bekommt er Post aus Münster. Es sind Schriften des berühmten Philosophen und Theologen Erasmus von Rotterdam. Auch Schriften von Martin Luther sind dabei, Schriften, die der nur zwei Jahre vor ihm geborenen Mönch und Professor an der Universität Wittenberg in Kurfürstentum Sachsen verfasst hat. Von dessen Thesen gegen den Ablass Ende Oktober 1917 hat er schon gehört. Sobald er Zeit und Ruhe hat, will er sich ans Lesen machen.

Am nächsten Abend trifft er sich zu einem Essen und anschließendem Gespräch mit Priestern der Stadt und Lehrern seiner Schule. Pfarrer Slutow hat auch eine Schrift von Martin Luther bekommen und zeigt sie den anderen. ‚Von der Gefangenschaft der Kirche‘ liest Johannes den Titel - in lateinischer Sprache, aber das ist für ihn als Lateinlehrer ja überhaupt kein Problem. „Ein komischer Titel ist das“, sagt er, aber er ist neugierig und leiht sich von Pfarrer Slutow das Büchlein aus. Als er zuhause ist, fängt er gleich an zu lesen. Er liest Seite um Seite, wie Martin Luther in dieser Schrift mit scharfen Worten kritisiert, wie in der Kirche die heiligen Sakramente gereicht werden. Er liest die Schrift in einem Zug, schüttelt den Kopf und murmelt vor sich hin: „Der behauptet also, dass mit den Sakramenten die Bischöfe und Priester nur ihre Macht über die Menschen ausüben. Er meint, dass es nur um ein äußerliches Gehabe und Prunk und Pracht geht und nicht um die frohe Botschaft für die Menschen“.

Dann hält er inne und ruft laut: „Unerhört! So darf man doch nicht über das Heiligste unserer christlichen Kirche reden!“ Er weiß gar nicht recht, wie er seinem Ärger Luft machen kann. „Das geht zu weit“, ruft er und schlägt mit der Faust auf den Tisch. „Woher nimmt sich dieser Mönch aus Wittenberg das Recht, so schlecht über das zu reden, was uns Christen heilig ist?“

Aber nach einer Weile nimmt er die Schrift noch einmal in die Hand. „Jetzt will ich es doch genau wissen“, murmelt er und liest gründlich noch einmal Satz um Satz. Jetzt fällt ihm erst richtig auf, wie Luther jeden seiner Angriffe auf den Umgang der Priester mit den Sakramenten begründet, nämlich sorgsam und genau mit Worten und Gedanken der Bibel. Wieder schüttelt er den Kopf, aber jetzt aus einem ganz anderen Grund. „Er hat recht“, sagt er zu sich. „Es zählt allein das, was uns die Bibel sagt! Das ist doch ganz genau auch meine eigene Überzeugung!“ Diese Schrift erscheint ihm nun ein einem ganz anderen Licht. „Das ist doch kaum zu glauben“, sagt er immer wieder, „dieser Martin Luther hat wirklich Recht!“

Am nächsten Tag schreibt er einen Brief nach Wittenberg. „Von diesem Martin Luther will ich jetzt unbedingt mehr wissen“, murmelt er vor sich hin. Und es dauert nicht lange, da kommt wieder ein Päckchen bei ihm an. Schriften von Martin Luther sind es. „Von der Freiheit eines Christenmenschen“ liest er. Mit dieser Schrift fängt er an, liest und liest. Immer mehr ist er gepackt von der Botschaft, die sich wie ein roter Faden durch die Schrift zieht – durch diese und die anderen, die er schon bekommen hat: ‚Wir müssen uns die Liebe Gottes nicht verdienen, müssen sie uns nicht von den Priestern erbetteln. Sie hängt nicht von heiligen Handlungen ab, mit denen die Priester Eindruck machen. Sondern sie ist ein freies Geschenk für jeden. So steht es in der Bibel‘.

Immer mehr wächst in ihm der Wunsch heran: „Ich will diesen Martin Luther persönlich kennenlernen! Ich will mit ihm reden! Ich will von ihm hören und lernen, wie er die Bibel erklärt! Ich will und muss meinen ganzen Glauben neu überdenken. Ich will ihn auf das hin ausrichten, was die wirkliche Botschaft der Bibel ist! Ich muss nach Wittenberg, sobald als möglich!“

Gesprächsanregungen

  • Als Lehrer hat Johannes Bugenhagen in Treptow großes Ansehen gewonnen. Welche Gründe dafür waren wohl besonders wichtig?
  • Was hätte dir wohl an dem Lehrer und Rektor Johannes Bugenhagen gut gefallen?
  • Bugenhagen hat Aufgaben übernommen, die ihn viel Zeit gekostet haben. Warum wohl hat er sie gerne übernommen?
  • Zu Luthers Schriften hat er nicht gleich Zugang gefunden. Kennst du das auch, dass man erst nach und nach entdeckt, was das Besondere an etwas ist?
  • Johannes Bugenhagen hat beim zweiten Mal wie mit einer neuen Brille gelesen. Kannst du mit deinen Worten sagen, was mit dieser ‚Brille‘ gemeint ist?

Erzählung – Teil 2: Wie Johannes Bugenhagen Schritt um Schritt in Wittenberg heimisch wird

Im März des folgenden Jahres reist Johannes Bugenhagen nach Wittenberg. Schon von weitem sieht er die beiden Türme der Stadtkirche. In dieser Stadt wird er die nächste Zeit verbringen. Dass sie zu seiner neuen Heimat werden wird, ahnt er noch nicht. In Wittenberg angekommen, sieht er auf der langen Kollegienstraße zwischen der Schlosskirche und dem Augustinerkloster die Studenten in Grüppchen beieinanderstehen. Bald wird er auch zu ihnen gehören. Als er nach dem Haus des Professors Melanchthon fragt, bekommt er bereitwillig Antwort. Dort wird er nämlich für die nächste Zeit wohnen. Vom Hausherrn selbst wird er freundlich begrüßt und er spürt schon, dass er sich mit ihm gut verstehen wird. Gespannt ist er auf seine erste Begegnung mit Martin Luther. Was wird er wohl in den nächsten Monaten bei ihm erleben?

Aber da wartet schon eine Enttäuschung auf ihn. Er lernt zwar bald den Reformator kennen, von dem überall im Land gesprochen wird, und die Begegnung mit ihm ist auch sehr angenehm. Aber dann erfährt er, dass Luther bald zum Reichstag nach Worms abreisen wird. Es kann also etliche Wochen dauern, bis er an seinen Lehrveranstaltungen wird teilnehmen können. Wegen ihm hat er sich doch auf den Weg gemacht. Doch bald ist dieser Unmut vorbei. Johannes taucht schnell ein in sein neues Studentenleben. Er lernt neben Philipp Melanchthon auch die anderen Professoren kennen und kann gar nicht genug hören von ihren Gedanken zur Sicht des Glaubens im Licht des Evangeliums. Das tröstet ihn über den Verzicht auf Luthers Stimme hinweg.

Es freut ihn auch, wenn er Studenten aus seiner pommerschen Heimat trifft und sich mit ihnen in der heimatlichen niederdeutschen Mundart unterhalten kann. Die merken bald, dass Johannes schon über viele Kenntnisse zur Bibel verfügt. Vielleicht könnte er ihnen helfen, die Vorlesungen der Professoren besser zu verstehen. So treten sie eines Tages mit einem Wunsch an ihn heran: „Johannes Bugenhagen, mit unserer norddeutschen Mundart können wir uns oft nur schwer mit den anderen verständigen. Wir würden uns gerne zusammentun und bei Euch in unserer Heimatsprache Neues über die Bibel hören. Lateinisch können wir schon gut verstehen. Aber es tut auch gut, zwischendurch in unserer pommerschen Mundart miteinander zu reden und über all das Neue nachzudenken“.

Johannes stimmt gerne zu, und bald findet sich das Grüppchen der Studenten aus Pommern in Melanchthons Haus zur Erklärung und zu Gesprächen über die Psalmen der Bibel ein. Nach und nach werden es immer mehr, auch andere Studenten bitten darum, mit dabei sein zu dürfen. In der Stube wird es bald ungemütlich eng. An einem Abend nimmt Magister Philipp Johannes zur Seite und meint: „Mit großem Interesse sehe ich, wie Ihr bei mir ein Student seid und bei anderen Studenten schon wie ein Professor. Woher habt Ihr all Euer Wissen?“ Da erzählt Johannes von seinen Erfahrungen in Treptow und Belbuck und Melanchthon meint: „Eure Vorlesungen zu den Psalmen hier im kleinen Kreis sind so beliebt – wir sollten sie unbedingt auch anderen zugänglich machen. Wir verlegen sie ganz einfach in das Gebäude der Universität und alle sind dazu eingeladen“.

Natürlich freut sich Johannes riesig über diesen Vorschlag. Philipp beugt sich dann noch nahe zu ihm hin und sagt leise: „Ich kann mir auch schon gut vorstellen, dass Ihr, wenn Euer Studium vorbei ist, zum Kreis unserer Professoren dazugehören werdet“. Da leuchten die Augen des Johannes. Er hätte bestimmt nichts dagegen, wenn auf diese Weise Wittenberg zu einer zweiten Heimat für ihn werden könnte. Der Weg dahin scheint aber noch weit zu sein – bis der dann allerdings viel kürzer wird als gedacht.

Inzwischen ist Martin Luther von seinem Monate langen Aufenthalt auf der Wartburg zurückgekehrt. Martin und Johannes treffen sich häufig. Die beiden verstehen sich gut miteinander und bald gehört Johannes zum engen Mitarbeiter- und Freundeskreis Luthers dazu. Wenn es um Gespräche geht, wie es mit der Reformation weitergehen soll, dann ist er jetzt meistens mit dabei. „Luther, Melanchthon und Bugenhagen, die drei gehören zusammen“, sagen die Studenten oft.

An einem Abend in Melanchthons Haus erzählt Martin Luther von seinen Plänen zur Übersetzung des Alten Testaments, nachdem die des Neuen ein so großer Erfolg wurde. Dazu aber braucht Luther Mitarbeiter – und Johannes gehört mit seinen hervorragenden Lateinkenntnissen mit dazu. Wieder ist Johannes einen Schritt dem Ziel näher gekommen, in Wittenberg heimisch zu werden. Auch der nächste folgt bald, als Johannes Walburga kennenlernt und die beiden heiraten. Bald darauf folgt der wohl wichtigste dieser Schritte zur neuen Heimat. Der alte Pfarrer der Wittenberger Stadtkirche ist gestorben. Martin und seine Freude beraten, wer wohl am besten als Nachfolger geeignet wäre. Alle sind sich einig, dass Johannes Bugenhagen der Richtige dafür ist. „Ich erinnere mich noch gut“, erzählt der, „wie mich bei meiner Reise nach Wittenberg die Türme der Stadtkirche schon aus der Ferne begrüßt haben. Und nun soll ich selbst der Hausherr dieser Kirche sein. Das ist eine große Ehre für mich. Jetzt bin ich endgültig in dieser Stadt angekommen!“ Martin lächelt: Genau so hat er es sich gewünscht.

Johannes wird immer mehr zu einem der engsten Freunde Luthers. Mit ihm bespricht Martin Vieles, über das er mit niemand anderem reden würde. Johannes hat seinen großen Aufgabenbereich als Stadtpfarrer in Wittenberg und er lehrt im Kreis der Professoren der Universität. Er hat eine liebe Frau, die das Pfarrhaus am Marktplatz einladend für viele Gäste macht. Es gibt freilich auch eine Menge zu tun. Viele Mitglieder der Gemeinde wenden sich mit ihren Sorgen an ihn und bitten um Rat und Trost. Er spürt immer wieder, wie gut er mit seiner Botschaft von dem uns freundlich zugewandten Gott Menschen helfen kann. Aus der Fülle der Psalmen, mit denen er sich früher in seinen Vorträgen so gründlich beschäftigt hat, kann er den Menschen hilfreiche Worte mitgeben. Sie sind ihnen wie Stützen, an denen sie sich festhalten können.

Eines Tages kommt ein unglücklicher Vater zu ihm. „Meine Frau und ich haben uns so sehr auf unser Kind gefreut“, berichtet er. „Aber das Kind ist bei der Geburt gestorben“. Johannes hört aufmerksam zu, wie der Mann von seiner Not erzählt. Hellwach ist er, als der jetzt verzweifelt fragt: „Aber das Kind war doch noch gar nicht getauft! Mir wurde gesagt, dass nur zu Gott kommt, wer glaubt und getauft ist. Das ist doch furchtbar!“ Johannes kennt diese Worte aus der Bibel auch, aber er antwortet: „Kein Kind fällt aus Gottes liebevoller Hand heraus. Einzelne Worte der Bibel sagen manchmal etwas anderes, aber Jesu frohe Botschaft ist wie das Licht, mit dem wir die Bibel lesen dürfen. Alles soll zu diesem Licht passen. Und dieses Licht gilt auch für Kinder, die vor ihrer Taufe gestorben sind“. Der Mann saugt jedes dieser Worte in sich auf. „Ihr habt eine große Last von mir und meiner Frau genommen“ sagt er dann. „Ich danke Euch sehr dafür. Das lindert den Schmerz über den Tod unseres Kindes“.

Johannes weiß, dass nicht alle der Wittenberger Freunde so denken wie er. Wahrscheinlich auch sein enger Freund Martin Luther nicht. Als Johannes daraufhin angesprochen wird, meint er: „Ich stehe nachdrücklich zu dem, was ich gesagt habe. Das Licht des Evangeliums, die frohe Botschaft der Liebe Gottes steht vor der Richtigkeit einzelnen Worte und Lehren. Meine Aufgabe ist es, Menschen mit den Worten der Bibel zu trösten, nicht ihnen neue Angst zu machen. Darin sind wir uns ja wohl alle einig. Und das gilt auch für alle ungetauften Kinder“.

Das Jahr 1525 bringt ein besonderes Ereignis im Hause Luther: Martin und Katharina heiraten. Und der Pfarrer, den sie sich für ihre gottesdienstliche Feier in der Stadtkirche wählen, ist Johannes Bugenhagen. In den Tagen nach dem Hochzeitsfest sitzen Martin und Johannes wieder einmal zusammen und Martin bedankt sich noch einmal für die so gut gelungene Hochzeitsfeier. „Ja, lieber Johannes, die Eheschließung ist nach evangelischem Verständnis nun kein Sakrament mehr. Ich habe geschrieben, was sie nicht mehr ist. Aber du, lieber Johannes, hast so festlich und mit klaren biblischen Worten zum Ausdruck gebracht, was sie ist, nämlich der Zuspruch des Segens, den du Katharina und mir ins Herz hinein gesprochen hast. Das werde ich Dir nie vergessen!“
Johannes bedankt sich und Martin meint dann noch: „Alle unsere Prediger des neu entdeckten Evangeliums sollten es auch so machen können, wie du es getan hast. Sie sollten den Ablauf solch eines Gottesdienstes vor Augen haben und die Bibelsprüche kennen, die Gottes Wort zum Ehestand sind“. Martin macht eine kurze Pause und fährt dann fort: „Das muss eine zuverlässige Ordnung sein, an die sich alle Pfarrer in unserem Land zu halten haben“. Johannes nimmt den Faden auf und meint: „Das gilt ja grundsätzlich für alle Gottesdienste. Soll etwas lateinisch gesprochen oder gesungen werden wie bisher? Was muss unbedingt in deutscher Sprache zu hören sein? Auch unsere Abendmahlsfeier darf nicht nur Ablehnung des altgläubigen Messopfers sein. Sie soll deutlich machen, wie eng sie mit den Worten Jesu verbunden ist“. Martin knüpft daran an: „Wir brauchen auch klare Regeln, wie evangelische Pfarrer in ihr Amt eingeführt werden“. Johannes macht weiter: „Wir brauchen eigentlich für all das, was früher die Bischöfe geregelt und selbst getan haben, eine klare Ordnung, wie das nun in unseren evangelischen Gemeinden geschehen soll“.

Da schaut Martin seinem Freund Johannes fest in die Augen und meint: „Johannes, diese Aufgaben kommen auf dich zu! Du wirst nicht nur der Stadtpfarrer von Wittenberg bleiben, sondern ein Bischof der neuen Art für unser ganzes Kurfürstentum Sachsen werden“. Johannes antwortet: „Niemand soll mich Bischof nennen, das steht mir nicht zu. Aber Aufgaben zu übernehmen, die früher die Bischöfe innehatten und die auch für eine Kirche ganz im Sinne des Evangeliums wichtig sind – das mag wohl eine Aufgabe für mich werden“.

Gesprächsanregungen

  • Schritt für Schritt ist für Johannes Bugenhagen Wittenberg zu einer neuen Heimat geworden. Welche Schritte waren das und welche waren wohl ganz besonders wichtig für ihn?
  • Für seine neuen Aufgaben in Wittenberg hat Johannes einiges von seinen bisherigen Erfahrungen in Pommern gut nutzen können. Welche waren das wohl?
  • Martin Luther und Johannes Bugenhagen haben sich einige Gedanken gemacht, was im Bereich eines Fürsten, Herzogs, Grafen sowie der Freien Reichsstädte für alle gemeinsam geregelt werden müsste. An was kannst du dich erinnern? Was erscheint dir besonders wichtig? Was sollte deiner Meinung nach sonst noch dazu kommen?

Erzählung – Teil 3: Johannes Bugenhagens neue Aufgaben – weit über Wittenberg hinaus

Wenige Jahre später, am 20. April 1528, bekommt Johannes Bugenhagen einen ganz besonderen Besuch: Zwei Abgesandte der Stadt Braunschweig, der Stadtschreiber Johannes Alshausen und der Ratsherr Ludeke Brandes kommen mit einer Bitte des Rats der Stadt: „Pfarrer Bugenhagen, wir in Braunschweig sind auf dem Weg zur Reformation. Aber wir brauchen dringend jemand, der unsere Stadt auf diesem Weg zum evangelischen Glauben anführt. Alles, was früher der Bischof angeordnet und geregelt hat, muss jetzt neu vom Evangelium her bedacht werden. Wir brauchen eine Kirchenordnung, die für alle Gemeinden, die Kirchen- und die Ortsgemeinden verbindlich ist. Wir haben in Braunschweig schon viel von Eurem segensreichen Wirken gehört. Wärt Ihr bereit, zu uns nach Braunschweig zu kommen und uns zu helfen?“

Johannes zögert noch mit einer Antwort. Vor kurzer Zeit erst ist er so richtig angekommen in Wittenberg. Und jetzt soll er schon wieder für einige Monate fort von hier? Er erbittet sich Bedenkzeit, bespricht sich mit Walburga und mit Martin. Der ist bereit, ihn solange als Pfarrer der Stadtkirche zu vertreten. Auch seine Frau macht ihm Mut, den Braunschweigern in ihrer Notlage zu helfen. Und so macht er sich zusammen mit seiner Frau und der Tochter Sara bald auf den Weg. Er ahnt noch nicht, dass dies erst der Anfang von Aufträgen ist, die ihn in den folgenden Jahren in etliche noch entferntere Städte führen werden.

Nach vier Reisetagen kommen sie Mitte Mai In Braunschweig an. Obwohl sie noch müde von den anstrengenden Tagen in der unbequemen Kutsche sind, wird Johannes noch am selben Abend in der großen Andreaskirche vom Ratsprediger Heinrich Winkel feierlich in sein Amt als Lehrer und Prediger in allen Kirchen der Stadt eingeführt. Damit ist klar: Was Johannes Bugenhagen jetzt tut, ist für die ganze Stadt Braunschweig wichtig. In den nächsten Tagen sucht Johannes zuerst Begegnungen mit den Menschen der Stadt: den Handwerkern, Gastwirten, Dienstboten, Geschäftsleuten; den Wohlhabenden, die in großen Häusern wohnen und den Armen, die in einfachen Stuben leben; den Lehrern und natürlich auch den Predigern der neuen Lehre. Er erfährt von ihnen, dass die acht evangelischen Prediger schon viel bewirkt haben und ihre neuen Gedanken zum Glauben von den Leuten gut aufgenommen worden sind. Einer von ihnen erzählt: „Unser Herzog Heinrich und der Erzbischof Albrecht wollen freilich, dass alles so bleiben soll, wie es bisher war. Ratsprediger Winkel hat viel getan, damit der Wechsel unserer Bürgerschaft zum neuen Glauben in guter Ordnung vor sich gehen kann. Aber das schaffen wir nicht allein. Wir brauchen dringend einen, der uns alle dabei anleiten kann. Und deshalb sind wir so froh, dass Ihr zu uns gekommen seid!“

Mit den Bürgergruppen, die sich auch schon um die Einführung der neuen Lehre gekümmert haben, bespricht Johannes, wie sie sich die Gestaltung des evangelischen Gottesdienstes vorstellen. Er besucht auch die Stadtschulen und fühlt sich an seine eigene Zeit als Schulrektor erinnert. In den Krankenhäusern der Stadt gewinnt er einen Eindruck davon, wie die Kranken versorgt werden. Wann immer sich Gelegenheit dazu ergibt, predigt er in den Gottesdiensten. Den Mitgliedern im Rat der Stadt berichtet er von seinen Erfahrungen und macht viele Vorschläge zur Gestaltung der Kirchenordnung, um die es ja in diesen Monaten geht.

„Eine Kirchenordnung muss bei den Kleinen, den Müttern und Vätern mit ihren Kindern beginnen“, sagt er. „Wenn Eltern ihr Neugeborenes im Arm halten, sollen sie wissen, dass ihr Kind ein Gottesgeschenk, ein Gotteskind ist“. Er erinnert sich an das Gespräch mit dem Vater des tot geborenen Kindes und sagt: „Kein Kind fällt aus der Hand Gottes, auch wenn es stirbt, bevor es getauft ist“. Und dann erklärt er weiter: „Es soll Aufgabe der Hebammen sein – also der Frauen, die eine Geburt begleiten, dass Eltern diese frohe Botschaft tief in ihr Herz aufnehmen können“. Die anderen schauen Bugenhagen erstaunt an: „An so etwas hätten wir jetzt überhaupt nicht gedacht“, meint einer. „Aber es leuchtet ein, dass auch das geregelt sein sollte“. Ein anderer ergänzt: „Aufgabe des Rats ist es also, dass ausreichend gut ausgebildete Hebammen in der Stadt sind, die allen werdenden Müttern zur Seite stehen können“. Johannes nickt zustimmend. Dann geht das Gespräch weiter zu den Schulen und Lehrern und zu der Aufgabe des Rats und der Kirchengemeinden, für gute Lehrer und geeignete Schulbücher zu sorgen. Johannes betont: „Die Schulen müssen für alle Kinder da sein, auch für die, deren Eltern kein Schulgeld bezahlen können. Wir brauchen Schulen für Jungen und Mädchen, brauchen dafür Lehrer und Lehrerinnen“.

Nach einem Gottesdienst lädt er zu einem Gespräch ein, wie sich die Menschen in der Stadt den Übergang von der alten Gottesdienstform zu den neuen wünschen. Immer wieder stellt er Fragen und hört aufmerksam auf die Vorschläge der Gesprächspartner: „Wie kann in den Gemeinden die Freude am Singen der neuen Lieder in deutscher Sprache geweckt werden? Wie kann den Feiernden das Abendmahl mit Brot und Wein liebenswert gemacht werden?“ Die einen wollen um der Einheit willen einen raschen Wechsel vom Alten zum Neuen, andere möchten gerne so lange wie möglich an lieb gewordenen Gebeten zu den Heiligen und auch an der vertrauten lateinischen Sprache festhalten. Die einen wollen die lateinischen Chorgesänge abschaffen, andere möchten sie auch in Zukunft nicht missen. Johannes hört zu, leitet die Gespräche, regt Vereinbarungen an, mit denen möglichst viele zufrieden sein können.
Die Besuche bei den Bürgergruppen führen auch rasch zu den Fragen, wie am besten für die Armen und Notleidenden gesorgt werden kann. Ein Gruppenmitglied erklärt: „Früher haben die Bischöfe und Klöster Geld gesammelt, das die Leute aus Angst vor Gottes Strafen gespendet haben. Sie haben es teils für sich verwendet, teils für die Armen. Aber niemand hat erfahren, wie viel für wen. Dann hat uns Martin Luther die Angst vor Gottes Strafen genommen, und die Spenden fließen seither spärlicher“. Johannes antwortet zuerst mit eigenen Gedanken zu Jesu Wort: ‚Was ihr getan habt einem meiner geringsten Brüder, das habt ihr mir getan‘. „Wer das Gebot der Nächstenliebe missachtet“, sagt er eindringlich, „hat nichts von der neuen Glaubensbotschaft verstanden. Glaube und Liebe gehören untrennbar zusammen!“

Und dann fährt er fort: „Wir brauchen weiterhin freiwillige Spenden, aber auch Geld aus der Steuerkasse für diese Aufgaben. Sie sollten in zwei verschiedene Kassen fließen. Die eine ist die ‚Schatzkasse‘. Aus der wird der Lohn der kirchlichen Mitarbeiter bezahlt. Denn wer arbeitet, soll auch essen – so steht es in der Bibel. Die andere Kasse ist die Kasse zum Helfen. Aus der werden die Notleidenden unterstützt. Damit es gerecht zugeht, werden angesehene Bürger der Stadt beauftragt, regelmäßig zu überprüfen, was in die Kassen kommt und wie es verteilt wird“. „Das ist eine gute Idee“, sagen die anderen. „So muss niemand befürchten, dass das Geld ungerecht verteilt wird“. Und dann reden alle noch weiter über Einzelheiten. „Sollen Reisende, die bei uns zu Besuch kommen und in Not geraten, auch unterstützt werden?“ fragt einer. „Sollen im Krankenhaus diejenigen, die Geld haben, ein besseres Essen bekommen als die anderen?“ will ein anderer wissen. Das Gespräch geht hin und her, und zum Schluss sagt Johannes: „Es geht gut, wenn wir uns die Regeln möglichst genau überlegen, damit es keinen Ärger und keinen Streit gibt. Aber denkt bitte daran: Vor aller Strenge im Achten auf die Bestimmungen muss das Gebot der Liebe stehen. Sie ist wichtiger als kleinlicher Gerechtigkeitssinn. Das gilt für alle Christen in Stadt und Land. Im Zweifel soll die Liebe regieren“. Immer wieder gibt Johannes Bugenhagen Anstöße zu weiteren Gesprächen, die für die Kirchenordnung wichtig sind. Nach und nach nimmt die neue Ordnung für die Kirchengemeinden und die ganze Stadt Gestalt an. Fast jeden Tag predigt Johannes in einer der Kirchen.

Schon etliche Wochen in Braunschweig sind so vergangen, als sich bei ihm wieder ein Besuch ankündigt. Mitglieder des Rats der Stadt Hamburg sprechen bei ihm vor: „Wir haben gehört, dass Ihr, Pfarrer Bugenhagen, hier in Braunschweig mit so viel Ideen und Freundlichkeit eine Kirchenordnung hervorbringt. Auch wir in Hamburg brauchen solch eine Ordnung und dazu Eure Hilfe. Kommt bitte auch zu uns!“ Bevor Johannes mit seiner Familie weiter nach Hamburg reist, wird noch in einem feierlichen Gottesdienst in der Andreaskirche die neue Ordnung für Kirche und Stadt verkündet und Johannes Bugenhagen mit großem Dank verabschiedet.

Nach der Zeit in Hamburg wird er auch nach Lübeck gerufen und schließlich auch in seine alte pommersche Heimat. Die Herzöge Barnim und Philipp bitten ihn, auch hier eine Kirchenordnung auf den Weg zu bringen. Auf der einen Seite freut er sich über diese Berufung. Jetzt geht es nicht mehr nur um eine Stadt, sondern ein ganzes Land. Aber es ist November und da will Johannes seiner Familie diese beschwerliche Reise nicht zumuten. Deshalb fährt er schweren Herzens allein.

Zu einer großen Versammlung treffen sich der Bischof, die Leiter der Klöster, die Adligen, die Bürgermeister der Städte, die evangelischen Prediger und natürlich Johannes Bugenhagen. Sie treffen sich in Treptow - dort, wo es für ihn mit der Entdeckung der neuen Botschaft begonnen hat und wo nun die Einführung der Reformation in ganz Pommern beschlossen wird. Wenn Johannes durch die Straßen geht, werden in ihm Erinnerungen wach an seine eigene lange Zeit in dieser Stadt,. Er freut sich am Klang seiner heimatlichen Mundart, in der er sich mit den anderen besser verständigen kann als anderswo.

Um die geht es bald in den Gesprächen zur Gestaltung der Gottesdienste. Johannes erklärt, wie wichtig für die Reformatoren der Wechsel vom Lateinischen ins Deutsche ist. Denn das können alle verstehen. Er erzählt auch von Luthers Bibelübersetzung ins Deutsche, damit sie alle lesen können. Da meldet sich einer der Gesprächsteilnehmer und meint: „Für die meisten unserer Leute ist auch das Deutsche, das in Wittenberg und anderswo gesprochen wird, wie eine unverständliche Fremdsprache“. Die anderen nicken zur Bestätigung, auch Johannes selbst. Und nun kreisen die Gedanken um die Frage, wie die Worte im Gottesdienst auch für die Leute in Pommern verständlich sein können. Zum Schluss sagt Johannes: „Die Worte im Gottesdienst sollen so klingen, wie die Leute selbst sprechen. Aber auch die Bibel soll so geschrieben sein. Das ist eine viel größere Aufgabe. Wir brauchen eine Bibelübersetzung in unserer Mundart. Ich will mich mit Helfern an die Arbeit machen, damit möglichst bald alle Pommern die Bibel in ihrer heimatlichen Sprache lesen können“. Dieses Versprechen wird von den anderen mit großem und dankbarem Beifall bedacht.

Wieder meldet sich ein Bote bei Johannes. Es ist ein Abgesandter des Herzogs, und er sagt: „Pfarrer Bugenhagen, Ihr leistet so große Dienste für unser Land und die Menschen, die hier wohnen. Ihr tut genau das, was früher bei uns die Aufgaben der Bischöfe waren. Im Auftrag der Herzöge von Pommern bitte ich euch, der neue Bischof in unserem Land zu werden und bei uns zu bleiben. Wir werden alles tun, damit Ihr Euch in Eurer alten Heimat wieder wohl fühlen könnt“. Johannes denkt hin und her. Wie soll er sich entscheiden? Was soll jetzt seine endgültige Heimat werden? Aber dann wird ihm klar: Seine wirkliche Heimat ist jetzt Wittenberg geworden, mit all den Aufgaben, die er dort übernommen hat, mit den Freunden, die ihm so wichtig geworden sind. Deshalb lehnt er das Angebot der Herzöge ab. Er spürt stattdessen in sich den Wunsch, möglichst bald wieder nach Wittenberg zurückzukehren. Deshalb arbeitet er mit all seiner Kraft an der neuen Kirchenordnung.

Gesprächsanregungen

  • Zu seinen Aufgaben als Berater bringt Johannes Bugenhagen viele Erfahrungen mit. Welche erscheinen dir besonders wichtig?
  • Johannes nimmt mit seinen Reisen viele Mühen auf sich. Welche werden ihm wohl am meisten zu schaffen gemacht haben?
  • Trotzdem ist er immer wieder bereit, den an ihn herangetragenen Bitten zu folgen. Warum wohl?
  • Was an den Kirchenordnungen hältst du für besonders bedeutungsvoll, was weniger?
  • Wie weit dürfen deiner Meinung nach solche Ordnungen die Freiheit des einzelnen einschränken?
  • Bugenhagen hat vorgeschlagen, zwei Kassen einzurichten: für den Lohn der kirchlichen Mitarbeiter und für die Versorgung der Armen. Wie beurteilst du diese Trennung?
  • Über alle Regelungen stellt Bugenhagen das Gebot der Liebe. Könnte das auch für heute ein wichtiger Grundsatz sein?
  • Was von den damaligen Kirchenordnungen ist auch heute noch von Bedeutung?
  • Bugenhagen begründet die Kirchenordnungen vom Evangelium her. Wo kommt das gut zum Ausdruck?

Erzählung – Teil 4: Johannes Bugenhagen krönt den dänischen König

Nur wenige Jahre später erreicht Johannes Bugenhagen eine ganz besondere Bitte. Boten des dänischen Königs Christian besuchen ihn und teilen ihm mit: „Die dänische Königsfamilie und ihr Volk fühlen sich mit Wittenberg und der Reformation sehr verbunden. Unser König bittet Euch, zu uns nach Dänemark zu kommen und auch dort eine Kirchenordnung auf den Weg zu bringen“. Johannes erinnert sich dass er König Christian vor Jahren in Hamburg kennengelernt hat und sie sich gut verstanden haben. Außerdem denkt er sich: „Ein Reformator für ein ganzes Königreich, das ist wirklich etwas Neues“. Deshalb ist er bereit, sich wieder einmal auf eine große Reise zu machen. Die Boten berichten noch, was der König schon alles für die neue Lehre getan hat. Aber jetzt braucht das Land einen erfahrenen Reformator. Er soll das, was früher die Bischöfe getan haben, im evangelischen Sinn in eine gute Ordnung bringen. Ja, diese Aufgaben kennt er inzwischen gut. Aber jetzt in einem anderen Land, da wartet sicher auch viel Neues auf ihn. Wieder einmal sind auch der Kurfürst und Martin Luther als sein Stellvertreter in der Stadtkirche einverstanden, und bald geht die Reise los. Es ist Juni, da kann ihn auch seine Familie wieder begleiten. Kaum in Kopenhagen angekommen, stürzt sich Johannes sofort in die neue Arbeit. Er führt hier und an anderen Orten viele Gespräche. Er wird auch der persönliche Berater des Königs und gewinnt in ihm einen engen Freund. Die Arbeiten an der Kirchenordnung kommen gut voran.

Wieder einmal sitzen Johannes und König Christian beisammen und beraten die nächsten Schritte auf dem Weg der Reformation. Da sagt Christian: Für mich, meine Familie und unser Volk wäre noch etwas sehr wichtig, was früher eine der höchsten Aufgaben des Erzbischofs war“. Johannes horcht erwartungsvoll auf, und Christian spricht weiter: „Es ist die Krönung des Königs. Ein König muss gekrönt sein, aber wir haben ja keinen Erzbischof mehr“. Er macht eine kurze Pause und sagt dann: „Johannes, ich bitte Dich herzlich, mich feierlich zum König zu krönen. Das soll ein deutliches Zeichen dafür sein, dass wir in ganz Dänemark fortan ein evangelisches Land sein wollen. Wenn ich als gekrönter König die neue Kirchenordnung meinem Volk übergebe, dann hat das noch viel mehr Bedeutung“. Diesen Wunsch kann Johannes seinem Freund Christian nicht abschlagen. Und so entwirft er in seiner neuen Aufgabe als ein evangelischer Erzbischof eine Krönungsfeier, die ganz im Zeichen der frohen Botschaft der Bibel steht. Er achtet streng darauf, dass er nicht als ein geweihter Priester und Bischof den König krönen wird, sondern als ein Diener des Evangeliums, der den König zu seinen Aufgaben segnet.

Am Geburtstag des Königs findet in der Schlosskirche in Kopenhagen ein rauschendes Krönungsfest statt. Johannes Bugenhagen ist festlich gekleidet und er führt in einem feierlichen Zug das Königspaar bei festlicher Musik zum Altar. Dort sind seine Plätze wie ein Zelt wunderbar geschmückt. Viele auswärtige Gäste sind angereist und feiern den Gottesdienst mit – Fürsten aus Deutschland, mit denen Christian und seine Frau verwandt sind, Abgeordnete des Nachbarlands Schweden, Abgesandte der norddeutschen Handelsstädte. Johannes predigt über die Aufgaben eines Königs, die sich aus der Botschaft des Evangeliums ergeben. Er überreicht Christian feierlich das Königsschwert, das Zepter und den goldenen Reichsapfel, die Zeichen seiner Aufgaben als König. Dann setzt er ihm die Krone auf sein Haupt und sagt dazu: „So wie die Krone nach oben hin offen ist, so soll das ein Zeichen dafür sein, dass Gott unser eigentlicher König ist und Du, König Christian III immer zu bedenken hast, was Gottes Wille ist“. Johannes beauftragt ihn zum Hüter des Evangeliums in seinem Königreich, zum Beschützer der neu entstehenden evangelischen Kirche. Der König antwortet und gelobt, dass er diesem Auftrag folgen wird. Auch die Königin wird gekrönt. In den nächsten Tagen wird in Kopenhagen und im ganzen Land viel über den neuen evangelischen Erzbischof Bugenhagen gesprochen. Dann hat Christian noch eine Bitte: „Zum Erzbischof gehören auch die Bischöfe in den einzelnen Landesteilen. Bitte führe auch sie feierlich in ihre Aufgaben als evangelische Bischöfe ein. Auch das geschieht, und immer wieder gibt es neue Aufgaben für den „neuen dänischen Erzbischof“, wie ihn viele nennen.

Johannes freut sich, wenn er auf Landsleute aus Pommern trifft, Angestellte am königlichen Hof oder Kaufleute, die ihre Waren in die Stadt bringen. Ganz besonders beglückt es ihn, als er in einem Sekretär des Königs einen alten Freund aus seiner Zeit als Lehrer in Treptow und als Student in Wittenberg wiedererkennt, Peter Suave. Damals war er ein bisschen neidisch auf ihn gewesen, als Peter den Professor Luther auf die Reise nach Worms begleiten durfte, während er monatelang auf ausführliche Gespräche mit ihm warten musste. Johannes lächelt in sich hinein. Was hat sich nicht alles seither ereignet! Wenn immer er sich mit Peter treffen kann, haben sich die beiden so viel zu erzählen vom dem, was sie seither erlebt haben.

Aus den fünf Monaten, die für Bugenhagens Arbeit in Dänemark geplant waren, sind inzwischen schon zwei Jahre geworden. Da hat König Christian noch einen Wunsch an seinen Freund: „Bleibe bitte als erster evangelischer Erzbischof in unserem Land!“ Aber diesen Wunsch erfüllt Johannes ihm nicht. Zu sehr zieht es ihn mit seiner Familie wieder zurück in sein Wittenberg, das ihm zur Heimat geworden ist. Auch dort warten vielerlei bischöfliche Aufgaben auf ihn. Aber er verspricht Christian, dass er auch von Wittenberg aus eine guter Freund, Ratgeber und aufmerksamer Beobachter der Reformation in Dänemark sein wird. „Auch über Briefe können wir beisammen bleiben“, sagt er und verspricht dann noch: „Wenn dänische Studenten nach Wittenberg kommen, um sich dort auf ihre Aufgaben als Pfarrer in ihrer Heimat vorzubereiten, dann werde ich mich gut um sie kümmern!“

Im Juli des Jahres 1539 sind die Bugenhagens wieder zuhause. „Endlich seid ihr wieder da“, werden sie von vielen freudig begrüßt. Als die Luther-Freunde noch am Abend der Heimkehr gemütlich beieinander sitzen, kommen Arbeiter und laden bei ihnen ein Fass Bier ab: „Einen schönen Gruß vom Rat der Stadt“, sagen sie, „auch die Ratsmitglieder freuen sich, dass unser Stadtpfarrer wieder da ist“. Als Johannes in der Runde ein paar seiner Dänisch-Kenntnisse ins Gespräch einstreut, klopft Martin ihm anerkennend auf seine Schulter und meint lachend: „Achtung, hier spricht unser evangelischer dänischer Erzbischof!“

Gesprächsanregungen

  • Die Zeit in Dänemark war für Johannes Bugenhagen etwas ganz Besonderes. Was war es wohl, was diese Reise von den anderen unterschieden hat?
  • Dem König Christian war es sehr wichtig, von seinem Freund Johannes gekrönt zu werden. Welche Gründe dafür hat Christian wohl gehabt?
  • Johannes Bugenhagen hat sich bei der Vorbereitung der Krönungsfeier viel überlegt, was er dem Königspaar sagen will. An was erinnerst du dich und was erscheint dir besonders wichtig?
  • Johannes Bugenhagen wurde auch Bischof der Reformation genannt. Er war damit zuerst nicht so recht einverstanden. Warum wohl?
  • Was hat ihn als ‚Bischof der Reformation‘ von den bisherigen Bischöfen unterschieden?
  • Als die Familie Bugenhagen wieder in Wittenberg ankam, haben Johannes und Walburga viel zu erzählen und wurden auch viel gefragt. Was hat die Wittenberger Freunde wohl am meisten interessiert?
  • Als Johannes mit seinem Freund Peter Suave nochmals auf die Zeit in Treptow und die erste Zeit in Wittenberg zurückschaut und sie einander viel erzählten, da sah Johannes deutlich seinen langen Weg zwischen damals und dem Wiedersehen in Kopenhagen vor sich. Wie auf einer Landkarte sah er viele Zwischenstationen. An welche erinnerst du dich und welche waren ihm wohl besonders eindrücklich?

Literaturhinweise

Hans-Günter Leder: Johannes Bugenhagen – Vom Reformer zum Reformator. Studien zur Biografie. Frankfurt am Main 2002.
Irmfried Garbe und Heinrich Kröger (Hg): Johannes Bugenhagen (1485-1558). Der Bischof der Reformation. Leipzig 2010.

 

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