(Vortrag am 21. September 2012 in Villigst)

„Aufwachsen in schwieriger Zeit“ war das Leitthema der EKD-Synode 1998 in Halle, in der es auch darum ging, mit welchen Herausforderungen Kinder heutzutage zurecht kommen müssen: mit Umweltgefahren, bedrohten Elternbeziehungen, mit mangelnder Elternkompe-tenz, Arbeitslosigkeit in der Familie, Armut, geringen Bildungschancen und anderem mehr.
Daraus ergibt sich die Frage: Was macht Kinder stark, damit sie den Risiken zum Trotz ihren Weg finden und gehen können? „Lass dir nichts gefallen“, sagen manche Eltern, suche deinen Vorteil ohne Rücksicht auf mögliche Konkurrenten!“ Andere meinen, ihr Kind so gut wie möglich vor Belastungen schützen zu müssen, ihnen notvolle Erfahrungen zu ersparen. Oder es regiert die Hilflosigkeit, angesichts aussichtslos erscheinender Lebensbedingungen gefähr-deter Kinder nachhaltig etwas verändern zu können.

„Was macht Kinder stark“ ist die Leitfrage der sog. Resilienzforschung. Resilienz meint psy-chische Elastizität, mit der Stress gut verarbeitet werden kann. Es geht um Widerstandskraft und Ressourcen, mit denen Belastendes produktiv verarbeitet wird. Die Resilienzforschung verfolgt statt einem defizitorientierten einen ressourcenorientierten Ansatz. Sie fragt nicht primär danach, was Kindern zu einem gelingenden Leben fehlt, sondern welche Fähigkeiten, Stärken und Potentiale sie mitbringen.

In diesem Vortrag möchte ich einen Bogen von psychologischen Erkenntnissen zu religions-pädagogischen Konsequenzen spannen: Was können die Schätze der biblisch-christlichen Überlieferungen zum Stark-Werden der Kinder mit beitragen? Worauf gilt es in dieser Sicht besonders zu achten? Wo gilt es hier die religionspädagogischen Akzente zu setzen?

 

Übersicht:

• Eine Orientierung an der Resilienztheorie zeigt den Zusammenhang von Risiko- Schutz- und Resilienzfaktoren auf, den es religionspädagogisch aufzunehmen gilt.
• In frühen verlässlichen Bindungen, die in den frühen Sprachen der Sinne ihren Aus-druck finden, liegen auch elementare Wurzeln der Gottesbeziehung.
• Bindungserfahrungen und Schutzfaktoren müssen sich in Herausforderungen bewäh-ren können. Den dabei wirksamen Zeichen des Vertrauens entspricht in christlichen Zusammenhängen der Schatz an lebensbegleitenden Symbolen, Ritualen und Ge-schichten.
• Zu den Schutz- bzw. Resilienzfaktoren wird auch ein durch klare Regeln und Grenzen geordnetes, überschaubares, sicheres Miteinander gezählt. Mit den Fragen nach „gu-ter Autorität“ kommt auch die Autorität Gottes in den Blick.
• Im Erleben von Selbstwirksamkeit werden Kinder stark. Sie werden sich ihrer Fähig-keiten bewusst, Herausforderungen zu bewältigen. So gilt es auch in Glaubensbezügen die Eigenständigkeit der Kinder zu fördern.
• Kinder brauchen auch starke Begleiter: Eltern und Großeltern, Erzieherinnen und Er-zieher, Geschwister, Freundinnen und Freunde, an und mit denen sie selbst stark wer-den können.

 

1. Orientierung an der Resilienztheorie: von Risiko- Schutz- und Resilienzfaktoren

 

Während das Erforschen und Beschreiben von Risikofaktoren in der Entwicklung der Kinder den Blick darauf richtet, was das Aufwachsen für sie schwierig macht, an was sie zu scheitern drohen, setzt die Resilienzforschung bei den sog. „invulnerablen“ Kindern an, die unerwartet erstaunlich gut mit widrigen Umständen zurecht kommen. Was ist ihr Geheimnis? Was lässt sich mit dem Erkennen ihrer besonderen individuellen Stärken Grundsätzliches über Ressour-cen sagen, die alle Kinder in sich tragen und die es zu fördern gilt?

Die Differenzierung in Risiko-, Schutz- und Resilienzfaktoren führt hier weiter:
Risikofaktoren liegen in der individuellen Ausstattung (vom Erbgut bis zu Krankheitsverläu-fen), in ungünstigen sozialen Verhältnissen (Trennungserfahrungen u.a.), in ökonomischen Gegebenheiten (Armut).
Schutzfaktoren sind die Gegenseite davon (Intelligenz, Empathie, sichere Beziehungen usw.). Wesentlicher Schutzfaktor ist es, mindestens eine stabile Bezugsperson zu haben.
Schutzfaktoren müssen sich in der Bewältigung risikohafter Situationen bewähren, um zu Resilienzfaktoren werden zu können. Wie das geschieht, dazu gibt es v.a. Vermutungen:
Risikofaktoren fordern die Schutzfaktoren heraus, aktivieren ihre Wirksamkeit. Oder puffern sie die Risikofaktoren so ab, dass sie im subjektiven Empfinden bewältigbar erscheinen? Mo-derieren sie die Risikofaktoren? In all dem gilt: Es geht um eine produktive Balance von Risi-ko- und Schutzfaktoren. Welche Balance einen Menschen wirklich weiter bringt, bleibt wohl das Geheimnis jedes einzelnen.

Pädagogisch aber gilt:
• Schutzfaktoren gilt es zu fördern.
• Herausfordernden Bewährungssituationen gilt es nicht auszuweichen, sondern mit ho-her Sensibilität für die individuelle Eigenart des Kindes zu begleiten.
• Resilienzfaktoren erwerben sich die Kinder selbst, auch darin sind sie die „Autoren ih-rer eigenen Biografie“.

Beispiele für Schutzfaktoren:

  • Individuelle Ausstattung: positive Temperamentsausstattung
  • soziale Ressourcen: mindestens eine stabile Bezugsperson
  • Resilienzfaktoren: positives Selbstkonzept
  • Selbstwirksamkeitsüberzeugungen
  • Problemlösefähigkeiten
  • Zuversichtliche Lebenseinstellung
  • Religiöser Glaube / Spiritualität
  • Was kennzeichnet christlichen Glauben?
  • In psychologischer Sicht wird auch Spiritualität zu den Schutz- und Resilienzfaktoren ge-zählt. Das gilt es religionspädagogisch weiter zu verfolgen.

In theologischer Sicht gilt: Die im Glauben erfahrene und gelebte Gottesbeziehung ist ein Geschenk, nicht etwas von uns Gemachtes. Das schließt aber durchaus die Möglichkeit und Aufgabe ein, dieses Geschenk in pädagogischen Bezügen in seiner Wirksamkeit zu fördern. Ob und wie Glaube resilienzfördernd wirkt, bleibt das Geheimnis jedes Menschen und seiner Gottesbeziehung. Auch im Glauben bleibt der Mensch Subjekt seiner eigenen Lebensgeschichte.

Unter solchen Voraussetzungen lassen sich reichhaltige Analogien zwischen menschlichem Beziehungsgeschehen und der Gottesbeziehung, zwischen sichtbarem und unsichtbarem Ge-genüber wahrnehmen und bedenken. Es geht darum, wie Gottesbeziehung Schutz und Sicher-heit gibt, wie sie dazu auffordert, mit Zweifeln zurecht zu kommen, sich auch in Belastungen als tragfähig erweist, und wie sie in der je persönlichen Biografie einen Platz gewinnt. Den können wir freilich nicht bewirken, zu dem können wir aber pädagogisch manches beitragen.

 

Religionspädagogische Aufgabe ist es damit,
• von den menschlichen Beziehungs- und Bindungserfahrungen aus Zugänge zu einem umfassenden Gebundensein in der Gottesbeziehung zu eröffnen,
• mit den Kindern den Weg ihrer Gottesvorstellungen von menschenähnlichen Gottes-bildern zu einem „Du“ jenseits konkreter Vorstellungen zu gehen
• den Reichtum an anschaulichen Wegbegleitern des Glaubens in Geschichten und Ge-bete, Festen und Ritualen, Bildern und Liedern u.a. zu erschließen
• in all dem darauf zu achten, dass und wie Glaube Kinder stark machen kann.

Damit ist der Weg vorgezeichnet: von der Frage „Was macht Kinder stark, resilient?“ zu der Frage: „Wie können Religiosität, Erfahrungen des Glaubens Kinder stark machen?“


3. In frühen Bindungserfahrungen gewinnt auch Glaube erste Gestalt

 

Kinder brauchen sichere Bindungen. In frühen Bindungserfahrungen wächst ihr Vertrauen in die Welt. Solche Bindung gedeiht in der emotional dichten Kommunikation, in den „Sprachen der Sinne“. Diese Kommunikation ist genetisch angelegt, braucht aber Zeit und Raum, Sensi-bilität und Achtsamkeit, um so in den Kindern Bindungssicherheit zu wecken, mit der sie stark werden können.
Diese Sprachen der Sinne sind zugleich elementare ‚Sprachen’ des Glaubens. Was sich impli-zit im Bindungsgeschehen ereignet, lässt sich dann später explizit auf das Verhältnis zu Gott beziehen. So kann schon in den frühen Sprachen der Sinne und des Glaubens Religion Kinder stark machen. Und umgekehrt sollte die explizite, verbale Sprache des Glaubens nie den Be-zug zu ihren impliziten Wurzeln verlieren.

Hören: Am Anfang stehen nicht die Sprachinhalte, sondern es ist der emotional reiche Klang der Stimme mit ihren Botschaften der Zuneigung und Liebe. Singen und Lachen, Summen und Gurren, das Spiel mit Vokalen und Silben ist es, das dem Säugling seine Antworten ent-lockt: im Quietschen und Blubbern, Lallen und Lachen – all das ist der Anfang auch der sprachlichen Kommunikation.
Später sind es die Liedmelodien, welche die sprachliche Kommunikation gleichsam auf ihrem Rücken tragen. So sucht auch die Gottesbeziehung ihren Ausdruck im Singen und Klingen, knüpft so an frühe akustische Kommunikation an und führt sie in den musikalischen Glau-bensüberlieferungen weiter.

Schmecken und Riechen: Im Genährt-Werden erlebt das Kind Lebenspendendes. Es ist viel mehr als Nahrungsaufnahme, sondern die Vergewisserung, in Beziehung leben zu können. Auch später ist beim Essen und Trinken wichtig, mit wem zusammen es geschieht, wer dazu geladen ist.
In religiösen Traditionen ist gemeinsames Essen und Trinken tief verankert. Jesu Verkündi-gung war verbunden mit praktizierter Tischgemeinschaft. Zur Kirche mit Kindern gehört ge-meinsames Essen und Trinken dazu, gemäß dem Psalmwort: „Schmeckt und seht, wie freund-lich der Herr ist!“ (Psalm 34,9).

Tasten und Spüren: Körpererfahrungen wirken intensiv, das kleine Kind lebt in und mit ihnen. Sie verbürgen Sicherheit und schützende Nähe. Behutsame Berührungen sind Wegbe-gleiter. Vom Streicheln und Kitzeln hin zu Fingerspielen und Kniereitern entfaltet sich eine reiche taktile Sprache des Verbundenseins. Im Über-den-Kopf-Streichen des „Wuschelse-gens“ (H.Rupp) beim Verabschieden schwingt das „Adieu = Mit Gott“ mit. So leben Segens-zusagen in körperlichen Gesten und tragen so auch den Taufsegen ins Leben hinein.

Sehen: Im liebevoll zugewandten Gesicht entdeckt das Kind eine vertrauensvolle Welt. Auch in der Zuwendung zu den Dingen schafft der Blickkontakt zur Bezugsperson immer wieder Orientierung und Sicherheit. Später malen die Kinder ihre Gottesbilder mit ausdrucksvollen Gesichtern und erläutern so gewissermaßen den aaronitischen Segen: „Der Herr segne dich und behüte dich. Der Herr lassen sein Angesicht leuchten über dir und sei dir gnädig. Der Herr erhebe sein Angesicht auf dich und gebe dir Frieden!“.

Damit Glaube Kinder stark machen kann, brauchen die frühen Sprachen der Sinne Beachtung und Aufmerksamkeit, genauso wie der weitere Weg, auf dem in diesen Sprachen dann das unsichtbare Gegenüber ‚Gott’ auch explizit Gestalt gewinnt.


4. Herausforderungen und Bewältigungen: Übergangsobjekte als Vertrauenszeichen

 

Sichere Bindung erweist sich, wenn das Kind zeitweilige Abwesenheit der primären Bezugs-person gut ertragen kann. Verlässlichkeit bleibt dann auch über die Brücke der Abwesenheit hinweg bestehen – und so wird (in der Sprache der Resilienztheorie) der Schutzfaktor ‚stabile Beziehung’ zum Resilienzfaktor.
Die psychologische Theorie der sog. Übergangsobjekte (D.Winnicott) zeigt uns, wie Abwe-senheit bestimmter Bindungspersonen und damit verbundener Schmerz durch begleitende Gegenstände gelindert werden kann. Sie repräsentieren die vermisste Person samt der Verge-wisserung ihrer Wiederkehr. Sie sind wichtige Stationen auf dem Übergang zu einer umfas-senden Verinnerlichung dieser Verlässlichkeit. Auch später noch empfinden wir erinnernde Zeichen und Symbole als hilfreich: in Gegenständen, mit denen wir viel verbinden, in Bil-dern, Geschichten, guten Worten etc.
Dass die Gottesbeziehung in ihrer Unsichtbarkeit den Weg zur inneren Gewissheit der Nähe Gottes vor besondere Herausforderungen stellt, leuchtet da sicherlich ein. Und so gehört zu jeder Religion ein Schatz an vergewissernden, begleitenden Glaubenszeichen. Er zeichnet auch die christlichen Glaubensüberlieferungen aus.

3.1. Segenszeichen
Segenszeichen und –worte wirken nicht aus sich selbst heraus, sondern aus Erfahrungen der Verlässlichkeit, für die sie stehen, d.h. aus Erfahrungen, die in herausfordernden Situationen gewonnen wurden. So leben biblische Segensworte aus der sich stets erneuernden Kette von Verheißung, entbehrungsreicher Erwartung und Erfüllung. Mit ihnen treten wir in diese ge-schichtliche Erfahrungskette ein, damit sie sich auch bei uns angesichts von Herausforderun-gen und Krisen bewähren möge. Segnende Zusagen von Gottes Schutz beziehen sich nicht auf Schutz vor, sondern in Gefahren, Belastungen, Bedrohlichem.

In Gottesdiensten mit Kindern gehört vielfach zum Segenwort das erinnernde „Mitgebsel“. Es transportiert Segen nicht aus sich selbst heraus. Er bleibt vielmehr gebunden an die Situation seiner Einführung und so an die „Verheißungskette“, die Mut macht, Zuversicht stärkt und Kraft gibt, anstehende Herausforderungen anzunehmen.
Religionspädagogisch gilt es also besonders auf diese Verbindungen zu achten.

 

3.2. Gebet
Die Glaubensbeziehung geht dem Glaubenswissen voraus. Die elementarsten Worte der Got-tesbeziehung sind die des Gebets. Die wohl größte Herausforderungen in der Gebetserziehung ist der Umgang mit den unerfüllt gebliebenen Gebetswünschen.
Die Religionspsychologen Oser und Gmünder haben hier verschiedene Entwicklungsstufen identifiziert: Dem ungebrochenen Rechnen mit Gottes wirksamer Allmacht beim kleinen Kind folgt das Verhandeln, bei dem Gott für zu erfüllende Gebetswünsche Gegenleistungen angeboten werden. Im beginnenden Jugendalter bricht das Vertrauen auf Gottes allmächtiges Eingreifen in sich zusammen. Es bleibt zu hoffen, dass danach ein Verständnis des Betens zum Wirken kommt, bei dem Gottes Beistand und Hilfe in den selbst und mit eigener Kraft zu bewältigenden Aufgaben erbeten wird. In solch einem Entwicklungsverlauf gilt es in pädago-gischer Sicht Kinder in ihren Enttäuschungserfahrungen sensibel zu begleiten, nicht mit Er-klärungen und Begründungen, sondern mit dem Festhalten an der Gottesbeziehung in einem „Dennoch“, so wie es besonders in den alttestamentlichen Klagepsalmen aus der artikulierten Klage herausführt: „Dennoch bleibe ich stets bei dir, denn du hältst mich bei meiner rechten Hand“ (Psalm 73,23).
Zur Resilienzfähigkeit trägt so die Möglichkeit des Klagens, des sich bei Gott Beschwerens viel bei, mit dem durch die herausfordernden Enttäuschungen hindurch die Beziehung leben-dig und wirksam bleiben kann.

3.3. Geschichten
Als resilienzfördernd werden Märchen beschrieben, sofern sie davon erzählen, wie sich – oft magische – Schutzfaktoren (z.B. eine goldene Feder, Zauberworte etc.) in risikoreichen Un-ternehmungen bewähren. Bruno Bettelheim („Kinder brauchen Märchen“) sieht sie als innere Kräfte, die mit der Bewährung in Schwierigkeiten Gefühle der Selbstwirksamkeit bestärken können.
Entsprechendes gilt auch für biblische Geschichten im Blick auf Zuversicht und Stärke, die aus der Gottesbeziehung erwachsen. Abraham und Mose, Josua und David gehen mit Zusagen und Verheißungen auf große Aufgaben zu, wachsen in ihnen zu Repräsentanten des Glaubens heran. Neutestamentliche Heilungsgeschichten verfehlen ihr Ziel, wenn sie sich auf einen medizinischen Vorgang am Kranken beschränken. Sie erzählen vielmehr von Menschen, die in ihrer Not die Hoffnung nicht aufgegeben haben. Sie erlebten ihre Heilung als einen Neube-ginn, der sie in ihrer ganzen Person veränderte und sie ermutigte, neu Verantwortung für ihr Leben zu übernehmen. Damit wird er auch allen anderen zum Hoffnungszeichen, dass solcher Neubeginn im Glauben möglich ist - in den großen wie kleinen Heilungen, die Menschen ver-ändern können. Mit dem Hören solcher biblischen Erzählungen werden die Kinder selbst Teil der Segenstradition von Zuspruch, Herausforderung, Bewährung und neuem Zuspruch und Herausforderungen. Sie treten da, wo sie sich selbst in der Geschichte wieder finden, in diese erzählten Segenskreise ein.

3.4. Dank und Freude
Durchgestandene Belastungsproben wecken Dank und Freude, wie sie oft in „Flow-Gefühlen“ beschrieben werden. Da haben überschwängliche Lob- und Danklieder und –gebete (z.B. „ich werfe meine Freude wie Vögel an den Himmel…“) ihren Ort. So finden die Gefühle des Ver-bundenseins mit allem, das sich In-Eins-Fühlen mit der Welt, die zu den Resilienzfaktoren gezählt werden, ihren für die Gottesbeziehung angemessenen Ausdruck.


4. Gute Erfahrungen mit Autorität als Schutz- und Resilienzfaktor: Was ist autoritativ?

 

Zu den Schutz- und Resilienzfaktoren gehören auch…

• Klare, transparente Regeln
• Wertschätzendes Klima
• Positive Verstärkung der Leistungen und Anstrengungen
• Zusammenhalt in der Gruppe / Gemeinschaft
• Modellverhalten wichtiger Bezugspersonen
• Verantwortungsbewusstsein
• Bereitschaft, andere in Notsituationen wahrzunehmen und ihnen zu helfen

Resilienzfördernd ist damit auch, sich auf überschaubare Herausforderungen einlassen zu können, dabei auf die Erfahrungen empfangener Wertschätzung zurückzugreifen, Bilder des Gelingens vor Augen zu haben, sich von ihnen auch über Schwierigkeiten hinweg ermutigen zu lassen, sich über das Gelingen freuen zu können.

Inwiefern ist dies auch für die Gottesbeziehung relevant?

Zunächst ist festzuhalten, dass autoritäre, in ihren Forderungen Angst machende Beziehungen und auch entsprechende Gottesbilder zu den Risikofaktoren gehören.

  • Eine andere, in persönliche Verantwortung rufende Sichtweise ergibt sich schon beim Dekalog 2. Mose 20)
  • Er beginnt mit der Erinnerung an das Geschenk der Freiheit
  • Er benennt all das, was zu schützen ist, damit Leben und Zusammenleben gelingt (Zeit, Zusammenleben der Generationen, Leben, Zusammenleben von  
  •   Mann und Frau, für das Leben notwendiges Eigentum, Glaubwürdigkeit, Ressourcen für die Zukunft)
  • Er nimmt Gottes Autorität für ein Rahmenkonzept des gemeinsamen Lebens in An-spruch. Es ist ein Konzept, das viel Raum gibt für persönliche Verantwortung und Freiheit im Suchen und Finden von situations-angemessenen Regeln und Vereinbarungen, die den von Gott gegebenen Grundregeln entsprechen.
  • Ethischen Forderungen in der Bibel geht die Erinnerung an von Gott empfangenes Gutes voraus. Kraft zum Tun des Guten wächst aus der Fähigkeit, sich bewusst zu machen, wo man schon bisher das Leben als Geschenk annehmen konnte (z.B. Jesu Gleichnis vom Schalks-knecht). Nur in dieser Perspektive kann sich biblisch-christliche Ethik angemessen entfalten.

Zu der produktiven Balance von Risiko- und Schutzfaktoren gehört auch die Erfahrung, dass Misslingen überwunden, Versäumnisse und Fehler verziehen werden und Neubeginn möglich ist. Eindrückliche Modelle, die zur Identifikation einladen, sind da die vielen Vergebungsge-schichten in der Bibel (Jakob und Esau, Josef und seine Brüder, Zachäus, Petrus und Jesus…).

Empathiefähigkeit lässt das Gerechtigkeitsempfinden weiter und umfassender werden: Maß-stab für Gerechtigkeit ist dann nicht nur das Gleiche für alle, sondern das, was für andere in ihrer je verschiedenen Lebenssituation das ‚Richtige’, das für gelingendes Leben und Zusammenleben mit anderen Förderliche ist.

Auch in der Empathiefähigkeit gilt es Herausforderungen zu bewältigen. Statt sich nur im Räderwerk festgelegter Regeln zu bewegen, gilt es hinzusehen und wahrzunehmen, wo man für andere in der Rolle des Nächsten ist. Es gilt sich anrühren zu lassen und umsichtige Ent-scheidungen für ein wirksames Helfen zu treffen, sich selbst überwinden und dann auch die Freude am Gelingen genießen zu können.
Solches Hinsehen hat Jesus reichhaltig praktiziert und auch in seinen Gleichnissen anschaulich thematisiert (z.B. Gleichnis vom barmherzigen Samariter, Lk 10, u.a.)

So kann sich die Resilienz fördernde Kraft biblischer Geschichten auch auf dem Feld der ethischen Herausforderungen bewähren. Sie sind viel mehr als ein ‚moralischer Zeigefinger’, nämlich Modelle für eigenständige Verantwortungsübernahme in der Folge von Herausforde-rung, Bewältigung und Bekräftigung.


5. Kinder entdecken sich – auch in ihrem Glauben - als eigenständige Denker

 

Von der anthropomorphen Personalität Gottes zu abstrakteren Vorstellungen: In vertrauensvoller Verbundenheit neue Bilder von Gott suchen


Wer meint, Kindern auf ihre Fragen nach Gott, seinem Aussehen, Wohnen und Wirken gülti-ge, erschöpfende Antworten geben zu können, kommt rasch an die Grenzen seiner Möglich-keiten (Wie sieht Gott aus? Wer kocht für Gott? Gibt es im Himmel auch Spielsachen? usw.). Wer traut sich auf solche Fragen schlüssige Antworten zu?
Damit sind zunächst einmal eingeschliffene Rollen von wissenden Erwachsenen und unwis-senden Kindern aufgehoben. Angesichts solcher Fragen fehlen allen die ‚richtigen’ Antwor-ten. Und dann übernehmen die Kinder die Führung und entwickeln ihre eigenen Gedanken mit Hilfe folgender ‚Denkinstrumente’:

- Das eine ist das Analogieverfahren, mit dem sie Wahrnehmungen und Erkenntnisse der sichtbaren Welt auf das unserem Erfahrungswissen Unzugängliche zu übertragen versuchen. Da wird Gott in Menschengestalt (= anthropomorph) gedacht, mit Bedürf-nissen nach Essen, Trinken, Schlafen, mit menschlichen Sinnen usw.
Aber das Analogieverfahren muss unvollkommen bleiben: Wie kann Gott gleichzeitig unzählig viele Gebete hören, überall auf der Welt sein, winzig klein und zugleich riesengroß sein? Deshalb entwickeln die Kinder phantasievolle Lösungen, wie sie Er-wachsene kaum fertig brächten: Gott reist mit einem Blitz sekundenschnell überall hin auf der Welt; Gott hat Ohren wie ein Sendemast, auf dem unzählige Mobilgespräche ankommen und abgehen usw.

Immer wieder bleibt offen, wie es wirklich ist. Immer wieder arbeiten sich die Kinder mit ihrem anschaulichen Denken an denselben Fragen ab und stoßen bis zu den Grenzen von Raum und Zeit vor: Wer hat eigentlich Gott erschaffen? Wie sah die Welt aus, als es noch gar keine Welt gab? Was ist eigentlich das Nichts? Ein Kind meinte ein-mal: „Ich glaube, ich muss jetzt aufhören zu denken, sonst wird mir schwindlig!“

In solchem Philosophieren und Theologisieren erleben sich die Kinder als selbstwirksam. Sie selbst treiben die Suche nach Antworten voran – in einem Gesprächsreglement, in dem es kein ‚richtig’ und ‚falsch’ gibt, in dem allen Beiträgen die gleiche Aufmerksamkeit gilt, Er-wachsene nicht überlegen sind.

Dabei stoßen die Kinder immer wieder an die Grenzen ihres Denkvermögens. Aber es sind keine Grenzen, die die Neugierde erlöschen lassen, sondern umgekehrt zu immer neuen Ge-sprächsgängen anregen. Kinder erleben, wie sie in solchen Gesprächen über sich selbst hi-nauswachsen, mit ihren Ideen auf Resonanz stoßen, Gedanken auch wieder verwerfen kön-nen, um mit den Ideen anderer weiter zu denken. Es geht nicht um Antworten, denn die halten den Frager klein, sondern um das sich Abarbeiten an den Fragen – und so um die Schutzfakto-ren von Gesprächsregeln, die vor Zurückweisungen und Kränkungen bewahren und die Resi-lienzfaktoren der Problemlösefähigkeit und der Autonomie stärken. Kinder lernen sich so im Meinungsstreit zu behaupten, ohne auf eigenen Positionen beharren zu müssen, und auch an-deren deren Erfolgserlebnisse zugestehen zu können.

• Wenn andere in anderen religiösen Lebensbezügen und Traditionen zuhause sind:
  Eigenes wertschätzen und mit Vielfalt sicher und respektvoll umgehen können

Herausfordernd kann für sie auch sein, wenn unterschiedliche, ja einander widersprechende religiöse Traditionen aufeinander treffen. Da leben Familien in unterschiedlichen religiösen Überlieferungen, da glauben die einen an Gott und andere nicht – wie passt das zusammen?
Wahrnehmen der Ernsthaftigkeit, in der andere ihren Glauben leben, geschieht mit dem In-Beziehung-Treten zu diesen Personen. Die in den theologischen Gesprächsrunden gewonne-nen Regeln, einander in seinen Meinungen gelten zu lassen, sind auch hier gültig. Aber zu einer Herausforderung kann dabei die Bestimmung und Vergewisserung der eigenen Positionsbestimmung werden: Warum glauben Menschen auf unterschiedliche Weise? Warum ma-chen wir es zuhause nicht so wie die anderen bzw. in der Kindertagesstätte? Warum wollen Eltern, dass ihre Kinder bei bestimmten religiösen Aktivitäten nicht dabei sind? Kann man voll und ganz zur Gruppengemeinschaft dazugehören und zugleich z.B. bei gottesdienstlichen Feiern nach elterlichem Beschluss nicht dabei sein?

Mit religiösen Bezügen stark zu werden heißt hier, respektvollen, aufmerksamen und zugleich selbstbewussten Umgang mit religiösen Positionen bei anderen Personen zu erfahren. Das hilft dabei, die Gegebenheiten und Möglichkeiten einer eigenen Position auszuloten. Religiö-se Vielfalt ist normal - das schließt ein, sich in dieser Vielfalt selbstbestimmt mit Eigenem zu zeigen und das auch anderen zuzugestehen.

Vielfach überlassen es religiös indifferente Eltern ihren Kindern, eine eigene religiöse Position zu finden. Das ist fordert die Kinder heraus, mit manchem Spagat zwischen Kindertages-stätte und Elternhaus zurecht zu kommen, und braucht viele Gelegenheiten zum Mitmachen und auch Verweigern - um nach und nach zwischen den religiösen Orientierungen wichtiger Bezugspersonen zum Eigenen zu finden.


6. Kinder brauchen starke Bezugspersonen

 

  • Kinder brauchen Eltern und Großeltern, die ihre Entdeckungen damit machen können, was Kinder stark macht. Anstelle der defizitorientierten Klagen, was Eltern zu einer guten Erziehungskompetenz fehlt, sollte mehr bei vorhandenen Ressourcen angesetzt werden: der Liebe zum Kind, dem guten Willen, dem Kind einen aussichtsreichen Start ins Leben zu ermöglichen, ein Gespür, was für das eigene Kind jetzt angemessen und richtig ist.
    Das bedeutet auch, Angst vor Erziehungsfehlern abzulegen, in der emotionalen Bin-dung den eigenen Willen deutlich zu vertreten – das stärkt Eltern und macht Mut, die Kinder vor Herausforderungen zu stellen, an denen sie wachsen können.
    Wenn es gelingt, Eltern gute Eindrücke davon zu vermitteln, wie Religion Kinder stark machen kann, dann wächst auch Aufgeschlossenheit für religionspädagogische Intentionen.
  • Kinder brauchen Erziehungspersonen, die ihnen Räume zur Entwicklung ihrer Resi-lienzfähigkeit anbieten. In den Ausführungen zur Resilienz werden auch die sozialen Einrichtungen als Schutzfaktoren beschrieben, als Nischen und Fluchtpunkte.
  • Kinder brauchen auch Kinder, mit denen sie in Einigkeit und Streit ihre Resilienzfä-higkeit stärken können. Es geht um Möglichkeiten, in denen Kinder untereinander das Spiel der Risiko-, Schutz- und Resilienzfaktoren spielen – Freundschaften schließen, Enttäuschungen erleben und verarbeiten, Wertschätzung und Zurückweisung erleben, Schutzfaktoren in die Waagschale legen können, mit denen sie selbst die Herausforde-rungen der Risikofaktoren moderieren, um so selbst zu starken Kindern zu werden. 

Wie Glaube viel zur Resilienz beitragen kann (Selbstwirksamkeit, Problemlösefähigkeit usw./ mit risikohaften Situation kontrolliert umgehen zu können, auf hilfreiche Kräfte vertrauen zu können, zeigt auch das bekannte Gebet:

Gott, gib mir Mut, die Dinge zu verändern, die ich verändern kann.
Gib mir die Gelassenheit, Dinge hinzunehmen, die ich nicht verändern kann.
Und gib mir die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden


Literaturhinweis.
Corina Wustmann: Resilienz. Widerstandsfähigkeit von Kindern in Tageseinrichtungen för-dern. Berlin 2011, 3.Auflage.

 

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