81 – Zum Maler Marc Chagall
 
(zu: Verzweiflung und Rettung auf dem Weg in die Freiheit, Seite 129)
 
Marc Chagall (1887 – 1985)
 
Marc Chagall wuchs in der jüdischen Vorstadt des russischen Witebsk in bescheidenen Verhältnissen auf. Der Vater arbeitete in einer Fischhandlung, die Mutter betrieb einen kleinen Laden. Sie war die Mitte der Familie und sorgte für das gastfreie Haus, in das neben den Verwandten wandernde Prediger, auch Hausierer und Bettler einkehrten. In den Hinterhöfen und kleinen Nutzgärten wurden Hühner, Ziegen und da und dort eine Kuh gehalten, und Marc entwickelte bald ein inniges Verhältnis zu den Tieren. Wenn er aus der Dachluke des Hauses über den Fluss hinüber in die Stadt sah, prägte sich jeweils aufs Neue die Ansicht der Kirchen, Klöster und Synagogen ein.
 
Bei den Festen und Feiern zu Geburt, Hochzeit und Beerdigung bestimmten die Beteiligten mit den überlieferten Ritualen das Geschehen. So folgten im Zug der Gäste dem voranschreitenden Geiger weitere Musikanten. Je nach Anlass zogen Akrobaten aus den Dörfern ein und setzten den Ereignissen Glanzlichter auf. Ein Onkel der Familie war Viehhändler, mit dem Marc die Welt der Bauern und ihre Tätigkeiten auf den Viehmärkten erlebte. Die Eltern waren fromme Juden, pflegten die Rituale des Glaubens. Wohl am eindrücklichsten war der in den Gebetsmantel eingehüllte Vater, der ernst und im wiegenden Bewegungsrhythmus des Oberkörpers die Gebete verrichtete. All das hat Marc Chagall einen immensen Schatz an Erinnerungs- und Phantasiebildern beschert, die auch zu einem Markenzeichen seines künstlerischen Schaffens wurden.
 
Früh gehörten auch antisemitische Ereignisse zu seinen Erfahrungen. Als er in St. Petersburg eine Malschule besuchte, gab er sich als Hausbote eines Advokaten aus, um so das Aufenthaltsverbot für Juden zu umgehen. Vom zaristischen Russland bis zu den Exzessen des Nationalsozialismus und in deren Folge zur eigenen Flucht in die USA begleiteten ihn die dunklen Schatten der Bedrohung. Sie zeigen sich vor allem in den Werken aus den bedrängten Phasen seines Lebens, sei es in brennenden Dörfern oder dem ‚Weißen Gekreuzigten‘.
 
Einen entscheidenden Impuls für seine künstlerische Laufbahn gab ihm sein Aufenthalt in Paris. Das freie Leben in der Stadt mit den Kontakten zu anderen Künstlern beseelte ihn. Er erlebte mit der Kunst der ‚wilden Maler‘ des „Fauvismus“ den eigenen Aufbruch zu neuen Ufern. Bilder sollten nicht länger Wirklichkeit wiedergeben und auslegen, sondern Wirklichkeit hervorrufen. Im Kubismus wurde die Bildfläche aufgebrochen und zu einem Spiel unterschiedlicher Perspektiven, die erst im Blick des Betrachters etwas Ganzes und Neues entstehen lassen.
 
Das war der Schlüssel für Marc Chagall, der in diesem Sinne die Vielfalt seiner Erlebnisbilder, Phantasien und Traumfiguren von der Kindheit an aus sich heraussetzte, seine Bilder zu einer Reise in die Tiefen des Unterbewussten werden ließ.
 
Dieser Weg der Verarbeitung eigener Erfahrungsquellen führte ihn zu den Aufgaben, die sich ihm mit seiner wachsenden Bekanntheit und Berühmtheit stellten. Im Kontakt mit dem jüdischen Theater fand er Zugang zur großen figürlichen Szenerie. Mit dem Auftrag einer Bibelillustrierung reiste Chagall für zwei Monate nach Palästina und entwickelte die religiöse Dimension seiner Kunst weiter. Er illustrierte die Fabeln von La Fontaine und entdeckte in einer Serie zur Zirkuswelt phantastische und skurrile Aspekte.
 
1948 kehrte er endgültig nach Frankreich zurück und ließ sich in Vence in der Nähe von Nizza nieder. Keramik- und Terrakotta-Figuren entstanden. 1950 begann er einen neuen Bibelzyklus. Ein besonders ehrenvoller Auftrag war die Ausmalung der Decke der Pariser Oper. Neues tat sich mit der Glasmalerei auf. Es entstanden Glasfenster für die Dome in Metz und Reims, für das Frauenmünster in Zürich und St. Stephan in Mainz. Ein besonderer Höhepunkt dieses Schaffens wurden die 12 Glasfenster in der Synagoge der Hadassah-Universität in Jerusalem. Sie sind den 12 Stämmen Israels mit ihrer je eigenen biblischen Verheißung gewidmet. 1973 wurde in Nizza das Musée National Message Biblique Marc Chagall eröffnet.
 

 

Im hohen Alter von 97 Jahren und mit vielen Ehrungen ausgezeichnet starb Marc Chagall in Saint-Paul-de-Vence. 

 

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