Beten ist ein Sprechen zum großen Gegenüber, dem einen Gott, dem Ursprung und Ziel von allem, dem geheimnisvoll Jenseitigen, dem Unergründlichen. Das verbindet christliches Beten mit den monotheistischen Geschwisterreligionen. Das Gebetbuch des Judentums, die Sammlung der Psalmen, ist auch die elementare Gebetssammlung der Christen. Auch islamisches Beten lebt in dieser monotheistischen Gemeinsamkeit. Aber wer ist dieser Gott? Wie wird er für uns zugänglich? Wo und wie eröffnen sich uns Beziehungen zu ihm? Über diesen Fragen wird die monotheistische Gemeinsamkeit zugleich zur Vielfalt der religiösen Traditionen.

Christliches Beten geschieht im Namen Jesu Christi. In Jesu Reden rückt der unnahbare, über alle menschlichen Vorstellungen hinausweisende Gott erstaunlich nahe. „Abba, lieber Vater“, ganz im Sinne eines Kosenamens wie „Väterchen“ wird Gott von ihm genannt. Dieser Gott darf auch durch hartnäckiges, fast unverschämt wirkendes Beten bedrängt werden, wie es Jesus in einer kleinen Gleichnisgeschichte verdeutlicht hat (Lukas 11,5ff.). Zwischenmenschliche Näheerfahrungen rücken da in den Vordergrund und das Geborgensein in dieser Beziehung. In solchem Beten steckt nach Jesu Worten unglaubliche Kraft (Markus 11,23f.).

Mit Jesu Tod sind diese Näheerfahrungen nicht erloschen oder gar widerlegt. Im Auferstandenen und seiner Zusage an die Seinen lebt sie weiter. „Ich bin bei euch….“ Vorstellungen von Gott, die sich allen menschlichen Bildern entziehen, verschmelzen mit dem Christusbild, das die Worte und das Wirken Jesu in sich trägt. Unser Bild des im Gebet angesprochenen göttlichen Gegenübers darf die menschlichen Züge des Jesusgesichts tragen – auch wenn wir zugleich um das Geheimnis Gottes wissen, das sich allen menschlichen Vorstellungen entzieht.

Das göttliche Gegenüber ist der unfassbare Urgrund von allem, die Lebenskraft schlechthin, umschreibbar in abstrakten Begriffen wie der „Tiefe des Seins“ oder der „alles umfassenden Wirklichkeit“ – oder in Bildern, die aber nur unzulängliche und begrenzte Hilfen sind. Für die Beziehungserfahrungen im Gebet im christlichen Sinne ist zugleich wichtig, dass der in Jesus Christus uns nahe gerückte Gott im Gebet unser Gegenüber sein darf, ansprechbar, so wie wir es vom menschlichen Gegenüber in zwischenmenschlichen Beziehungserfahrungen gewohnt sind. Der unergründliche, in unseren Vorstellungen von Welt und Kosmos kaum unterzubringende Gott darf im Gebet zum Beziehungsgegenüber mit menschlichen Zügen werden.

Im Blick auf die Kinder heißt das: Auch wenn sie nach und nach Abschied nehmen von ihren menschenähnlichen ‚anthropomorphen‘ Gottesbildern, darf im Beziehungsgeschehen des Gebets dieses Gegenüber die für uns so wichtige menschliche Nähe behalten, so wie wir sie im Christusbild vor uns haben.

Christliches Beten ist auch ein Beten in der Kraft des Heiligen Geistes. Der Apostel schreibt: „Der Geist hilft unserer Schwachheit auf….“ Das heißt also: Der große Gott, den wir im Gebet ansprechen und der im Zeichen des auferstandenen Jesus Christus zu einem vorstellbaren Gegenüber geworden ist, hilft uns als Heiliger Geist, der in uns wirkt, auch zum rechten Beten. Gott selbst gibt unseren unvollkommenen Worten die Ausdruckskraft und Würde, die ihnen als Gebet zukommt. Rechtes Beten geschieht in solchem Sinne, indem es echt und ehrlich von innen heraus geschieht. In ihm darf es um alles gehen, das uns beschäftigt und bewegt. Es schließt auch unsere Unsicherheit, unsere Hemmungen und Zweifel ein. Beten heißt – in welcher Form auch immer – sein Herz vor Gott ausschütten, im Vertrauen darauf, dass er Richtiges und Gutes damit macht.

Wenn Beten das ist, was aus unserem Inneren heraus drängt und die Beziehung zum göttlichen Gegenüber sucht, muss es nicht auf unsere Sprache beschränkt sein. Es schließt alle unsere menschlichen Ausdrucksmöglichkeiten ein, die uns von Gott gegeben sind und in denen Gott in uns wirkt. Beten geschieht im Singen und Tanzen, im Reden und Schweigen. Wie sehr Bilder Gebete sein können, zeigt uns die ostkirchliche Ikonentradition (>Geschichte zum Ikonenmaler). Beten hat seinen Ort in der Besinnung auf uns selbst und andere die uns wichtig sind, im „stillen Kämmerlein“ und im gemeinschaftlichen Beten, in eigenen unbeholfenen Gebeten wie in der feierlichen, in Jahrtausenden gewachsenen Gebetssprache. Überall da, wo Gottes Geist in uns wirkt, öffnet sich das Tor zum Gebet.

Zurück zum theologisch-religionspädagogischen Stichwort GEBET