Paulus und Silas in Philippi (Apostelgeschichte 16.16ff.)
Überzeugende Standfestigkeit im Glauben

 

Vorüberlegungen

Der Erzählung geht in der Apostelgeschichte unmittelbar der Bericht von der Ankunft in Philippi und der Begegnung mit Lydia voraus.
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Zu der Gemeinde in Philippi, seiner ersten auf europäischem Boden, hatte Paulus ein besonderes Verhältnis: Von ihr ließ er sich finanziell unterstützen, während er von allen anderen solche Beiträge ablehnte, um seine Unabhängigkeit zu bewahren. In Philippi lagen für ihn freilich Erfolge seiner Missionspredigt und Leiden um des Glaubens willen dicht nebeneinander. Im bald danach geschriebenen Brief an die Gemeinde in Thessalonich (1. Thessalonicher 2,1f.) spricht er von den Schlägen, die ihm im Gefängnis in Philippi zugefügt worden waren.

Der biblische Text in der Apostelgeschichte unterstreicht deren Leitthema, nämlich den Weg des Evangeliums in die Welt, auf dem auch aus widrigen Umständen heraus Menschen für den christlichen Glauben gewonnen wurden. Die Nacherzählung unterstreicht dies, indem sie der Macht der Wahrsagerin diejenige des sie weit überbietenden Christusglaubens gegenüberstellt. Sie wird aus der Sicht des Gefängnisaufsehers - verstärkt durch die ihm zugedachte Ehefrau - gestaltet. So gewinnt die in der biblischen Vorlage sehr knapp skizzierte Wendung zum christlichen Glauben an Anschaulichkeit.

Mit dem zunächst kaum zu erwartenden Erfolg der missionarischen Tätigkeit der beiden Apostel rührt die Nacherzählung auch an allgemeinmenschliche Erlebnisse, wie sich unterwartete Hindernisse doch zum Guten wenden können – und wie darin Gottes Wirken erfahrbar wird.

 

Erzählung

Der Gefängnisaufseher von Philippi – ich nenne ihn Patroklos – ist auf dem Weg zur Stadtverwaltung. Dort hat er täglich über Vorgänge im Gefängnis zu berichten und neue Befehle und Aufträge entgegenzunehmen. Aus seinen Gedanken wird er durch Geschrei in einer der umliegenden Gassen herausgerissen. Die Stimme, die dort laut ruft, kennt er. Es ist die Stimme einer Sklavin, deren Besitzer bei ihr ganz besondere Fähigkeiten wahrgenommen hat, nämlich die zum Wahrsagen. Sie kann in die Zukunft schauen und Menschen sagen, was in deren Zukunft auf sie zukommen wird. Patroklos lächelt bei dem Gedanken, dass der Besitzer mit dieser Frau einen guten Fang gemacht hat. Sie lässt sich nämlich ihre Dienste gut bezahlen – genauer gesagt er selbst, denn das Geld gehört natürlich ihm als dem Besitzer dieser Frau. Wahrscheinlich preist sie wieder einmal mit lauter Stimme ihre Fähigkeiten an. Patroklos will schon wieder zu seinen Gedanken zum Bericht zurückkehren, der im Rathaus auf ihn wartet. Doch dann stutzt er. Die Frau ruft ja etwas ganz anderes. „Diese Menschen sind Knechte des höchsten Gottes, die uns den Weg des Heils verkünden!“ „Nanu“, fragt er sich, „welche Menschen und welchen höchsten Gott meint sie da wohl? Und warum ruft sie so laut? Und was hat das mit ihrem Geschäft als Wahrsagerin zu tun?“ Patroklos würde jetzt gerne in die Gasse hineingehen, aber die Zeit drängt. Er seufzt und murmelt dann: „Hoffentlich gibt es da keine Unruhe in der Stadt und dann für mich neue Arbeit im Gefängnis“. Schnell geht er jweiter. Aber wer wohl diese Knechte des höchsten Gottes sind, das hätte er doch zu gerne erfahren. Er ahnt noch nicht, dass er bald mehr dazu wissen wird.

Mitten in seinen Bericht im Rat der Stadt platzen plötzlich ein paar Leute herein. Es sind der Besitzer der Sklavin und zwei Männer, die wohl ziemlich neu in der Stadt sind. Und schon poltert der Besitzer los und zeigt dabei auf die beiden Männer: „Diese beiden haben mit der Macht ihres Gottes die Macht meiner Sklavin zum Wahrsagen gebrochen. Nun kann sie nicht mehr in die Zukunft schauen, sondern bleibt stumm. Das ist Geschäftsschädigung und bringt Unruhe in die Stadt. Ich verlange, dass die beiden Männer dafür bestraft und ins Gefängnis gesteckt werden. Paulus und Silas nennen sie sich“. Der römische Stadthalter wiegt nachdenklich den Kopf und sagt dann: „Also kurz und gut“ - er wendet seinen Kopf Patroklos zu: „Verhaften, das übliche Auspeitschen und einsperren, dann wird bald wieder Ruhe in der Stadt sein“. Patroklos denkt: „Das habe ich doch schon geahnt, dass es wieder Arbeit für mich gibt!“ Aber er sagt nichts, sondern nimmt die beiden gefesselt mit zum Gefängnis und gibt dem Gefängniswärter die nötigen Anweisungen.

Am Abend erzählt er seiner Frau von seinem Erlebnis. Die hört aufmerksam zu und meint dann: „Das mit dem höchsten Gott finde ich auch sehr interessant. Die beiden müssen von ihm eine besondere Macht haben, größer als die Mächte, die wir kennen. Frag doch morgen noch genauer nach, was es mit dieser Macht des höchsten Gottes auf sich hat“. Patroklos nickt und ist froh, dass er an diesem Abend kein Verhör mehr mit den beiden führen muss und eine ruhige Nacht auf ihn wartet. Aber es kommt ganz anders, als er denkt.

In der Nacht werden er und seine Frau von einem Erdbeben geweckt. Das kommt zwar in dieser Gegend öfter vor, aber Patroklos springt besorgt auf und macht sich rasch auf den Weg zum Gefängnis, seine Frau hinterher. „Hoffentlich haben die Gefängnistüren gehalten“, ruft der hastig. „Schließlich hafte ich mit meinem eigenen Leben dafür, dass niemand entwischen kann“. Als die beiden am Gefängnis angekommen sind, ist das Entsetzen in sein Gesicht geschrieben. Die Tore sind offen, von den Gefangenen ist nichts zu sehen. „Das ist mein Ende“, ruft er verzweifelt seiner Frau zu und zückt sein Schwert, um es in sich hineinzustoßen.

„Halt“ hört er eine laute Stimme und erkennt einen der beiden Fremden. „Tu es nicht! Wir sind alle dageblieben. Wir wollen dich nicht ins Verderben stürzen!“ Patroklos und seine Frau stehen vor Überraschung ganz starr da. Wie in einem Film gleiten an ihnen die Bilder vorbei, wie mit den beiden Fremden nach und nach auch alle weiteren Gefangenen zum Vorschein kommen. Dann löst sich ihre Erstarrung, und die Frau des Patroklos fragt vorsichtig Paulus und Silas: „Ihr beiden seid wohl die Fremden, die heute eingesperrt worden sind. Dass ihr jetzt vor uns steht und niemand verschwunden ist, hat das auch mit der Macht eures Gottes zu tun?“ Paulus und Silas nicken zustimmend, und die Frau redet gleich weiter: „Dann müsst ihr uns jetzt unbedingt mehr von diesem Gott erzählen, und von der Macht, die er euch übertragen hat. Denn so etwas Sonderbares wie euch beide, das haben wir wirklich noch nie erlebt!“ Patroklos regelt schnell alles Weitere, das zu tun ist. Dann gehen die vier in das Haus des Gefängnisaufsehers.

An Schlaf ist jetzt nicht zu denken. Paulus und Silas berichten von ihrem Auftrag, die Botschaft von Jesus Christus weiterzusagen. Sie erzählen von dieser Friedensbotschaft, die Menschen verändert und Gemeinschaft stiftet. Sie berichten, wie der eine große Gott auch in uns Menschen zu spüren ist, nämlich mit seinem guten Geist, so wie ihn schon Jesus zu uns Menschen gebracht hat. Patroklos und seine Frau hören aufmerksam zu, stellen immer wieder ihre Fragen und erfahren immer mehr über den Glauben der beiden an Jesus Christus. Es ist schon Morgen geworden, als die beiden Bewohner von Philippi mit immer wieder neuen Worten bekräftigen: „Zu diesem großen Gott, zu Jesus Christus und seiner Gemeinschaft möchten wir gerne auch dazugehören!“

Der neue Tag bringt freilich noch eine gewichtige Aufgabe. Was soll mit Paulus und Silas, die ja immer noch Gefangene sind, geschehen? Deshalb macht sich Patroklos mit den Beiden wieder auf den Weg zum Stadthaus. Dort ergreift Paulus zur Verwunderung aller anderen das Wort zu einer heftigen Beschwerde. „Ich bin römischer Bürger“, ruft er, „dass wir hier gefangen genommen und geschlagen wurden, ohne Straftaten, mit denen wir uns schuldig gemacht hätten - das ist ein grober Verstoß gegen das römische Recht. Ich verlange, dass das wieder in Ordnung kommt!“ Jetzt stecken der Stadtrichter und seine Räte die Köpfe zusammen, beraten und verkünden dann: „Ihr beide seid frei. Wir sehen deshalb auch keinen Anlass, euer Vergehen genauer zu überprüfen. Aber ihr müsst die Stadt verlassen!“

Patroklos ist einerseits erleichtert, aber auch enttäuscht. Wie gerne hätten er und seine Frau die beiden Christusboten noch länger zu Gesprächen bei sich gehabt. Aber einen Trost gibt es schließlich doch noch für sie. Zu viert machen sie sich auf den Weg zum Haus von Lydia, der Purpurhändlerin. Dort erfahren Patroklos und seine Frau zu ihrer Erleichterung, dass sie auch von Lydia viel über den neuen Glauben erfahren und mit ihrer Taufe zu der jungen Christengemeinde in Philippi gehören können. Dazu werden die beiden herzlich eingeladen. So fällt es ihnen leichter, Paulus und Silas zum Stadttor zu bringen und dort zu verabschieden. Paulus meint zum Schluss noch: „Ob und wann ich nach Philippi zurückkehre, kann ich noch nicht sagen. Aber versprechen kann ich euch, dass ich einen Brief an euch Christen in Philippi schicken werde, die ich so sehr in mein Herz geschlossen habe. Jedenfalls bleiben wir auf diese Weise weiter in Verbindung .

 

  1. Gesprächsanregungen
  • Paulus und sein Begleiter Silas haben auf unterschiedliche Weise das Interesse des Gefängnisaufsehers und seiner Frau geweckt. An was kannst du dich erinnern?
  • In dieser Geschichte lassen sich manche Eigenschaften des Paulus entdecken. Welche sind dir aufgefallen?
  • Nach dem Verlassen der Stadt haben Paulus und Silas sicherlich rückblickend über ihre Erlebnisse dort gesprochen. Was hat ihnen wohl Mut gemacht, auf ihrer Reise auch weitere Städte aufzusuchen, um auch dort das Evangelium zu verkündigen?

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