Situationen und Anlässe

 

  • Eltern fordern unter Berufung auf die Religionsfreiheit den Verzicht auf religiöse Beeinflussung
  • Eltern fordern umgekehrt von der Kita als Teil der Gemeinde das bewusste Werben für den christlichen Glauben
  • Die Mitarbeitenden reflektieren Ziele des religionspädagogischen Wirkens in der Kita

Informationen


Im Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland ist die Religionsfreiheit in Art. 4 Absatz 1-2 formuliert:
(1) Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich.“
(2) Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet.“
Die UN-Erklärung der Menschenrechte verankert diese Freiheit in Artikel 18:
Jeder Mensch hat Anspruch auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit; dieses Recht umfasst die Freiheit, seine Religion oder seine Überzeugung zu praktizieren und auch zu wechseln Dazu gehört die Freiheit, seine Religion oder seine Überzeugung allein oder in Gemeinschaft mit anderen in der Öffentlichkeit oder privat durch Lehre, Ausübung, Gottesdienst und Vollziehung eines Ritus zu bekunden.

Religionsfreiheit ist die Freiheit und das Recht, in religiösen Orientierungen dem eigenen Gewissen, der eigenen Überzeugung, der selbstbestimmten Zugehörigkeit zu einer oder auch keiner Religionsgemeinschaft zu folgen, ohne dabei mit Diskriminierung bzw. Nachteilen rechnen zu müssen. Dieses Recht ist zugleich die Pflicht, niemand zu religiösen Überzeugung zu nötigen oder gar zu zwingen, also die religiöse Gewissensfreiheit zu achten, d.h. das zu tun oder zu lassen, was dem Toleranzgebot entspricht.

Im Blick auf Kinder und Jugendliche ist dabei die gesetzlich geregelte Religionsmündigkeit von Bedeutung: In Deutschland ist sie im Gesetz über die religiöse Kindererziehung (1921) geregelt. Ab Vollendung des 10. Lebensjahres ist das Kind zu hören, wenn es in einem anderen Bekenntnis als bisher erzogen werden soll. Ab Vollendung des 12. Lebensjahres darf ein Kind nicht mehr gegen seinen Willen in einem anderen Bekenntnis als bisher erzogen werden. Ab Vollendung des 14. Lebensjahres wird in Deutschland eine uneingeschränkte Religionsmündigkeit erworben. Vor dem 10. Lebensjahr ist die Religionsfreiheit also uneingeschränkt dem Elternrecht zugeordnet. Bis dahin entscheiden die Erziehungsberechtigten über religiöse Zugehörigkeit und Beeinflussung ihrer Kinder.

Die gesetzlich garantierte Religionsfreiheit hat zwei Dimensionen: Das eine ist die negative Religionsfreiheit: Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich. Das andere ist die positive Religionsfreiheit: „Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet.“

Die negative Religionsfreiheit schützt die persönliche Freiheit der Gewissensentscheidung vor Einschränkung und Nötigung, die positive das Erscheinen und Praktizieren von Religion im öffentlichen Raum. Staatliche Gewalt verzichtet auf religiöse Direktiven, aber sie fördert zugleich das Erscheinungsbild religiöser Traditionen in der Gesellschaft, d.h. heutzutage das Bild ihrer Vielfalt. Sie ist sich insbesondere bewusst, dass ethischer Verantwortung der Bürgerinnen und Bürger durch die Gesetze zwar ein unverzichtbarer Rahmen gesetzt wird, zu deren Füllung aber die Religionen sehr viel beitragen.

All das hat erhebliche Auswirkungen auf den Bildungsbereich. Das Grundgesetz regelt beispielsweise den Religionsunterricht als ordentliches Lehrfach an öffentlichen Schulen, übergibt aber die inhaltliche Verantwortung den Religionsgemeinschaften. In deren Verantwortung liegt es, in konfessionell einheitlichen Gruppen zu unterrichten oder Kooperationen zu entwickeln, in denen verschiedene Religionsgemeinschaften gemeinsam die inhaltliche Verantwortung für den Unterricht ausüben. Unberührt davon ist die Gewissensfreiheit der Religionsmündigen bzw. der Erziehungsberechtigten, ihre Kinder vom Religionsunterricht abzumelden. Andere Entwicklungen gehen in Richtung auch einer inhaltlichen staatlichen Verankerung in einer Religionskunde für alle, die aber alles zu vermeiden hat, was als eine Beeinträchtigung der Religionsfreiheit anzusehen ist.

 

Ergänzendes: Der lange Weg zur Religionsfreiheit


Es dauerte viele Jahrhunderte bis zur Verankerung der Religionsfreiheit in der Erklärung der Menschenrechte und in den Verfassungen der Länder.
Durch das Mittelalter hindurch war der christliche Glaube in den westlichen Ländern Staatsreligion, die im Zusammenwirken von staatlicher und kirchlicher Gewalt gesichert wurde. Wer die kirchlichen Lehren in Frage stellte, musste mit Ketzerprozessen rechnen, die vielfach in Todesurteile mündeten. Duldung jüdischer Mitbürger unterlagen Sonderregelungen, die oft genug widerrufen wurden. Christliche Splittergruppen abseits der kirchlichen Lehren konnten ihre Religiosität nur im Geheimen praktizieren und mussten mit Verfolgung rechnen.

Mit der Reformation kam das Ende der christlichen Einheitsreligion, die Zeit der christlichen Konfessionen begann. Aber die Bestimmung der konfessionellen Zugehörigkeit lag weiter bei der staatlichen Obrigkeit: ‚Cuius regio, eius religio‘ – wer herrschte, legte auch die Konfession seiner Untertanen fest. Wer sich in seinem Gewissen anders gebunden fühlte, musste das Land verlassen oder mit schweren Benachteiligungen rechnen. Das war ein dunkler Schatten über der von Luther propagierten ‚Freiheit eines Christenmenschen‘. Erst mit der Aufklärung im 18. Jahrhundert samt ihrer Religionskritik hielt die Religionsfreiheit - als das Recht auf die persönliche Bestimmung der eigenen religiösen Orientierung - Einzug in das gesellschaftliche und auch politische Denken und Handeln.

Es ging in dessen weiterem Verlauf dann vielfach nicht mehr nur um Duldung nicht staatskonformer Religiosität, sondern um die konsequente Trennung von Kirche und Staat hin zum religionsneutralen Staat, wie er besonders in Frankreich Gestalt gewonnen hat. Diese Trennung bedeutet: Nur wenn sich der Staat konsequent religiöser Einflussnahme enthält, sei die Religionsfreiheit als Freiheit der individuellen Gewissensbindung garantiert. Das setzte allerdings die oft genug zu beobachtende folgende Entwicklung in Gang, nämlich die Privatisierung von Religion mit Bemühungen um ihre Verbannung aus dem öffentlichen Raum. Das wird vor allem von Gegnern der überlieferten Religionen propagiert und eingefordert. Der Bogen spannt sich von der Kritik an der Unterstützung kirchlicher Aktivitäten mit Steuergeldern (z.B. Finanzzuschüssen zu Kirchentagen, Mitfinanzierung von Kitas in kirchlicher Trägerschaft usw.) bis hin zum geforderten „Kruzifixverbot“ in öffentlichen Räumen, d.h. das Entfernen aller religiösen Symbole aus ihnen.

Viele Einrichtungen in nichtkonfessioneller Trägerschaft folgen diesem Verständnis von Religionsfreiheit und lehnen jegliche religiöse Inhalte in der Kita ab.
Die negative Religionsfreiheit dominiert, die positive spielt so gut wie keine Rolle mehr. Hier gilt es im Verständnis von Religionsfreiheit einiges zurechtzurücken.

 

Religionspädagogische Bezüge im Blick auf die Kita

Auch die Kita ist öffentlicher Bildungsraum, der religiöse Bildung einschließt. Wenig sinnvoll erscheint es aus rechtlichen wie auch pädagogischen Gründen alles zu vermeiden, was als religiöse Beeinflussung angesehen werden könnte. Das wäre die Reduktion religiöser Bildung auf religiös neutrale Informationen, und das widerspricht den Bildungsprinzipien im Elementarbereich. So liegt es nahe, im Sinne der positiven Religionsfreiheit religiöse Vielfalt lebendig werden zu lassen. Kindern soll authentisch gelebte Religiosität in unterschiedlicher Weise zugänglich werden. Dabei ist darauf zu achten, dass Bedrängung ausgeschlossen wird. Das kann so geschehen, indem immer wieder Repräsentanten unterschiedlicher religiöser Traditionen ihre religiöse Position anschaulich zeigen, sich so in ein Miteinander der Verschiedenen einbringen.

Kitas in konfessioneller Trägerschaft bieten weithin eine besondere Kompetenz für solche Anschaulichkeit in der eigenen Tradition. Religionsfreiheit wird hier auf zweierlei Weise gewahrt: zum einen, indem Eltern frei entscheiden können, in welcher Kita sie ihr Kind anmelden und damit bei einem kirchlichen Träger damit einverstanden sind, dass die entsprechende religionspädagogische Konzeption ins Spiel kommt. Zum anderen, indem auch in der kirchlichen Kita die religiöse Vielfalt anschaulich wird.

Achtung der Religionsfreiheit führt pädagogisch zur Aufgabe, Kindern Religion als etwas anschaulich zugänglich zu machen, das persönliche Zugehörigkeit und Entscheidungen einschließt. Kinder sollen ihren Weg der religiösen Bildung als den Weg zu ihrer eigenen Religionsmündigkeit erfahren und gehen können. Zum gemeinschaftlichen Mitmachen bei religiösen Angeboten gehört es deshalb auch, zum eigenständigen Urteilen, zu eigenen Ideen, Meinungen, Überzeugungen angeregt zu werden, was besonders gut im >> Theologisieren geschehen kann.

Religiöse Bildung im Sinne der Religionsfreiheit ist so Einübung in religiöse Toleranz. Auch bei diesem Begriff ist eine Differenzierung wichtig:
Passive Toleranz bedeutet, den anderen sein zu lassen, wie er ist, ihm auch nicht zuzumuten, was einen selbst oder ihn stören und herausfordern könnte. So verstandene Religionsfreiheit zielt auf ein bloßes Nebeneinander der religiös Verschiedenen, die sich jeweils in ihr eigenes Privates zurückziehen.
Aktive Toleranz dagegen bedeutet, sich auf andersartige, auch widersprüchliche religiöse Einstellungen einzulassen, sich anderen Ansichten zu stellen, den Argumenten zu folgen. Dazu gehört auch, deutlich zu machen, wo die Differenzen zur eigenen Position liegen: „Ich habe da einen anderen Erfahrungshintergrund, einen anderen Zugang usw.“. Aktive Toleranz verlangt die Bereitschaft, Widersprüche auszuhalten, Meinungen anderer zu respektieren, Offenheit für verschiedene Denkweisen – und das auf beiden Seiten.

Aktive Toleranz braucht Pflege und Schutz:

  • Religionsfreiheit erfordert eine Haltung, die dem Gegenüber das zugesteht, was man für sich selbst in Anspruch nimmt, nämlich Respekt und Achtung des eigenen Verständnisses von verpflichtender religiöser Wahrheit. Religionsfreiheit braucht deshalb den Schutz vor fanatischen fundamentalistischen religiösen Haltungen, die dies nicht leisten.
  • Religionsfreiheit kann mit anderen Grundrechten in Konflikt geraten und muss sich in solchen Fällen auch Einschränkungen gefallen lassen. Juristische Klärungen können bis vor die Verfassungsgerichte führen. Das betrifft z.B. das Recht auf Unversehrtheit der Person (vgl. dazu die Diskussion um die Beschneidung von Jungen) oder das Recht auf Gleichstellung von Mann und Frau (z.B. Nichtanerkennung der Autorität von Erzieherinnen, für die religiöse Traditionen geltend gemacht werden). Religiöse Vorschriften beim rituellen Schlachten von Tieren (Schächten) müssen mit den Tierschutzgesetzen sorgfältig abgeklärt werden.

Das Abwägen unterschiedlicher Rechtsansprüche reicht bis in die konkreten Entscheidungen in der Kita hinein. Dazu einige Fallbeispiele:

  • Gemeinsam arbeiten die Kinder an der Weihnachtskrippe, schmücken sie mit all den Dingen, die sie in letzter Zeit gesammelt haben. Dabei summen und singen sie Advents- und Weihnachtslieder. Ein muslimischer Vater kommt hinzu, stutzt, holt sein Kind aus der Gruppe und verlässt abrupt die Einrichtung. Tags darauf meldet er es aus der Einrichtung ab: Er könne es nicht zulassen, dass sein Kind in christliche Festvorbereitungen einbezogen wird. Die Leiterin sucht mit ihm das Gespräch, um mögliche Missverständnisse zu klären. Was wäre Ihnen für solch eine Klärung wichtig?
  • In einer Einrichtung wird eine Tauferinnerungsfeier geplant. Mit Recht steht sogleich die Frage an, was mit denen geschehen soll, die nicht getauft sind. Die einen melden große Bedenken an und schlagen vor, um ihretwillen auf solch eine Feier zu verzichten. Andere meinen, es könnte doch gerade hier als ein Stück Normalität erlebt werden, dass die einen getauft sind und die anderen nicht? Am Bewusstwerden der Unterschiede könnte das Vermeiden von Diskriminierung und Benachteiligung gezielt eingeübt werden. Aber was kann man mit den Nichtgetauften machen, damit sie sich auch zugehörig fühlen können?
  • Ein Vater (Zeuge Jehovas) untersagt Ihnen, den Geburtstag seines Kindes zu feiern. Isolde soll aber bei den Geburtstagsfeiern der anderen mit dabei sein – darf aber nichts geschenkt bekommen, mitessen usw. Isolde soll lernen zu verzichten – so der Vater. Wie reagieren Sie?

 

Religionsfreiheit ist vielschichtig. Sie setzt Maßstäbe für die pädagogische Arbeit in der Kita und betrifft alle Beteiligten.

Das Recht auf Religionsfreiheit gilt den Erziehenden: Im Sinne der positiven Religionsfreiheit darf ein kirchlicher Träger die Übereinstimmung der Mitarbeitenden mit seiner religiösen Orientierung verlangen. Das wird evangelischerseits mit der sog. „AcK-Klausel“ praktiziert, wonach Bewerberinnen und Bewerber für die Anstellung in der kirchlichen Kita die Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft nachweisen müssen, die in der Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen vertreten ist. Träger können auch die Bereitschaft zur Mitarbeit im Rahmen der religionspädagogischen Konzeption einfordern.

Auf der Ebene der persönlichen religiösen Haltung gilt es freilich zugleich im Sinne der negativen Religionsfreiheit, innerhalb des Rahmens der Konzeption der Eigenständigkeit jeder Person auch in religiösen Fragen Raum zu geben. Meinungsverschiedenheiten zu Glaubensfragen zeigen im Sinne der aktiven Toleranz Diskussionsbedarf an und sollen Anlass für offene und vertrauensvolle Gesprächsrunden sein. In ihnen gilt es auch, vorhandene Distanz zu bestimmten religionspädagogischen Aufgaben zu respektieren und gemeinsam zu überlegen, wie alle Mitarbeitenden mit ihren je individuellen religiösen Biografien die ihnen angemessenen Zugänge zu den religionspädagogischen Aufgaben finden können.

Das religionspädagogische Bildungsziel ist die Förderung des je eigenen Glaubens der Kinder. In Gesprächsrunden lernen sie, wie der Respekt vor ihren eigenen religiösen Gedanken sie in ihrer Meinungsfreiheit und in ihrem Selbstbewusstsein stärkt. Religiöse Vollzüge werden nicht angeordnet, sondern zu ihnen wird eingeladen mit der Möglichkeit, auch angemessenes Verhalten bei persönlicher Ablehnung zu bedenken („Wer nicht mitbeten kann oder will, braucht nicht die Hände zu falten, aber so, dass die anderen nicht gestört werden“). Religiöse Differenzen zwischen Elternhaus und Kita dürfen die Kinder nicht in überfordernde Entscheidungszwänge treiben (Wer hat Recht, die Eltern oder die Kita-Mitarbeitenden?), sondern Zugänge zur Erfahrung religiöser Vielfalt eröffnen. Mit solchen Erfahrungen sollen die Kinder in der Balance von eigener Position und dem Respekt anderen gegenüber Kinder gut ihren eigenen Weg finden können.

Eltern werden in ihrem Elternrecht auf Religionsfreiheit respektiert, indem religionspädagogische Vorhaben mit größtmöglicher Transparenz durchgeführt werden. Es beginnt beim Aufnahmegespräch, in dem die religionspädagogische Konzeption vorgestellt, mögliche Widerstände und ‚Schmerzpunkte‘ der Eltern sorgfältig geklärt werden. Wo können Vorurteile ausgeräumt werden? Wo wird den Eltern ein spannungsfreies Kennenlernen der religiösen Praxis in der Kita ermöglicht? Welche Brücken können ihnen bei bestehenden Vorbehalten gebaut werden? Wo gilt es klare Grenzen zu benennen, die von der religionspädagogischen Konzeption her gegeben sind? So können beispielsweise in einer situationsorientierten alltäglichen religionspädagogischen Praxis wie z.B. Ritualen im Morgenkreis Kinder religionskritischer Eltern nicht von Religiösem ferngehalten werden. Bei besonderen Projekten wie z.B. der Mitgestaltung des Familiengottesdienstes zum Erntedankfest kann eher eine Rückzugsmöglichkeit bedacht werden.

 

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