Wie Jesus als Kind gelebt hat

In den Evangelien erfahren wir nur sehr wenig über die Kindheit Jesu. Nach den Geburtsgeschichten und einem kurzen Blick auf den „zwölfjährigen Jesus im Tempel“ geht es gleich weiter mit dem erwachsenen Jesus, der von Johannes am Jordan getauft wird.

In der folgenden Erzählung sind historische Kenntnisse zum damaligen Leben in Palästina aufgenommen, und sie werden in erzählerischer Aufbereitung auf den kleinen Jesus bezogen – denn er war Kind wie die anderen Kinder und hat Erfahrungen gesammelt, die er mit seinen Zeitgenossen geteilt hat.

Die Erzählung bleibt bewusst sachlich. Vermutungen, ob und wie sich Jesu Besonderheit schon ein seiner Kindheit gezeigt haben könnte, bleiben ausgeblendet.

 

1. Am Morgen

Als Jesus am Morgen aufwacht, ist die Mutter in dem großen Wohnraum schon bei der Arbeit. Sie richtet in der Küchenecke die Feuerstelle her für das Brotbacken und füllt Schafmilch in einen Becher für das Frühstück der Kinder. Den Duft der frisch gebackenen Brotfladen mag Jesus gerne, und er freut sich schon auf das gemeinsame Essen. Deshalb weckt er gleich seine Geschwister, die neben ihm liegen und noch schlafen. Dann rollt er seine Schlafmatte zusammen und macht so Platz für das gemeinsame Frühstück.

Vorher aber geht er noch nach draußen. Vor der Tür auf dem kleinen Hof ist der Brunnen, in dem das Regenwasser gesammelt wird. An einer langen Schnur lässt Jesus einen Eimer aus Leder hinunter, lässt ihn ins Wasser einsinken und zieht ihn wieder gefüllt nach oben. Mit diesem Wasser wäscht er sich und hilft auch seinen jüngeren Geschwistern beim Waschen.
Zum Frühstück sitzen sie dann alle am Boden: die Mutter, die Kinder und auch der Vater. Der kommt aus der Werkstatt, wo er schon Holzbalken zurechtgesägt hat, die er heute noch für die Reparatur eines Hauses in der Nachbarschaft braucht.

Die Mutter hatte noch den Boden sauber gefegt. Dort, wo vorher noch die Schlafmatten waren, liegt jetzt ein großes Tuch, auf dem die Esssachen ausgebreitet sind: Fladenbrote, auch ein paar Oliven und Feigen und die Becher mit der Milch. Der Vater spricht den Morgensegen und das Tischgebet. Dann lassen es sich alle gut schmecken.

 

Anregung: Wir backen ein Fladenbrot

Dazu folgendes Rezept: Wir brauchen zwei Tassen Mehl, einen Teelöffel Salz, 50 ml Öl, eine halbe Tasse lauwarmes Wasser. Alle Zutaten werden zu einem festen Teig verarbeitet und kräftig geknetet. Mit ihm lassen sich zehn kleine Kugeln formen und zu dünnen Fladen ausdrücken. In einer sehr heißen Pfanne werden sie von beiden Seiten gebacken, bis sie braunfleckig werden. Sie sollten sofort gegessen werden, evtl. zusammen mit Feigen und Oliven. Dazu wird Wasser getrunken.

 

2. In der Schule

Nach dem Frühstück geht Jesus mit den älteren Geschwistern in die Schule. Das ist die Synagoge. Dort finden am wöchentlichen Feiertag, dem Sabbat (das ist der Samstag) die Gottesdienste statt, aber an den anderen Tagen der Woche ist dort auch Schulunterricht.
Der Rabbi (das ist der Leiter der Synagoge) begrüßt jedes Kind. Dann legt er seinen Gebetsschal um, und alle sprechen das Morgengebet. Sie danken Gott für den Schutz in der Nacht und bitten ihn, dass es ein guter Tag werden möge. Dann setzen sich alle an den Boden, und der Helfer des Rabbi beginnt mit dem Unterricht. Die Kinder wiederholen, was sie gestern gelernt haben. Dann kommt etwas, auf das sich Jesus schon freut: Alle stehen auf und gehen zu einem kostbar geschnitzten Schrank. Da steht schon der Rabbi, öffnet den Schrank und nimmt eine prächtig geschmückte Schriftrolle heraus, breitet sie vorsichtig auf dem großen Tisch in der Synagoge aus und liest aus ihr vor. Es sind Worte, die wir heutzutage auch in der Bibel lesen können. Er rollt sie dann wieder zusammen und legt sie wieder in den Schrank zurück. Gemeinsam wiederholen alle diese Worte solange, bis die Kinder sie auswendig aufsagen können. So geht das jeden Tag, immer wieder mit anderen Sätzen aus der Heiligen Schrift.

Jesus kennt schon viele dieser Geschichten, von Abraham und Sara, von Mose und von König David. Wenn sie wieder im Kreis am Boden sitzen, fragt der Lehrer immer wieder nach den Geschichten aus der Bibel. Er will auch wissen, ob alle die Gebote kennen und über die Feste Bescheid wissen. Jesus meldet sich fleißig und er stellt auch viele Fragen. Da wiegt der Lehrer oft den Kopf und sagt: „Das sind gute Fragen zum Nachdenken! Wir wollen ja nicht nur die Worte der Heiligen Schrift kennen, sondern auch, was sie für uns bedeuten!“

 

Anregung: Eine Schriftrolle gestalten

Mit zwei Holzstäbchen und einem aufgewickelten Papierstreifen lässt sich solch eine Schriftrolle nachbauen.

 

3. Am Nachmittag

Als Jesus und seine Geschwister nach Hause kommen, hat die Mutter das Mittagessen für die Kinder schon vorbereitet: es gibt wieder flache, gebackene Brotfladen, von denen man Stück um Stück abbricht. Aus einem Topf schöpft die Mutter Bohnengemüse auf die Teller. Dazu gibt es wieder ein paar Oliven und dann auch noch etwas Obst, Weintrauben oder auch Feigen, die im Garten hinter dem Haus wachsen, dazu Wasser das die Mutter von der Quelle mitten im Dorf geholt hat. Sie hat es dort in einen großen Tonkrug eingefüllt und ihn auf dem Kopf nach Hause getragen. Mit einem kleinen süßen Nachtisch beginnt der Nachmittag: Honig, vermischt mit süßem Dattelsirup auf ein Stück Brotfladen gestrichen. Das mag Jesus besonders gerne.

Jetzt ist Zeit zum Spielen. Die Kinder haben kleine Figuren aus gebranntem Ton, mit denen sie Geschichten legen. Jesus zieht sich bald mit seinen Brüdern zu einem Würfelspiel in eine Ecke zurück.
Heute kommt der Vater früh von der Arbeit. Er war schon vom Morgen an unterwegs zum Reparieren von Häusern. Aber her hat noch eine Reparatur vor sich, bei der er Jesus zum Helfen braucht. Gemeinsam gehen sie zu einem Haus in der Stadt, bei dem das Dach beschädigt ist. Die Häuser sehen aus wie große Würfel, viereckig und mt einem flachen Dach. Eine Treppe auf der Seite führt hinauf. Jesus hilft seinem Vater, dicke Äste hinauf zu tragen, mit denen er die Stelle ausbessert, an der der Boden nicht mehr fest genug ist. „So, jetzt können die Leute abends wieder auf ihrem Dach sitzen, wenn es in dem großen Zimmer noch zu heiß ist“, meint der Vater, als alles fertig ist.

 

Anregung: Wir bauen mit Bausteinen, Tüchern und anderen Figuren eine Stadtlandschaft.

Mit Bausteinen legen wir die würfelförmigen Häuser samt den Treppen an der Seite. Grün sind Gärten zwischen den Häusern, in denen Bohnen, Salat, Feigen, Oliven und Weintrauben wachsen, braun die Wege dazwischen und auch der Stadtplatz. An ihm steht die Synagoge, größer als die anderen Häuser, mit einem richtigen Dach und Mauerbögen geschmückt.

 

4. In der Nachbarstadt Sepphoris

Am nächsten Tag geht Jesus nicht in die Synagoge, sondern schon früh mit dem Vater in die Nachbarstadt Sepphoris. Am Eingang der Stadt stehen römische Soldaten als Wächter, mit Helm, Schild und Lanze. Jesus geht lieber nicht zu nahe zu ihnen hin, und auch der Vater meint: „Es ist auch besser, wir gehen ihnen aus dem Weg. Man weiß nie, wie sie gelaunt sind. Sie haben die Macht über uns“.

Dann sind sie schon in der Stadt, und Jesus staunt über die großen Häuser, viel größer als die in Nazareth, mit vielen Zimmern, prächtig geschmückten Türen und Fenstern. „In Sepphoris“ wohnen die reichen Leute“, sagt der Vater, „nur die können sich solche Häuser leisten. Sie stehen im Dienst der Römer und werden gut bezahlt“. Auch auf dem Markt der Stadt gibt es für Jesus viel Neues zu sehen und ganz andere Sachen zu kaufen, als Jesus es von zu Hause kennt: Kleider aus Seide, kostbare Gewürze wie Myrrhe und Balsam. Die riechen ganz wunderbar. Auch Teppiche gibt es da. Von zuhause kennt Jesus nur den fest gestampften Lehmfußboden. „Wo kommen denn all diese Sachen her?“ fragt Jesus.
Da sehen sie, wie sich gerade eine Kamelkarawane dem Stadttor nähert. „Die kommt aus Ägypten“, meint der Vater, „und bringt von dort all die kostbaren und teuren Sachen mit, die dann hier verkauft werden“.

Auf dem Rückweg muss Jesus noch viel über das nachdenken, was er in Sepphoris gesehen hat. Er muss an die vornehmen Menschen in ihren prächtigen Häusern denken, und dann auch an die armen Leute, die er in Nazareth kennt, die Kranken und Gebrechlichen, die nicht mehr arbeiten können und darum auch nichts verdienen. „Warum gibt es eigentlich arme und reiche Leute?“ fragt er den Vater nach einer Weile. „Warum wohnen die einen mit der ganzen Familie in nur einem Raum, und die anderen in schön geschmückten Häusern mit vielen Zimmern?“ Der Vater zuckt die Schultern. „So ist es wohl immer auf der Welt“, meint er nachdenklich. „Aber ist das gerecht?“ fragt Jesus zurück.

 

Gesprächsanregungen:

  • Als Jesus gelebt hat, war so vieles anders als heute. Was ist euch beim Erzählen aufgefallen?
  •  Kamen in der Geschichte auch Sachen vor, die es auch bei uns heute noch gibt?
  •  Worüber bist du froh, dass es heute anders ist?
  •  Was würdest du auch gerne mal erleben oder gar ausprobieren?
  •  Der Besuch in Sepphoris hat Jesus sehr zum Nachdenken gebracht. Wie ist das mit arm und reich und der Gerechtigkeit? Wie denkst du dazu?

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