Der Auferstandene am See von Tiberias (Johannes 21) - Petrus gewinnt den auferstandenen Jesus als Freund zurück

 

Vorüberlegungen
Das 21. Kapitel des Johannesevangeliums ist erkennbar ein Nachtrag aus späterer Zeit, denn mit dem Ende von Kapitel 20 liegt schon ein Abschluss vor. Dort erfolgt statt eines Himmelfahrtsberichts wie bei den drei anderen Evangelien in einer Begegnung des Auferstandenen mit den Jüngern noch in Jerusalem die Sendung in ihr Apostelamt. So wie Gott in der Schöpfungsgeschichte dem ersten Menschen das Leben eingehaucht hat (1. Mose 1,7), so vermittelt Jesus Christus seinen Aposteln den Heiligen Geist. In Kapitel 21 nun ist die Absicht erkennbar, in der frühen Kirche den besonderen Auftrag des Petrus zu begründen. Aus erzählerischer Sicht erfüllt dieses Kapitel im Blick auf Petrus noch eine besondere Aufgabe: nämlich die Wiederherstellung der durch die Verleugnung zerstörte Freundschaft. Der dreimaligen Lüge steht ein dreimaliges entschiedenes Ja zur Zugehörigkeit zu Jesus gegenüber.

Wie in den anderen Evangelien ist diese im Johannesevangelium berichtete Erscheinung des Auferstandenen wieder am See Genezareth, nämlichbei der Stadt Tiberias und knüpft an Erfahrungen von früheren Begegnungen mit Jesus an. Die Körperhaftigkeit des Auferstandenen kommt hier in einer Mahlzeit und ausführlichen Gesprächen mit den Jüngern zu besonderer Geltung, diesmal aber ohne eine Zurückweisung wie bei Maria Magdalena und Thomas. Die Nacherzählung entfaltet diesen Nachtrag des Evangeliums als eine visionäre Erfahrung des Petrus.

 

Erzählung

Mit den meisten anderen Jesusfreunden ist Simon Petrus wieder am heimatlichen See Genezareth angekommen. Nach den bedrängenden Ereignissen in Jerusalem tut die Ruhe gut, in der sie die vielen Erlebnisse noch einmal vor ihrem inneren Auge vorüberziehen lassen und so wieder ein bisschen Ordnung in ihre Gedanken und Bilder im Kopf bringen können. Schon auf ihrem Weg zurück in die Heimat Galiläa haben sie immer wieder darüber gesprochen. Sie hatten ihre Erinnerungen ausgetauscht, wie sie in Jerusalem das so ungewohnte Stadtleben mit den vielen Menschen in ihren Bann gezogen hatte. Wie in einem Strudel ging das weiter, bis sie nach der Kreuzigung Jesu ratlos, verzagt und voller Trauer beieinander saßen. Und wieder wendete sich das Blatt ihrer Erlebnisse, als sie dem Auferstandenen begegneten und er ihrem Leben wieder eine ganz neue Ausrichtung gab.

Über all das muss auch Simon Petrus nachsinnen, auf dem Weg und auch jetzt, als er sich mit den anderen am Seeufer zur Rast niedergelassen hat. Aber da stößt auch eine besonders schmerzhafte Erinnerung in ihm hoch: „Nur ich war es, ich allein, der vor Fremden die Freundschaft mit Jesus verraten hat“, murmelt er vor sich hin. „Kann ich denn mit diesem Versagen überhaupt ein Bote, ein Apostel unseres Jesus Christus sein?“ Er spürt den brennenden Wunsch in sich, diese dunkle Stelle in seinem Leben hinter sich lassen zu können. Und wieder ist er mit seinen Gedanken da, wo alles zwischen ihm und Jesus noch in Ordnung war: als Jesus ihn mit seinem Bruder beim Fischen traf und Jesus sie zu ‚Menschenfischern‘ machen wollte; wie sie mit ihm zogen; wie anstrengend es war mit den vielen Leuten, die zu Jesus kamen und er zu ihnen; wie schön es war, wenn sie miteinander feierten, aßen und tranken. „Ach, da war alles noch gut“, seufzt er vor sich hin. „Was gäbe ich dafür, mit Jesus wieder ins Reine zu kommen, mit ihm noch einmal neu anfangen zu können!“

Müdigkeit überfällt Petrus, er kommt ins Dösen. Er sieht sich, wie er – ganz der Sprecher seiner Gruppe – sich ein Boot besorgt, um für die Abendmahlzeit Fische zu fangen. „Wir kommen mit“, rufen die anderen. „Die Abwechslung tut uns gut. Wir haben das ja schon so lange nicht mehr gemacht“. Und dann ist es schon wieder Morgen, aber die Netze sind noch leer. Als sie sich dem Ufer nähern, kommt ihnen eine Gestalt entgegen – genauso wie damals in Kapernaum. „Das ist Jesus“ durchfährt es Petrus, und es drängt ihn mit unglaublicher Macht zu ihm hin. Er hört ihn sagen: „Ihr habt ja noch nichts gefangen! Werft eure Netze noch einmal an der anderen Seite des Bootes aus!“ Natürlich folgen sie seinem Rat, und als sie das Netz einholen, quillt es über von Fischen. ‚Menschenfischer sollen wir sein‘, geht es Petrus durch den Kopf, ‚aber gilt das auch für mich? Ich muss das mit Jesus bereden!‘ Er springt ins seichte Uferwasser, um noch vor den anderen bei Jesus zu sein.

Jetzt sieht er sich mit den anderen bei einem Feuer sitzen, auf dem schon einige der gefangenen Fisch braten. Auch Brot liegt bereit. Sie essen und trinken. Es ist so, wie sie so oft mit Jesus erlebt hatten. Und doch ist es anders. Niemand traut sich, Jesus anzusprechen. Es ist ganz sonderbar. Der nimmt Brot und Fisch, spricht den Segen und beginnt auszuteilen. ‚Wie so oft am See‘, geht es Petrus durch den Sinn und er fühlt wohlig, wie schön es damals war. Aber gilt das heute noch für ihn? ‚Jesus, ich will mit dir reden!‘ möchte er am liebsten schreien, aber alles ist noch so stumm.

Da endlich durchbricht Jesus den Bann und spricht Simon an: „Simon, bist du mein Freund, der immer zu mir steht? Willst du es wirklich sein?“ Aus ganzem Herzen antwortet er: „Ja, du weißt doch, wie alles in mir dazu drängt!“ – „Dann soll es so sein“, sagt Jesus. „So wie ich der gute Hirte bin, sollst es auch du für die Menschen sein!“ Simon spürt die Freude, die sich in ihm ausbreitet. Noch einmal fragt Jesus, und Simon antwortet mit einem Ja aus tiefster Seele, und auch noch ein drittes Mal. Ein dunkler Schatten durchzieht ihn plötzlich: ‚Warum muss ich es dreimal sagen? Ja, dreimal habe ich ihn verleugnet‘. Aber die Worte Jesu führen ihn rasch wieder darüber hinweg. „Du wirst mein Bote sein“, sagt der zu ihm. „Die Freundschaft mit mir, der Glaube an mich und meine Botschaft wird dir zwar viel abverlangen. Aber ich weiß, dass du mir treu bleiben wirst“. Das ist für Simon die Bekräftigung, dass Jesus, der von Gott ins neue Leben auferweckte Jesus ihm wirklich verziehen hat. Dann sitzt er wieder bei den anderen, so wie sie sich zur Rast niedergelassen haben. Er taucht wieder in das Gespräch mit ihnen ein. Die dunklen Wolken in seinen Gedanken und Erinnerungen sind verschwunden. Er weiß, dass sie ihn nicht mehr quälen werden.

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